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Über die anstehenden Wahlen in der Türkei

MLKP, April 2023

 

Über die anstehenden Wahlen in der Türkei

Die anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei werden einen wichtigen Wendepunkt darstellen, denn die Wahlergebnisse werden ein neues Gleichgewicht der Kräfte sowohl für die herrschenden bürgerlichen Cliquen als auch für die Werktätigen, das kurdische Volk und alle Unterdrückten schaffen. Was werden die bestimmenden Tendenzen dieses Prozesses sein? Welche Art von Türkei sehen die Programme der herrschenden Klassen vor? Welchen politischen Charakter haben die Versprechen einer "Restauration" des Präsidentschaftsregimes zum parlamentarischen System? Auf diese Fragen gehen wir in diesem Artikel ein.

Wie ist die Krise in der Türkei zu definieren?

Sowohl die herrschende Front als auch die werktätige Linke sprechen davon, dass die Türkei eine "Jahrhundertkrise" erlebe, manche sprechen von einer "Krise des Neoliberalismus", andere von einer Krise des Akkumulationsmodells oder von multiplen Krisen. Auf dieser Grundlage werden die Wahlen am 14. Mai als eine Schwelle betrachtet, die entweder die Krise vertiefen oder die Tür zu einer Lösung öffnen wird.

Die Türkei ist Land mit einer kapitalistischen Gesellschaftsform, das (mindestens) 43 Jahre lang ununterbrochen durch ein faschistisches Regime als Staatsform regiert wurde, d.h. politische Freiheit (Rede-, Aktions- und Organisationsfreiheit) wurde durch Staatsterror abgeschafft. Was ihre Stellung in der imperialistischen Hierarchie betrifft, ist sie auch eine finanz-ökonomische Kolonie. Die herrschende Klasse, die türkische Bourgeoisie, hält Kurdistan unter kolonialem Joch. Die "Krise" bezieht sich auf all diese Bereiche, denn sie sind alle miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig auf verschiedenen Ebenen.

Auf ökonomischer Ebene muss die Stagnation in der Phase der imperialistischen Globalisierung des Kapitalismus seit der Weltwirtschaftskrise von 2007/8 berücksichtigt werden. Nicht alle Länder sind in gleichem Maße von der Stagnation betroffen, weswegen die Widersprüche, die durch die Rolle der Türkei in der globalen Arbeitsteilung der Produktion und ihren kolonialen Status entstehen, einbezogen werden muss. Die Krise muss unter dem Gesichtspunkt der Dynamik der Widersprüche zwischen den beiden Lagern der türkischen Bourgeoisie betrachtet werden. Im Hinblick auf die Geschichte der türkischen Bourgeoisie, kann die Krise nicht unabhängig von den Rissen im kolonialistischen Boden verstanden werden, auf dem das Regime errichtet wurde. Diese Risse sind die Folge des Widerstands und der Errungenschaften des kurdischen Volkes.

Es ist jedoch die politische Struktur, in der all diese Rollen und Beziehungen abstrahiert und auf höchster Ebene zentralisiert sind. Der Staat, d.h. das faschistische Regime, steht im Zentrum all der damit verbundenen Fragen. Daher ist die gegenwärtige Krise die Krise des bürgerlich-faschistischen Regimes, das nicht dazu in der Lage ist, all die bestehenden Krisen oder drohenden Krisen zu bewältigen. Genauer gesagt gibt es in der Türkei eine "Regimekrise". Welche Rolle die Wahlen am 14. Mai bei der Überwindung der Regimekrise spielen werden, hängt damit zusammen, ob sich das Wesen des Regimes ändern wird, nicht wer an seiner Spitze steht. Und es ist klar, dass sich der Charakter des Regimes nicht ändern wird, wenn es von einer bürgerlichen Clique zur anderen übergeht.

Unter den herrschenden Kräften gibt es eine anhaltende Diskussion über die Wiederherstellung des parlamentarischen Systems in der Türkei, um das Land aus der Krise zu führen. Die nationale Allianz unter Führung der CHP verfolgt das wirtschaftliche und politische Programm einer "Restauration".

Die meisten türkischen und kurdischen Intellektuellen der Linken nähern sich eher mit Wunschdenken als wissenschaftlich an das Versprechen der Nationalen Allianz für eine Restauration. Auf das bürgerliche Bündnis wird nicht das projiziert, was ist, sondern das, was gewünscht wird. So wird beispielsweise über die Charaktere und Persönlichkeiten der Präsidentschaftskandidaten diskutiert und nicht darüber, welche Klasse die Nationale Allianz vertritt, ob das parlamentarische System eine Änderung des faschistischen Charakters des Regimes vorschlägt oder ob eine Rückkehr zu einem bürgerlichen Wohlfahrtsstaat in diesem Stadium des Kapitalismus überhaupt möglich ist. Sobald der "gute Kandidat" gefunden ist, verlieren all diese Fragen ihre Bedeutung oder werden zweitrangig. Obwohl die bürgerliche Opposition in keiner ihrer Aktionen und Texte eine sinnvolle demokratische Restauration vorschlägt, wird sogar angenommen, dass sie dies aus "taktischen Gründen" tut und dass sie sich ändern werde, sobald sie erst einmal gewählt ist.

Natürlich muss der brennende Wunsch der Massen, deren Klassenorganisation und Bewusstsein abgestumpft sind, berücksichtigt werden, Erdoğan um jeden Preis loszuwerden. Eine derartige Anbetung des spontanen Bewusstseins und eine solche Aushöhlung der eigenen Theorie, Geschichte und Konzepte zeigt jedoch, dass diese Teile der "linken" Kräfte keinerlei Machtbewusstsein haben und bis an die Wurzel Teil der bürgerlichen Ideologie und der bürgerlichen Opposition sind.

Abschaffung der politischen Freiheiten und Kolonialismus sind das gemeinsame und existenzielle Interesse aller Lager der türkischen Bourgeoisie. Das liegt an der späten Kapitalisierung, ihrer unzureichenden Kapitalakkumulation, den Gesetzen der ungleichmäßigen Entwicklung und gleichzeitig an der Tatsache, dass die Türkei ihr Nationalbewusstsein als ein Gefängnis der Völker und Religionen aufgebaut hat. Sie braucht immer einen Staatsterror gleichen Ausmaßes, um die Ausbeutung des Mehrwerts in einem Umfang zu gewährleisten, der sie selbst und den Imperialismus, mit dem sie kollaboriert, ernährt. Die kleinste Lockerung in eine demokratische und populare Richtung gibt dem Aufstand der Arbeiter:innenklasse, der Alevit:innen und des kurdischen Volkes Raum. Dadurch ist das Regime sofort gezwungen, seinen existenziellen Charakter durch Putsche, reaktionäre Bürgerkriege und Staatsterror wiederherzustellen. Das ist der Grund, warum die werktätigen Völker nie in die politische Freiheit eingeführt wurden und nie durch die Schule der Demokratie gingen. Daran hat sich in den letzten 100 Jahren nichts geändert.

In diesem Sinne muss verstanden werden, dass die Erwartung einer demokratischen Restauration durch die Nationale Allianz keine objektive Grundlage hat und dass dieses oder jenes Lager der Bourgeoisie in der Türkei nicht die Vorhut einer volksdemokratischen Revolution oder Veränderung ist, sondern selbst ein Hindernis darstellt. Die beiden Flügel der türkischen Bourgeoisie sind zwar Konkurrenten im Rennen um die Macht, aber sie sind Partner im Regime. So löste die AKP-Regierung die faschistische Diktatur des Nationalen Sicherheitsrates (MGK) auf, ersetzte sie aber durch die faschistische Chefdiktatur. Und nun behauptet auch die Nationale Allianz, wenn sie an die Macht komme, den "parlamentarischen Faschismus" zu reproduzieren, d.h. eine hybride Variante der MGK-Diktatur wiederherzustellen. Die "Restauration" ist nicht für das Volk gedacht, sondern für die jeweiligen Herrscher des Kapitals. Jeden Tag zeigt sich aufs Neue, dass der Faschismus nicht gestürzt werden kann, ohne die Herrschaft des Monopolkapitals als Klasse zu beenden, die ihren Reichtum durch billige, prekäre und einander feindlich gesinnte Arbeitskraft anhäuft.

Dies ist keine Vorhersage, sondern etwas, das sich aus der schmutzigen Bilanz der Bestandteile des bürgerlichen Oppositionsbündnisses und ihrer Grundlagentexte klar ablesen lässt. In ihren Dokumenten ist kein einziges substantielles Versprechen für politische Freiheit, für die national-kollektiven Rechte des kurdischen Volkes und für eine Erhöhung des Wohlstands. Der Kampf gegen den "Terrorismus" und der Krieg sollen ununterbrochen fortgesetzt werden, die Gewerkschaftsrechte bleiben auf dem Niveau der Putschverfassung von 1980, Verarmung und Entbehrung werden in einem neuen Modus der Akkumulation fortgesetzt, um den "Wettbewerbsvorteil" der Türkei zu sichern. Das bürgerliche Reformprogramm der Nationalen Allianz in dieser Form steht sogar weit hinter dem bürgerlichen Reformprogramm des faschistischen Chefs Erdoğan von 2002.

Es gibt nur einen Weg, aus der Regimekrise eine demokratische und populare Zukunft zu machen, und das ist, sie in eine Konfrontation zwischen der Front der Herrschenden, die jedes Lager der türkischen Bourgeoisie umfasst, und der Front der Unterdrückten, die aus der Arbeiter:innenklasse der Türkei und dem kurdischen Volk besteht, zu verwandeln und die antiimperialistische, antifaschistische, antikolonialistische, geschlechterbefreiende demokratische Revolution durch den Sturz des faschistischen Regimes zu realisieren.

Die Rolle der Türkei in der globalen Arbeitsteilung

In der imperialistischen Arbeitsteilung der Produktion, mit anderen Worten, in den "globalen Wertschöpfungs- und Versorgungsketten", werden eher Prozesse als Waren produziert. Innerhalb dieser Prozesse besteht die Rolle des türkischen Kapitalismus darin, die von den imperialistischen Ländern geliehenen Schulden und Kapitalgüter sowie die aus anderen finanz-ökonomischen Kolonien importierten Rohstoffe und Hightech-Zwischenprodukte mit seinen eigenen billigen Arbeitskräften zusammenzufügen und in die imperialistischen Länder zu exportieren. Da es zu viele Länder gibt, die bereit sind, diese Rolle zu spielen, und zu wenige Käufer, muss er seine Waren unter ihrem Wert verkaufen, d.h. den Löwenanteil des von ihm produzierten Mehrwerts an den Imperialismus abtreten. Um in der Konkurrenz die Oberhand zu gewinnen, versucht er, seinen Preis noch weiter zu senken und das Volumen seiner Exporte zu steigern, indem er hochpreisige Kapitalgüter kauft und die Produktivität der Arbeit erhöht oder die Arbeitskraft noch billiger macht. Dieser "Wettlauf nach unten" ist für die einheimische Bourgeoisie in der Expansionsphase des Kapitalismus profitabel, weil es ihr ermöglicht, imperialistische Märkte zu erschließen. In den letzten 15 Jahren jedoch, in denen sich der Kapitalismus nicht von der Rezession erholt hat und sich sowohl die Finanzkapitalströme als auch der Welthandel verlangsamt haben, ist dieser Wettlauf in seinem üblichen Verlauf unhaltbar destruktiv geworden.

Auch wenn man heute in der Türkei nicht von einer Wirtschaftskrise im Sinne der "akademischen Ökonomie" sprechen kann, so ist es doch das Bemühen, diese Krise hinauszuschieben, das den Transfer von Reichtum zwischen den Klassen unerträglich macht und die Widersprüche zwischen den Klassen verschärft.

Das kapitalistische China hat in den letzten 30 Jahren zweifellos am meisten von dieser imperialistischen Arbeitsteilung in der Produktion profitiert. Ursprünglich ein Lagerhaus für billige Arbeitskräfte für den Imperialismus, konnte China diesen Mehrwert, der im Verhältnis gering, aber in der Menge enorm ist, dank des zentralisierten Staatsapparats, den es von der vorherigen Staatsform geerbt hat, effektiv und tyrannisch nutzen, um in die hochtechnologischen oberen Glieder der Arbeitsteilung der Produktion aufzusteigen. Das geht so weit, dass es heute über eigene Monopole verfügt und nach Ländern mit billigen Arbeitskräften sucht, in die es seine Produktion verlagern kann. Zudem ist China der größte Kreditgeber der Welt und exportiert eine riesige Menge an Kapital. Chinas Arbeitskräfte sind nicht mehr so billig. Es ist nicht nur ein Zulieferer, sondern auch ein direkter Konkurrent des EU/US-Imperialismus auf vielen Märkten. Dies führt zu einer Verringerung des Mehrwerts, den die EU/US-Monopole dem Weltproletariat abnehmen. Dies ist die wirtschaftliche Grundlage für die Kluft zwischen dem EU/US-Imperialismus und dem chinesischen Imperialismus heute. Der Schulterschluss des Militärimperialisten und Weltenergielords Russland mit China gegen die Hegemonie der EU/USA verschärft die imperialistische Rivalität ebenfalls.

Beide rivalisierenden Flügel der türkischen Bourgeoisie versuchen, diese sich verschärfenden Widersprüche zwischen den Imperialisten gegen die drohende Krise, die ihnen durch die kapitalistische Stagnation droht, auszunutzen. Die türkische Bourgeoisie ist auf der Suche nach billigen Produktionsstandorten in geografischer Nähe zum Westen, um ihre Lieferketten aufzufüllen, und China sucht nach billigen Produktionsstandorten in geografischer Nähe zum Westen, um Zugang zu den Märkten der EU und der USA zu erhalten. Einer der Flügel der türkischen Bourgeoisie, der sich in der Vereinigung türkischer Industrieller und Geschäftsleute (TÜSIAD) organisiert, und ihr direkter politischer Vertreter, die bürgerliche Opposition, behaupten, dass diese neue Rolle durch eine Akkumulationsweise gespielt werden kann, die sich auf die industrielle High-Tech-Produktion konzentriert. Das geht so weit, dass selbst der Kampf des Volkes für die Demokratie in dieser Mentalität auf eine Wahl zwischen "Bauindustrie" und "Technologie" reduziert wird.

Es ist offensichtlich, wie der faschistische Chef den Staat als Apparat der selektiv-kollektiven Akkumulation benutzt, um den anderen Flügel der Bourgeoisie, das durch ihn vertretene kapitalistische Lager, so schnell wie möglich in die Stellung des Monopolkapitals zu heben, und dass die Interessen der hierfür vertretenen Bauunternehmer nichts anderes als noch mehr Elend und Katastrophen für die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten bringen können.

Dies reicht jedoch nicht aus, um die Restaurationsversprechen des oppositionellen Blocks (Nationale Allianz/TÜSIAD) wirtschaftlich gültig zu machen. Einen technologischen Sprung des türkischen Kapitalismus und eine Steigerung des Wohlstands zu versprechen, während das Gesetz der fallenden Profitraten nicht aufgehalten werden kann, die weltweiten Investitionen, die Beschäftigung, die Produktivität und der Handel stetig zurückgehen und die Erwartung einer neuen globalen Krise so hoch ist, ist illusorisch.

Außerdem ist das, was der Oppositionsblock vorschlägt, entgegen der Propaganda kein Sprung in die hochpreisigen, hochbezahlten und hochtechnologischen Glieder der globalen Produktionsketten. Um im globalen Wettbewerb nicht nach hinten zu rücken, will dieser Block seine Rolle in der bestehenden Arbeitsteilung in der Produktion technisch modernisieren, d.h. seine Produktivität durch den Import neuer Kapitalgüter steigern und damit die Arbeit verbilligen. In dem Maße, wie die "qualifizierten Arbeitskräfte" für den Einsatz der neuen Maschinen wachsen, wird die Arbeitslosigkeit steigen.

Dafür soll der IWF mit einem Sparabkommen in Anspruch genommen werden und öffentliche Ausschreibungen und Anreize an diesen Block fließen. Die Zentralbank wird "unabhängig" werden, was bedeutet, dass das Finanzkapital sein Privileg als Hochzinsprofiteur wiedererlangen wird. Vielleicht würde die Inflation zurückgehen, aber dafür würden Millionen nicht genug Einkommen haben, das sie ausgeben können. Die Kriegsindustrie, Besatzung und Expansionismus als gemeinsame Interessen der beiden Lager der Bourgeoisie werden natürlich nicht nachlassen.

Für all dies wird dieses Programm einen bürgerlichen Staatsapparat erfordern, der mindestens so tyrannisch ist wie der von Erdoğan. Es ist unmöglich zu verstehen, wie diese Art der Akkumulation, die wir kurz als "verstärkten Neoliberalismus" bezeichnen können, die Tür zu Verteilungsgerechtigkeit und einer "linken Restauration" in der Politik öffnen soll.

Was erwartet die Arbeiter:innenklasse und welche Aufgaben stehen ihr bevor?

Die Bedingungen für die Zeit nach den Wahlen werden in dem Maße geschaffen, in dem wir die heutigen Bedingungen angreifen. Aber die Erwartungen der reformistischen linken Kräfte in die bürgerliche Restauration bereiten diesen Angriff nicht vor, sie marginalisieren diese Möglichkeit sogar. Das rechtfertigen sie mit der Aussage, dass "die Massen noch nicht bereit seien" und durch einen Rückzug erst wieder Kräfte innerhalb der Massen gesammelt werden müssten. Wann also werden die Massen nach dieser Auffassung bereit sein? Natürlich, wenn der Organisations- und Aktionsgrad spontan, durch systemimmanente Kämpfe und kumulativ auf ein bestimmtes Niveau steige. Aber dieses Verständnis beinhaltet eine naive Inkonsequenz. Ist der Faschismus im Gegensatz zu den bürgerlichen Demokratien nicht eine Staatsform, die als Antwort auf diese spontane, systemimmanente und kumulative Entwicklung des Massenkampfes selbst eingesetzt wird? Wenn wir keine grundlegende Änderung dieser Form selbst erwarten, wenn wir sogar eine Zunahme des Staatsterrors vorhersehen, wie sollen die Massen dann den gewünschten Grad der Bewegung/Organisation erreichen?

Das Programm der Nationalen Allianz für einen bürgerlichen Wandel steht hinter dem Programm des faschistischen Chefs Erdogan für einen bürgerlichen Wandel von 2002. Wenn selbst diese vorübergehende Lockerung seitens des Regimes damals nicht zu einer Massenmobilisierung dieser linken Kräfte geführt hat, warum und wie kann dann die zukünftige Macht der Nationalen Allianz diese Mobilisierung ermöglichen? Außerdem befindet sich der Kapitalismus jetzt in einer Phase endloser Stagnation und nicht wie damals in einer Phase der Expansion, so dass die materiellen Bedingungen für die Möglichkeit sozialer Bestechung nicht mehr gegeben sind.

Oder schauen wir uns die Folgen der Wahlen vom 7. Juni 2015 an, bei denen die Demokratische Partei der Völker (HDP) die AKP erstmals aus der Mehrheit und der Einparteienregierung verdrängt hat. Haben in dem Kriegsprozess, der mit dem Suruç-Massaker am 20. Juli 2015 als Ergebnis des Wahlsiegs der Unterdrückten begann, die sicherheitspolitischen Maßnahmen und die "Rückzugstaktik", die ab einem bestimmten Punkt angewandt wurde, das gewünschte Aktions- und Organisationsniveau gebracht? Ganz und gar nicht. Kann diese Ausrichtung, die weit hinter den Selbstverteidigungs- und Selbstverwaltungsansprüchen der Zeit nach den Wahlen am 7. Juni 2015 zurückbleibt, den Kampf vorantreiben?

Der Kampf der Unterdrückten in der Türkei und Kurdistan ist nicht durch die Möglichkeiten und Räume entstanden, die dieses oder jenes Lager der Bourgeoisie eröffnet hat, sondern "trotz" der Bourgeoisie, und es waren die Kämpfe selbst, die diese Möglichkeiten und Räume eröffnet haben. Daher kann das, was die Massen heute "bereit machen" wird, nicht darin bestehen, sich selbst in der Hoffnung auf die Möglichkeit einer sogenannten Restauration auszusetzen. Die revolutionär-demokratischen, sozialistischen Kräfte dürfen daher die Lösung nicht auf dem rückständigsten Boden suchen, nämlich im Ökonomismus, Reformismus, Pazifismus und Parlamentarismus, sondern im organisierten Massenkampf und der revolutionären Gewalt der Vorhut gegen den Faschismus. Nicht kämpfen zu wollen, schützt nicht davor, geschlagen zu werden. Es gibt keinen anderen Weg als zu lernen, organisiert und als breite Masse zu kämpfen.

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