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Einleitungsbeitrag der MLPD zum ICOR-Webinar zur Pariser Kommune

MLPD, Anna Bartholomé, 27. März 2021

 

Ich begrüße ganz herzlich im Namen der MLPD alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses ICOR-Seminars zu Pariser Kommune. Sie hat für die revolutionäre Arbeiterbewegung bis heute eine überragende Bedeutung.

 1) Trotz ihres vor allem spontanen Charakters drückte sich in dieser erstmaligen Machtergreifung der Arbeiterklasse bereits ein entwickeltes Klassenbewusstsein der französischen Arbeiterklasse aus. Die Arbeiter hatten die Erfahrungen mit dem Verrat der Bourgeoisie in den Revolutionen von 1830 und 1848 nicht vergessen und waren entschlossen, sich nicht wieder entwaffnen zu lassen. Ihre sozialistischen Visionen nährten sich aus den weit verbreiteten Ideen des utopischen Sozialismus, durchdrungen mit anarchistischen Vorstellungen. Aber auch der Marxismus hatte Einfluss bekommen, über das Kommmunistische Manifest und besonders über die sieben Jahre zuvor von Marx gegründete erste Internationale. Deren Sektionen waren in Frankreich massiv unterdrückt worden, hatten aber gerade dadurch an Ansehen gewonnen.

Erstaunlich klar waren die unmittelbar eingeleiteten politischen, sozialen und kulturpolitischen Maßnahmen der Kommune. Dazu gehörte die Auflösung des stehenden Heeres zugunsten der Volksbewaffnung. Die Verpflichtung zur Rechenschaftspflicht, jederzeitigen Abwählbarkeit und zur Arbeit zum Arbeiterlohn bei gewählten Funktionen. Darin zeigen sich Prinzipien eines proletarischen Parlamentarismus. Die Trennung von Kirche und Staat öffnete die Schulen – für Jungen und Mädchen. Die Mieten wurden gestundet, die Nachtarbeit für Bäckerlehrlinge verboten usw. Gegen die nationalistische Hetze hatte die Kommune einen zutiefst internationalistischen Charakter. An ihrer Führung waren politische Flüchtlinge aus vielen Ländern aktiv und gleichberechtigt beteiligt.

 2) Ich möchte den Blick auf die Rolle der mutigen Frauen und Mädchen richten. Sie stellten sich an die Spitze der Kämpfe und erkämpften Atemberaubendes: Für die Frauen der im Kampf Gefallenen gab es eine Unterstützung, und zwar ausdrücklich unabhängig davon, ob sie offiziell verheiratet waren oder nicht. Unterstützt wurden auch die Kinder, ob sie ehelich waren oder nicht. Kämpferinnen der weiblichen »Wachsamkeits-Komitees« standen bewaffnet auf den Barrikaden. Als Fabriken, Manufakturen und Betriebe, deren Besitzer geflohen waren, enteignet und in Arbeitergenossenschaften überführt wurden, wurden ausdrücklich dabei auch Arbeitsplätze für Frauen eingerichtet.

Auch hier nahm die Erste Internationale unmittelbaren Einfluss. Die junge russische Revolutionärin, Elisabeth Dmitrieff, wurde als Delegierte der Internationale aus London nach Paris geschickt. Gemeinsam mit der Buchbinderin Natalie Lemel organisierte sie Massenversammlungen. Wandanschläge und Flugblätter wurden veröffentlicht. Vor allem aber sorgten sie für die Organisierung der Frauen in der „Union des Femmes“, die als Organisation Mitglied der Internationale wurde.

 3) Als Achillesferse der Kommune erwies sich die fehlende Klarheit in den eigenen Reihen. Höchstens ein Drittel der gewählten Kommunarden waren Angehörige der Ersten Internationale. Mehrheitlich waren Anarchisten vertreten, auf Versöhnlertum orientierten die Anhänger Proudhons: So zögerte die Pariser Kommune, auf Versailles zu marschieren und die Nationalbank zu enteignen.

Daraus schlussfolgerten Marx und Engels als eine wesentliche Lehre der Kommune die Errichtung der Diktatur des Proletariats: Aber die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.“ (MEW Bd. 17, S. 336)

 4) Geschlagen wurde die Kommune schon nach 72 Tagen, weil sich die „Erzfeinde“, das deutsche Kaiserreich und die bürgerliche französische Republik, zusammen taten.

 5) Marx und Engels hatten sich Sorgen gemacht, dass die „Himmelsstürmer“, wie sie die Kommunarden nannten, zu früh losgeschlagen hatten. Aber in unverbrüchlicher Solidarität und leidenschaftlicher Anteilnahme analysierten, unterstützten und berieten sie die Kommune. Sie schrieben hunderte Briefe, um die praktische Solidarität zu organisieren.

Nach dem Ende der Kommune unterstützten sie die Flüchtlinge und diskutierten mit ihnen gegen Verzweiflung und Niederlagenstimmung die Lehren: Der Aufbau proletarischer revolutionärer Parteien musste in jedem Land angepackt werden. Mit dem Anarchismus, wie er in der ersten Internationale besonders von Bakunin vertreten wurde, musste abgerechnet werden.

Lenin dann hat für den Aufbau des Rätewesens und im Parteiaufbau Lehren aus der Pariser Kommune gezogen, die den Erfolg der Oktoberrevolution erst möglich machten.

Heute ist der Aufbau der ICOR eine Lehre auch aus der Pariser Kommune: Keine proletarische oder revolutionäre Bewegung in irgendeinem Land darf allein stehen gegenüber den Angriffen der Konterrevolution!

 6) Die Pariser Kommune setzte also Meilensteine. In der heutigen krisengeschüttelten Welt beweisen sie, dass es möglich ist, den Traum von einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung Wirklichkeit werden zu lassen.

In den bürgerlichen Massenmedien und im Schulunterricht in Deutschland wird die Kommune deswegen verschwiegen. Wenn sie überhaupt Erwähnung findet, wird von Antikommunisten insbesondere die Diktatur des Proletariats als Schreckgespenstverunglimpft. Das ist eine Reaktion der Herrschenden auf die Suche von immer mehr – und vor allem junge Menschen nach einer gesellschaftlichen Alternative. In einer Zeit, in der in immer mehr Ländern gesamtgesellschaftliche Krisen aufbrechen, nehmen wir diesen 150. Jahrestag der Pariser Kommune zum Anlass, um zu ermutigen, dass eine gesellschaftliche, eine sozialistische Alternative zum imperialistischen Gesellschaftssystem möglich ist.

Ich wünsche unserer Diskussion in diesem Webinar viel Erfolg.

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