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FREIHEIT FÜR MÜSLÜM ELMA

ATIK, Brief an internationale Organisationen, 15. 10. 2019

 

Avrupa Türkiyeli İşçiler Konfederasyonu

Konfederasyona Karkerên ji Tirkîye li Ewropa

Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa

Confederation of Workers from Turkey in Europe

La Confédération des Travailleurs de Turquie en Europe

Confederatie van Arbeiders uit Turkÿe in Europa

 

www.atik-online.net info@atik-online.net

 

Brief an internationale Organisationen

Liebe Freund*innen

als ATİK (Konföderation der Arbeiter*innen aus der Türkei in Europa) organisieren wir derzeit eine intensivierte Kampagne für die Befreiung des in München in U-Haft sitzenden Müslüm Elma. Die Kampagne wird am 04. November mit einer Kundgebung vor dem Oberlandesgericht in München beginnen und ebenda mit einer Kundgebung am 02. Dezember enden.

Zwischen diesen beiden Terminen werden viele unterschiedliche Aktionen organisiert. Ziel dieser Kampagne ist die Befreiung von Müslüm Elma. 

Folgende Aktionen haben wir uns überlegt:

Auftakts Kundgebung: 04. November 2019 vor dem OLG München 

Hashtag (#) Kampagne: 06. November 2019

Der Tag der "Freiheit für Müslüm Elma": 15. November 2019

Teilnahme am Prozess von Anwält*innen aus aller Welt: 18. November 2019

Teilnahme am Prozess von Freunden und ehemaligen Insassen des Diyarbakır Gefängnisses: 27. November 2019

Abschlusskundgebung: 02. Dezember 2019 vor dem OLG München 

Unsere Bitte an Euch:

Für die Umsetzung dieser Planung braucht es eine weite und starke Solidarität und Unterstützung. Die Aktionen, Tag der "Freiheit für Müslüm Elma" organisiert werden, sind für den Erfolg der Kampagne sehr entscheidend. Unsere Forderung an euch: Organisiert am 15. November 2019 vor den deutschen Konsulaten/Botschaften Kundgebungen/Aktionen und reicht das vorgesehene Dossier für Müslüm Elma ein. Am gleichen Tag wird in Deutschland verschiedene Kundgebungen folgen. Die Aktionen in und außer halb Deutschlands werden einen erheblichen Druck auf die Behörden ausüben und entscheidende Einflüsse haben, ganz klar. Aus diesem Grund möchten wir nochmals betonen, dass jede Solidarität von großer Bedeutung ist.

Den Aufruf für die Kampagne und das Dossier mit Informationen über Müslüm Elma und den Berichten der Anwälte findet ihr im Anhang.

Bitte schickt uns den Aufruf und den Bericht der Aktion die ihr durchführen werdet, sodass wir diese verbreiten können.

Solidarische Grüße

Co-Vorsitzende

Zeynep Caliskan, Süleyman Gürcan

 


FREIHEIT FÜR MÜSLÜM ELMA

 

Müslüm Elma und neun weitere Freund*innen wurden bei einer Operation, die in Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Deutschland am 15. April 2015 in Deutschland, Griechenland, der Schweiz und Frankreich durchgeführt wurde, festgenommen. Müslüm Elma, Haydar Bern, Erhan Aktürk, Musa Demir, Seyid Ali Uğur, Banu Büyükavci und Sinan Aydin wurden in Nürnberg, Mehmet Yeşilçalı in der Schweiz, Sami Solmaz in Frankreich und Deniz Pektaş in Griechenland festgenommen. Alle im Ausland Festgenommenen wurden anschließend nach Deutschland ausgeliefert.

 

Am 17. Juni 2016 begann das gegen die zehn Revolutionär*innen gerichtete Strafverfahren vor dem Oberlandesgericht München. Gestützt auf die Paragraphen 129 a und b des deutschen Strafgesetzbuches wird ihnen Mitgliedschaft beziehungsweise Rädelsführerschaft in der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch zur Last gelegt.

 

In den ersten Monaten waren die zehn Revolutionär*innen einer Totalisolation in der Untersuchungshaft ausgesetzt. Lange Zeit erfolgten die Familien- und Anwaltsbesuche nur mit Trennscheibe. Die Revolutionär*innen saßen in Einzelzellen, der Kontakt zu anderen Gefangenen war ihnen untersagt. Obwohl sie im selben Verfahren angeklagt sind, wurden ihnen die gemeinsame Verteidigung und die Kommunikation untereinander verwehrt.

 

Durch die Öffentlichkeitsarbeit und die entstandene internationale Solidarität konnten die Aufhebung der Isolation, die Möglichkeit der gemeinsamen Kommunikation im Gerichtssaal und das Recht auf Familien- und Anwaltsbesuche ohne Trennscheibe durchgesetzt werden. Darüber hinaus wurden inzwischen die Haftbefehle gegen alle Revolutionär*innen bis auf Müslüm Elma außer Vollzug gesetzt. All dies war nur durch den gemeinsamen Kampf der Öffentlichkeit möglich. Müslüm Elma ist der Einzige, der sich momentan noch in Untersuchungshaft befindet, die inzwischen schon seit über vier Jahren und sechs Monaten andauert. Auch nach über 190 Verhandlungstagen ist ein Ende des seit drei Jahren laufenden Verfahrens noch nicht absehbar.

 

Wer ist Müslüm Elma?

 

Müslüm Elma kam 1960 in Dersim als Kind kurdischer und alevitischer Eltern zur Welt. Bereits während seiner Schulzeit auf dem Gymnasium betätigte er sich politisch. Wegen dieser Aktivitäten musste er auch später sein Universitätsstudium abbrechen. In seinem Leben spiegelt sich das repressive und grausame Vorgehen des türkischen Staates gegen Kommunist*innen und Kurd*innen wider.

 

Kurz nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurde Müslüm Elma wegen seiner politischen Aktivitäten in Diyarbakır festgenommen. Nach seiner Festnahme wurde er über sechs Monate hinweg in den Verhörzentren von Antep, Elazığ, Urfa und Diyarbakır unmenschlichen Folterungen ausgesetzt und anschließend in das berüchtigte Gefängnis Nr. 5 in Diyarbakır verbracht.

 

Die Folterungen dauerten während seiner Inhaftierung im Kerker von Diyarbakir an. Um gegen diese zu protestieren, beteiligte er sich in den Jahren 1983 und 1984 über einen langen Zeitraum hinweg an Todesfastenaktionen. Infolge des Todesfastens und der Folter leidet er noch heute an erheblichen gesundheitlichen Problemen.

 

Müslüm Elma wurde 1992 aus dem Kerker von Diyarbakir entlassen, wurde aber bereits ein Jahr später, im November 1993, erneut festgenommen, gefoltert und inhaftiert. Nach einer langen Haftzeit wurde er, nach den im Jahr 2000 begonnenen Todesfastenaktionen, im Jahr 2002 entlassen.

Aufgrund der Folter, die er in den vielen Jahren seiner Haft in der Türkei erlitten hat, den daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen und der bestehenden Lebensgefahr sah Müslüm Elma sich gezwungen, die Türkei zu verlassen. Im Jahr 2009 wurde seinem Asylantrag in Deutschland stattgegeben. Ein Großteil seines Lebens hat Müslüm Elma dem Kampf gegen die unmenschlichen Folterungen in den Gefängnissen in der Türkei gewidmet. Seine Lebensgeschichte ist gleichzeitig die Geschichte des Widerstandes in den Kerkern der Türkei.

Müslüm Elma verbrachte wegen seiner politischen Ansichten viele Lebensjahre in der Türkei in Haft. Heute befindet er sich, gerade auch wegen seiner politischen Ansichten, in Deutschland in Haft. Ausganspunkt der gegen ihn erhobenen Vorwürfe bilden Informationen, die von türkischen Sicherheitsbehörden an die deutschen Sicherheitsbehörden übermittelt worden sind. In Anbetracht dessen, dass die Polizeibeamt*innen, die diese Informationen erteilt und unterschrieben haben, wegen Urkundenfälschung in der Türkei inhaftiert sind, ist der Umstand, dass gegen Müslüm Elma basierend auf diesen zur Verfügung gestellte

n Dokumente prozessiert wird, ein Vorgehen, das gegen Rechte und Freiheiten verstößt.

 

Dass Müslüm Elma ausschließlich wegen seiner politischen Identität in Haft ist, hat sich während des langen Verfahrens mehrfach bestätigt. Deshalb rufen wir die gesamte demokratische Öffentlichkeit dazu auf, sich an der Kampagne „Freiheit für Müslüm Elma“ zu beteiligen und diese zu unterstützen, damit Müslüm Elma seine Freiheit wiedererlangt.

 

 

Freiheit für Müslüm Elma!

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Müslüm Elma: Überlebender der Inhaftierung im Gefängnis von Diyarbakir seit über viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft

Der aus der Türkei stammende Kommunist Müslüm Elma wurde zusammen mit weiteren Personen am 15. April 2015 in Deutschland festgenommen. Vor seiner Festnahme lebte er seit Jahren als anerkannter politischer Flüchtling in Deutschland. Am 17. Juni 2016 hat einer der größten Staatsschutzprozesse der letzten Jahrzehnte in Deutschland begonnen. Neben Müslüm Elma wird neun weiteren Kommunist*innen vorgeworfen, das sogenannte Auslandskomitee der Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch gebildet zu haben und sich damit als Mitglied beziehungsweise – im Falle von Müslüm Elma – als Rädelsführer einer „ausländischen terroristischen Vereinigung“ nach Paragraph 129 b des deutschen Strafgesetzbuches betätigt zu haben.

Die Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch ist eine nur in der Türkei verbotene Organisation. Weder in Deutschland noch in anderen europäischen Staaten ist sie mit einem Verbot belegt und befindet sich auf keiner der nationalen und internationalen Terrorlisten. Weder Müslüm Elma noch einem der anderen neun Kommunist*innen wird – außer der Mitgliedschaft – eine Gewalttat oder irgendeine andere strafbare Handlung vorgeworfen.

Gegen die zehn Kommunist*innen, die im April 2015 unter massivem Sicherheitseinsatz wie hochgefährliche Kriminelle festgenommenen worden sind, liefen bereits zuvor schon strafrechtliche Ermittlungen des Bundeskriminalamts, zum Teil bereits seit 2006. Trotz der angeblichen Gefährlichkeit der Kommunist*innen haben es die Sicherheitsbehörden neun Jahre lang nicht für notwendig erachtet einzugreifen und dadurch die in der Anklage behauptete Betätigungen für die Organisation zu unterbinden.

Politisches Strafverfahren im Interesse der Türkei

Die Strafverfolgung von Müslüm Elma und den übrigen neun Kommunist*innen ist rechtlich überhaupt nur möglich, weil das Bundesjustizministerium die Erlaubnis hierzu erteilt hat. Nach Paragraph 129 b des Strafgesetzbuches kann ein Strafverfahren wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nur dann geführt werden, wenn hierzu eine ministerielle Ermächtigung vorliegt. Die Erteilung dieser sogenannten Verfolgungsermächtigung ist eine politische Entscheidung, für die die außenpolitischen Interessen Deutschlands maßgeblich sind.

Der türkische Präsident Erdoğan hat über die letzten Jahre hinweg immer wieder lautstark von der Bundesregierung verlangt, in Deutschland lebende Anhänger*innen der PKK und anderer in der Türkei verbotener kommunistischer Organisationen strafrechtlich zu verfolgen, und Deutschland beschuldigt, diesen – von ihm als terroristisch bezeichneten – Personen einen Rückzugsraum zu bieten.

Somit kann dieser Strafprozess nur als ein Verfahren verstanden werden, das im Interesse der deutschen Außenpolitik gegenüber der Türkei geführt wird. Damit einher geht die Ausweitung des praktischen Anwendungsbereichs des Paragraphen 129 b des Strafgesetzbuches auf nicht international als Terrororganisationen gelistete und in Deutschland nicht verbotene Organisationen.

Verfahrensverlauf

Entsprechend schwierig gestaltet sich für das Gericht die Verurteilung der zehn Kommunist*innen. Diese haben in dem Verfahren ihre politische Überzeugung verteidigt und ansonsten geschwiegen. Von der Verteidigung wurde immer wieder die Einstellung des Verfahrens und die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung aufgrund des autokratischen und die Menschenwürde nicht achtenden Charakter des türkischen Staates gefordert. Während des Verfahrens fanden in der Türkei der Putschversuch und der Gegenputsch statt, wurde der Ausnahmezustand verhängt und wieder aufgehoben. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit griff die türkische Armee völkerrechtswidrig die kurdische Stadt Afrin in Nordsyrien an und hat nunmehr die kurdischen Gebiete in Nordsyrien besetzt. Keines dieser Ereignisse hat das Gericht bewogen, das Verfahren einzustellen, obwohl dies juristisch jederzeit möglich ist. Auch die den Menschenrechten und der Völkerverständigung verpflichtete Bundesregierung sah sich bislang nicht veranlasst, ihre juristische Schützenhilfe für das Erdoğan-Regime zu beenden und die Verfolgungsermächtigung zurückzunehmen.

Vielmehr hat das Gericht seine Beweisaufnahme auf Erkenntnisse und Urkunden erstreckt, die aus dem polizeilichen Informationsaustausch mit der Türkei stammen und deren Verfasser inzwischen zum Teil selber wegen Beweismittelfälschung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation in der Türkei inhaftiert sind.

Überlange Untersuchungshaft

Ein Ende des Verfahrens ist nicht in Sicht. Die Hauptverhandlung dauert nunmehr seit über drei Jahren an, in denen es mehr als 190 Verhandlungstage gegeben hat. Müslüm Elma ist der einzige der angeklagten zehn Kommunist*innen, der sich noch in Untersuchungshaft befindet, und dies seit über vier Jahren und sechs Monaten. Allerdings hat das Gericht deutlich gemacht hat, dass es alle zehn entsprechend der Anklage zu hohen Haftstrafen verurteilen will.

Überlebender von Diyarbakir

Der politische Charakter des Verfahrens zeigt sich auch am Umgang mit Müslüm Elma und an seiner persönlichen Geschichte. Vor seiner Inhaftierung in Deutschland war Müslüm Elma bereits in der Türkei zwei Jahrzehnte lang aufgrund seiner politischen Überzeugung in Haft. Er hat seine Inhaftierung im Gefängnis Nr. 5 in Diyarbakır überlebt, wo er kurz nach dem Militärputsch von 1980 unvorstellbarer Folter und anderen Grausamkeiten ausgesetzt war. Bis heute ist er durch die lange Haft und erlittene Folter gezeichnet. Dies hinderte die deutsche Justiz jedoch nicht daran, Müslüm Elma die ersten Monate der Untersuchungshaft einer fast vollständigen Isolation auszusetzen und die Untersuchungshaft nun seit über viereinhalb Jahren aufrechtzuerhalten. Aus Sicht der Verteidigung zeigt dies, welchen hohen rechtsstaatlichen Preis der deutsche Staat zu zahlen bereit ist, um den Interessen von verbündeten Unrechtsstaaten zu dienen.

Die Verteidiger*innen von Müslüm Elma

Rechtsanwalt Stephan Kuhn
Rechtsanwältin Antonia von der Behrens


Erklärung von Müslüm Elma zu Beginn des Verfahrens am 17. Juli 2016

Welcher Staat wird durch das deutsche Strafrecht und die deutsche Justiz eigentlich geschützt? Als würden in der Türkei die Rosen der Demokratie und Freiheit blühen und wir würden hier vor Gericht stehen, weil wir sie abgeholzt hätten. Als würden die Kurden nicht seit Generationen verfolgt. Als sei die kurdische Region nicht in ein Blutbad verwandelt worden und würde nicht in Flammen stehen. Als gäbe es keine brutale Unterdrückung der Meinungs- und Gewissensfreiheit. Als würde Erdoğan in seinem Palast und seine Bande ihrer rassistischen Ideologie „Ein Staat, eine Nation, eine Fahne, eine Sprache“ nicht auch noch „nur eine Stimme“ hinzufügen wollen und als würde sie die Mehrstimmigkeit nicht als „Terrorismus“ ansehen. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Bundesanwaltschaft sich mit einigen Folgen beschäftigt hat, aber sich überhaupt nicht für ihre Ursachen interessiert hat. Denn das Drehbuch, das uns hier auf die Bänke zwingt, ist ein gemeinsames Produkt des deutschen und türkischen Staates.

Doch auf ein faires Verfahren kann ich nach Ihrer Entscheidung nicht mehr hoffen. Über uns schwebt das ‚Demokratie‘-Schwert des heutigen Europas. Dieses Schwert erinnert uns an das Schwert der Osmanen. Ohne Zweifel werden wir unsere Hälse nicht vor diesem Schwert neigen. Wir können Schmerz ertragen. Wir können auch unser Leben lassen. Aber sich Beugen steht nicht zur Diskussion.

Ungerechtigkeit, Rechtswidrigkeit und Grausamkeit kennen keine Grenzen, unser Fall ist ein Beispiel hierfür. Unser Leben in Gefangenschaft, das in der Türkei mit dem Militärputsch 1980 begonnen hat, setzt sich jetzt in den deutschen Gefängnissen fort.“

Auszug aus einer Erklärung von Müslüm zu seinem Leben vom 11. Juni 2018

Ich habe versucht mit den obigen Ausführungen einen bestimmten Zeitraum zusammenzufassend darzustellen. Welches Bild vermittelt uns diese kurze Darstellung? Dieses Bild zeigt uns folgende Fakten: Wir kamen nicht als Sozialisten aus den Bäuchen unserer Mütter. Selbst wenn wir als solche geboren worden wären, wäre dies unbedenklich. Sozialist zu sein ist eine große Tugend. Wir sind auch nicht als "Terroristen", wie Sie es sehr gerne ausdrücken und womit Sie uns öfters beschuldigen, zur Welt gekommen. Sprich, wir kamen genauso wie alle anderen Kinder zur Welt. Später waren wir dann alle Schüler, die ein Ziel hatten: Bildung. Allerdings haben der als Staat bezeichnete Gewaltapparat und die von ihm gesteuerten Zivilfaschisten uns im Vorhinein allein aufgrund der nationalen und konfessionellen Identität der Stadt, in der wir geboren wurden, ausgegrenzt. Deshalb war es die Assimilations- und Verleugnungspolitik des Staates und seine Feindseligkeit gegenüber abweichenden Einstellungen und Identitäten, die uns zu sozialistischen Revolutionären machte. Mit anderen Worten: Die real existierenden Umstände waren der Grund. Von daher: Wenn Sie die wirklich Schuldigen suchen, sind Sie bei uns an der falschen Adresse. Die tatsächlichen Schuldigen sind die Imperialisten und ihre Kollaborateure. Und das, was uns zu Sozialisten macht, ist ihre habgierige Politik, die Millionen in Armut und Elend treibt und ihre, zu diesem Zweck entfachten, ungerechtfertigten Kriege und die damit einhergehende von ihnen betriebene Zerstörungspolitik.“

Auszug aus einer Erklärung von Müslüm Elma zu seiner Inhaftierung in Diyarbakir vom 11. Juni 2018

Im Rahmen einer gegen die TKP/ML gerichteten Offensive wurde ich am 23. September 1980 in der Betriebsstätte eines Freundes von den Sicherheitskräften in Gewahrsam genommen. Von dem Augenblick an, in dem sie mich ins Polizeifahrzeug gesetzt haben, schlugen sie auf mich ein und stellten mir gleichzeitig Fragen. Es war erkennbar, dass sie es eilig hatten.

Sie benötigten neue Informationen, damit sie weitere Inhaftierungen vornehmen konnten. Ich hingegen hatte es weder eilig, noch fühlte ich mich verpflichtet, die gestellten Fragen zu beantworten. Denn es war Schweigen angebracht. Da meine Augen verbunden worden waren, konnte ich sie nicht sehen, ich hörte nur wie sie unter schallendem Gelächter sagten: "Der hat vor Angst die Zunge verschluckt".

Ich wurde in das Verhörzentrum, das sich auf dem Gelände der Militärkaserne in Diyarbakir befand und das regional zuständig war, gebracht.

Unmittelbar, nachdem sie mich aus dem Fahrzeug geholt hatten, verbrachten sie mich in den Verhörraum.

Nachdem sie mich der "Bastonade" unterzogen haben, kreuzten sie meine Arme und hängten mich mit gekreuzten Armen von hinten auf. Während dieser gesamten Zeit versetzten sie mir an verschiedenen Körperstellen Elektroschocks. Folgendes kann ich Ihnen versichern: An diesem Abend praktizierten sie alle grundlegenden Methoden, die es in den Folterzentren gab. An die Stelle ihres schallenden Gelächters, das sie bei meiner Festnahme von sich gaben, waren Wut und Ratlosigkeit getreten. Endlich hatten diese folternden Narren erkannt, dass ich meine Zunge nicht verschluckt hatte.

Ja, Folter ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Dagegen sein Schweigerecht in Anspruch zu nehmen, ist die Verteidigung der Menschenwürde. Der Umstand, dass die Folterer und die Justiz dieses Benehmen als "Haltung der Organisation" interpretierten, zeigte auch, wie sehr sie sich von den menschlichen Werten entfernt hatten. Eine der wirkungsvollsten Protestmethoden gegen diese unmenschlichen Praktiken ist die Inanspruchnahme des Schweigerechts. Das war auch das, was ich zu tun versuchte.“

 

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