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"Eine Ära im Parteiaufbau geht zu Ende – und die MLPD steht vor großen Aufgaben!"

Interview mit Gabi Gärtner und Stefan Engel, MLPD, 18. November 2016
"Eine Ära im Parteiaufbau geht zu Ende – und die MLPD steht vor großen Aufgaben!"

 

18.11.16 - Die Rote Fahne konnte kurz nach dem X. Parteitag der MLPD und dem 1. Plenum des neuen Zentralkomitees Stefan Engel (Foto) und Gabi Gärtner (Foto) interviewen. Beide sprachen mit uns über die Ergebnisse dieser wichtigen Ereignisse. Gleichzeitig nahmen sie zur aktuellen Entwicklung Stellung und berichteten uns von den spannenden neuen Aufgaben der MLPD. Das Interview erscheint am 25. November im Rote Fahne Magazin. Wir veröffentlichen es heute vorab auf rf-news.

Rote Fahne: Was bedeuten die Wahlen in den USA?

Stefan Engel: Der Wahlsieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen ist ein politischer Paukenschlag. Dass Trump Präsident wurde, ist Ausdruck der krisenhaften Entwicklung des Imperialismus und wird diese zugleich vertiefen. Immerhin wird jetzt ein Erzreaktionär, Nationalist, Rassist und faschistoider Politiker zum 45. Präsidenten der USA, des mächtigsten imperialistischen Lands der Welt. Seine reaktionäre politische Agenda hat es in sich: protektionistische Wirtschaftspolitik, Zurücknahme internationaler Umweltschutzabkommen, ultrareaktionäre Flüchtlingspolitik, Streichung sozialpolitischer Reformen, chauvinistische Außenpolitik, offene Unterstützung der Unterdrückung der Palästinenser durch Israel usw. Der US-Imperialismus hat seit der Neuorganisation der internationalen Produktion in den 1990er-Jahren in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht massiv an Einfluss verloren an seine imperialistischen Rivalen. Vor allem an neuimperialistische Länder wie China, Russland, Südkorea, Brasilien oder Saudi-Arabien. Trumps Slogan „Amerika zuerst“ entspricht dem Auftrag der am meisten reaktionären und aggressiven Kreise des US-Finanzkapitals. So wollen diese die ramponierte Weltmachtstellung des US-Imperialismus wiederherstellen.

Ob Trumps vollmundige Ankündigungen allerdings Realität werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Macht in den USA liegt auch künftig nicht bei einem Präsidenten wie nun Trump, sondern bei den führenden Kreisen der US-amerikanischen internationalen Übermonopole, die zum allein herrschenden internationalen Finanzkapital gehören. In der heutigen multipolaren Welt können die USA auch nicht schalten und walten, wie sie wollen. Vor allem werden die Massen ein gewichtiges Wort mitreden. Unmittelbar nach der Wahl begannen in den USA Zehntausende, hauptsächlich junge Leute, mit landesweiten Demonstrationen, zum Teil auch Blockaden unter der Losung „Trump ist nicht unser Präsident“. Weltweit schlägt Trump unter den Massen Misstrauen und Ablehnung entgegen.

Der Rechtsruck der US-Regierung wird weltpolitische Auswirkungen haben. Er unterstreicht die allgemeine Tendenz der offenen Reaktion des Imperialismus. Diese Entwicklung wird den Ultrarechten und reaktionären Nationalisten auch in anderen Ländern Auftrieb geben, aber auch die Klassenwidersprüche erheblich verschärfen und die Kämpfe der Arbeiterklasse und der Volksmassen herausfordern. Kurzum: Die gesellschaftliche Polarisierung wird sich im Weltmaßstab deutlich verschärfen.

 

Sämtliche bürgerlichen Meinungsforscher und das Gros der bürgerlichen Massenmedien hatten fest mit einem Wahlsieg Hillary Clintons gerechnet. Wie konnten sie sich so vertun?

Stefan Engel: Hillary Clinton erlebte eine krachende Wahlniederlage. Sie unterlag – ebenso wie offensichtlich die Meinungsforschungsinstitute und die Medien – dem Irrtum, sie könnte im Wahlkampf punkten mit dem Verweis auf ihre „politische Erfahrung“ in bürgerlichen Regierungsämtern und mit ihrer Nähe zur Wall-Street. Doch in den Augen der Massen war genau das der größte Minuspunkt für sie! Gerade dass sie erklärte Wunschkandidatin des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals, der bürgerlichen Massenmedien und des etablierten bürgerlichen politischen Systems war, wurde ihr zum Verhängnis. Die überwältigende Mehrheit der US-Bevölkerung will eben nicht, dass es so weitergeht wie bisher. Die Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen wächst.

Daran setzte Trump verlogen an mit seiner Propaganda, er sei der Stachel im Fleisch des Establishments. Dabei ist er als Immobilien-Milliardär in diesem Establishment selbst fett geworden wie die Made im Speck! Trump entwickelte eine ausgeprägte pseudo-soziale Demagogie – mit leeren Versprechungen und hohlen Phrasen vom Schutz der Arbeitsplätze, wachsendem Wohlstand für alle durch Stärkung der US-Wirtschaft usw. Das verband er auf wirre Art und Weise mit einer wahren Flut an Lügen, Intrigen und nationalistischer, frauenfeindlicher und antikommunistischer Hetze, die – Millionen Mal verbreitet – die Massen manipulieren sollte.

Die bürgerliche Medienberichterstattung in Deutschland ergeht sich jetzt in einer wahren Massenbeschimpfung, nach der das US-amerikanische Volk allgemein nach rechts gerückt sei. Doch auch in den USA gibt es eine unübersehbare Polarisierung, die neben dem Rechtstrend auch einen starken Linkstrend beinhaltet. So wird in den Medien gerne unterschlagen, dass der Kandidat Bernie Sanders bei den Vorwahlen lange Zeit Kopf an Kopf mit Hillary Clinton lag, obwohl er nur über einen Bruchteil ihrer finanziellen Mittel und ihrer Medienpräsenz verfügte. Er hatte ausdrücklich seine Sympathie für den Sozialismus erklärt – und begeisterte damit vor allem junge Leute.

Sicherlich konnte Trump Nichtwähler aus dem rechten Bodensatz mobilisieren oder Menschen mit niedrigem Klassenbewusstsein. Die Gruppe der Nichtwähler unter den Wahlberechtigten ist aber immer noch die größte „Partei“ – mit etwa 40 Prozent der potenziellen Wähler1. Darunter sind viele, die diesmal bewusst keine der Scheinalternativen wählten. „Weder Pest noch Cholera“ war eine Losung fortschrittlicher und revolutionärer Kräfte, die besonders unter der Jugend aufgegriffen wurde. Dazu kommen die nicht wahlberechtigten Migranten, Jugendliche und die Nicht-Registrierten, die eher zum Protestpotenzial gegen Trump gehören als zu seinen Befürwortern. Trump wird Präsident, obwohl ihn nicht einmal 30 Prozent der Wahlberechtigten gewählt haben. Allgemein wählte ein Großteil der Wähler taktisch, in erster Linie zur Verhinderung des jeweiligen Gegenkandidaten. All das zeigt die Farce der bürgerlichen Demokratie und dass die Krise des bürgerlichen Parlamentarismus zu einer allgemeinen Erscheinung geworden ist. Unter den Massen drückte der US-Wahlkampf also vor allem die wachsende Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative aus, was auch eine internationale Entwicklung ist. Letztlich fehlte bei den US-Wahlen eine starke, klar linke und fortschrittliche Alternative, die Trumps Demagogie ebenso entlarvt hätte wie die Hillary Clintons.

 

Welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?

Stefan Engel: Wir erleben in verschiedenen Ländern, dass die nach rechts gerückten Regierungen bereits nach kurzer Regierungszeit in Schwierigkeiten geraten. Nach einer ersten „Schockstarre“ unter den demokratischen Kräften wird der Protest der Massen umso mehr herausgefordert und ihr Bedürfnis, sich zu positionieren. So konnte Viktor Orbán in Ungarn verschiedene seiner Projekte nicht durchsetzen, Polens ultrareaktionäre Regierung musste auf wesentliche frauen- und demokratiefeindliche Maßnahmen verzichten, und in Frankreich und Deutschland sind die Regierungen in den Umfragen zeitweise auf einem Tiefpunkt angelangt. Die wichtigste Schlussfolgerung besteht in der Stärkung tatsächlich fortschrittlicher Alternativen weltweit: dem Aufbau starker marxistisch-leninistischer, revolutionärer Parteien in allen Ländern der Welt, im Zusammenschluss revolutionärer Kräfte, in der Koordination und Kooperation in der ICOR. Wir müssen diese gesellschaftliche Alternative auch in Deutschland schaffen und sie zu einer starken gesellschaftlichen Kraft im Kampf für Demokratie, Freiheit und Sozialismus entwickeln. In einer Erklärung der Internationalistischen Liste/MLPD2 heißt es: „Es ist an der Zeit, eine starke, fortschrittliche, revolutionäre und internationalistische linke Alternative aufzubauen, die den Massen eine wirkliche gesellschaftliche Alternative bieten kann – die Internationalistische Liste/MLPD. Jeder, der nach einer wirklichen gesellschaftlichen Alternative sucht, soll sie auch finden können!“

 

Wie weit ist die Arbeit dieser Internationalistischen Liste/MLPD gediehen?

Gabi Gärtner: Der Wahlkongress des Internationalistischen Bündnisses am 2. Oktober mit seinen 500 Teilnehmern war äußerst erfolgreich. Er bestach durch seinen solidarischen Geist, seinen Optimismus, seine kämpferisch-internationalistische Grundhaltung. Er verabschiedete einmütig ein Wahlmanifest, Grundsätze der Zusammenarbeit, Kandidatengrundsätze, wählte einen Bündnisrat als Entscheidungsgremium zwischen Wahlkongressen usw. Seitdem wurden die meisten Landeslisten zur Bundestagswahl 2017 und die ersten Direktkandidaten aufgestellt, einige Wählerinitiativen wurden bereits gegründet. Die Kandidatinnen und Kandidaten repräsentieren ein breites Spektrum, das in seiner Summe das allseitige Programm dieses Bündnisses zum Ausdruck bringt: von Stahl- und Bergarbeitern, Gewerkschaftern und Betriebsräten über kämpferische Milchbauern, Aktivistinnen der kämpferischen Frauenbewegung und rebellische Jugendliche, zahlreiche kurdische, türkische und palästinensische Migrantinnen und Migranten usw. Die Internationalistische Liste/MLPD vereint Einzelpersonen, Migrantenorganisationen, örtliche linke Gruppen, Jugendgruppen usw. Allein schon dieses Spektrum zeigt das große Potenzial einer solchen neuen Alternative! Bei der Schaffung eines breiten Bündnisses im Kampf gegen den Rechtsruck der Regierung und der bürgerlichen Parteien haben wir einen guten Anfang gemacht. Aber das muss jetzt noch weiterentwickelt werden. Dabei geht es immerhin um das Fundament einer künftigen antiimperialistischen, fortschrittlichen und internationalistischen Einheitsfront. Das hat weit über den Wahltag hinaus perspektivische Bedeutung! Das Internationalistische Bündnis ist eine Bewegung, die immer mehr unter den breiten Massen Fuß fassen muss. Die Hauptmethode zum Aufbau dieser Bewegung ist gegenwärtig die Gewinnung von Unterstützern dieses Bündnisses. Es muss zum Ausdruck kommen, dass es nicht nur vielfältige Repräsentanten und Organisationen einschließt, sondern auch breit unter den Massen verankert ist. Die bisher gemeldeten 2774 Unterstützer (Stand 17. November) liegen noch weit unter dem, was möglich und notwendig ist. Man kann und sollte sicherlich bis Jahresende 10 000 bis 15 000 Unterstützer gewinnen. Jeder, der gegen den Rechtsruck der Regierung eintritt, sich dagegen und gegen die ultrareaktionären Kräfte wie die AfD zusammenschließen will, soll unterschreiben! Die Leute haben ein großes Bedürfnis, eine starke fortschrittliche Bewegung am linken Pol der Gesellschaft zu vereinen und zu stärken.

Die Kandidatur der Internationalistischen Liste/MLPD zu den Bundestagswahlen und den Landtagswahlen in NRW ist die derzeitige konkrete Organisationsform des Internationalistischen Bündnisses. Wir müssen in der Arbeit unterschiedliche Bewusstseinsstufen besser beachten: erstens breitester Aufbau der Bewegung des Internationalistischen Bündnisses mit der entsprechenden Unterstützer-Unterschrift; zweitens Unterschriftensammlung für die Wahlzulassung und Gewinnung von Mitstreitern in den Wählerinitiativen für den Landtagswahlkampf NRW und die Bundestagswahl 2017; und drittens die Gewinnung neuer Mitglieder für die MLPD bzw. für die verschiedenen Organisationsformen der kämpferischen Opposition und für das Bündnis.

Diese Arbeit muss der rote Faden jeder Arbeit sein: ob in den Betrieben, in der Frauen-, Umwelt-, Jugend- und internationalistischen Arbeit. Die entfaltete gesellschaftliche Polarisierung ist unsere Stunde, wenn wir sie richtig nutzen.

 

Über ein Jahr hat die MLPD ihren X. Parteitag vorbereitet. Jetzt hat er stattgefunden. Was waren seine wichtigsten Ergebnisse?

Stefan Engel: Man kann die Dimension des Sonneberger Parteitags nur im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang verstehen. Die gesellschaftliche Entwicklung ist in verschiedenen Fragen an einem Wendepunkt angelangt. Eine jahrzehntelange relative Stabilität des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland löst sich tendenziell auf, und das Klassenbewusstsein ist wieder in Bewegung geraten, nachdem es der Merkel-Regierung jahrelang gelungen ist, für eine relative Ruhe zu sorgen. Die wachsende Unzufriedenheit der Massen, insbesondere unter der Jugend, schlägt sich mittlerweile in Massenaktivitäten nieder. Der X. Parteitag war die marxistisch-leninistische Antwort auf den Rechtsruck der Regierung, die Krisenhaftigkeit des Imperialismus und diesen Stimmungsumschwung unter den Massen.

Der X. Parteitag hat den Selbstveränderungs- und Lernprozess der MLPD für ihre neue gesellschaftliche Rolle einen großen Schub vorangebracht. Es wurde sehr deutlich, wie sich die Organisation zunehmend die Fähigkeit zur bewussten Anwendung der dialektischen Methode auf dem Niveau der Lehre von der Denkweise und des systemischen Denkens in Theorie und Praxis zu eigen gemacht hat. Das kennzeichnet die Zukunftsfähigkeit der MLPD, alle ihr zuwachsenden Aufgaben und Fragen – auch neue und überraschende Entwicklungen – schöpferisch zu beurteilen und zu lösen. Das schlug sich in fünf wesentlichen Ergebnissen des Parteitags nieder:

Im Zentrum des Parteitags stand die Diskussion des Rechenschaftsberichts-Entwurfs des Zentralkomitees und dessen einstimmige Verabschiedung. Das drückte das große Vertrauen der gesamten Partei in die Parteiführung aus. Zugleich wurden eine Reihe von Fehlern und Schwächen selbstbewusst kritisch und selbstkritisch aufgearbeitet und schöpferisch Schlussfolgerungen gezogen. Ich kann mich an keine Diskussion eines Rechenschaftsberichts-Entwurfs auf den Parteitagen erinnern, die auf einem so hohen Niveau von der bewussten Anwendung der dialektischen Methode durchdrungen war.

Eine Besonderheit des X. Parteitags war auch die Diskussion und der Beschluss über Änderungen am Parteiprogramm der MLPD. Der Parteitag bestätigte das bewährte Parteiprogramm von 1982 und erweiterte es um die programmatischen Erkenntnisfortschritte in unserer Arbeit seit dem Jahr 2000. So bietet das überarbeitete Programm den Massen in einer komplizierten gesellschaftlichen Wirklichkeit eine ausgezeichnete Orientierung. Die Diskussion des Rechenschaftsberichts der Zentralen Kontrollkommission (ZKK) war auch dieses Mal etwas Besonderes. Die ZKK mit ihrer unabhängigen Kontrolle des ZK von oben ist eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus der revisionistischen Entartung ehemals revolutionärer Parteien und wesentliches Merkmal der MLPD als Partei neuen Typs. Dass die ZKK, aber auch die gesamte Partei die Fähigkeit zu einer dialektischen Kaderarbeit verstärkt und die ZKK ihre Unabhängigkeit in der Kontrolle vor allem des Zentralkomitees weiter festigt, hat grundlegende Bedeutung, um die bevorstehenden Aufgaben der MLPD zu meistern. Aus dem besten Kaderaufgebot aller bisherigen Parteitage konnten wir ein starkes, verjüngtes ZK mit hohem Arbeiter- und Frauenanteil wählen.

Schließlich ist die vielleicht weitreichendste Entscheidung des gesamten Parteitags die Weichenstellung für einen Generationswechsel an der Parteispitze der MLPD.

 

Warum hat die Vorbereitung des Parteitags so lange gedauert, gab es da Probleme?

Gabi Gärtner: Parteitage sind in der MLPD von einer intensiven Entfaltung der Demokratie, der schöpferischen ideologisch-politischen Arbeit geprägt. Sie stehen in engster Verbindung mit den Aufgaben im Klassenkampf. Unsere Parteitage sind keine Formalien, vorgegebene Inszenierungen, Machtspiele, wie wir das zuletzt wieder bei der CSU beobachten konnten. Auch kein Forum gleich serienweise fauler Kompromisse wie beim Parteitag der GRÜNEN in Münster. Der Parteitag der MLPD ist tatsächlich das höchste Organ der Partei; seine Beschlüsse sind Bestandteil der Festsetzung und Weiterentwicklung ihrer ideologisch-politischen Linie, und das künftige ZK ist streng an die vom Parteitag beschlossenen Leitlinien gebunden. Die Diskussion des Rechenschaftsberichts-Entwurfs des ZK und des Parteiprogramm-Entwurfs entfaltete die ideologisch-politische Initiative aller Mitglieder. So entstanden 3100 Anträgen zu diesen beiden Dokumenten und es gab 147 vorbereitete und insgesamt 293 gehaltene Beiträge. Das dauert natürlich seine Zeit und war von Anfang an so geplant! Bei der ganzen Diskussion muss beachtet werden, dass die MLPD während der ganzen Zeit umfassende praktische Aktivitäten durchführte – wie die großartige Arbeit zum Solidaritätspakt mit der kurdischen Befreiungsbewegung.

In 64 internen und öffentlichen Veranstaltungen diskutierte das ZK zur Vorbereitung des Parteitags mit der Parteibasis und den Massen neue Fragen wie die marxistisch-leninistische Sozialarbeit, die proletarische Flüchtlingspolitik, die marxistisch-leninistische Jugendarbeit oder die Entstehung neuimperialistischer Länder.

Auch das bisher beste Aufgebot an Kandidatinnen und Kandidaten für das ZK, das es jemals gegeben hat, ist nur auf der Grundlage einer solch gründlichen Vorbereitung zu erklären. So gab es 40 Prozent mehr Kandidatinnen und Kandidaten als dann gewählt werden konnten. Sie waren alle grundsätzlich geeignet. 40 Prozent der Mitglieder des neuen Zentralkomitees sind unter 40 Jahren. Über 70 Prozent sind proletarischer Klassenlage. Hervorragend ist auch der gewachsene Frauenanteil von 45 Prozent in den zentralen Gremien. Ein Sieg langfristiger Frauenförderung der MLPD!

Die MLPD ist eine revolutionäre Partei neuen Typs und kann stolz auf ihre Praktizierung des demokratischen Zentralismus sein. Es gibt wohl keine demokratischere Methode der Parteitagsvorbereitung und -durchführung als die der MLPD. Gerade in den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien, die alle viel von Demokratie reden, wird doch die Masse der Mitglieder aus dem Diskussions- und Erkenntnisprozess ausgeschlossen. Die Funktionen sind dort von den führenden Parteigremien schon vorher vergeben.

 

Warum ist die Analyse über die Herausbildung neuimperialistischer Länder so wichtig?

Gabi Gärtner: Die 2008 ausgebrochene Weltwirtschafts- und Finanzkrise war eine Zäsur in der Entwicklung des imperialistischen Weltsystems. Die wichtigste neue Erscheinung, die sich in diesem Zusammenhang in der Weltwirtschaft beschleunigt herausbildete, ist die Entstehung einer Reihe von neuimperialistischen Ländern.

Mit dieser Entwicklung hat der zwischenimperialistische Konkurrenzkampf so an Schärfe zugenommen, dass sogar die Gefahr eines III. Weltkriegs gewachsen ist. Neuimperialistische Länder wie Saudi-Arabien oder die Türkei versuchen, sich in Syrien oder im Jemen um jeden Preis neue Einflussgebiete zu erobern, während die alten imperialistischen Länder nicht weniger aggressiv um den Erhalt ihrer Einflusssphären kämpfen. Viele Menschen sind fassungslos, mit welcher Brutalität die Schlacht um Aleppo ausgetragen wird. Dieser Vernichtungskrieg ist von allen Imperialisten prinzipiell gleichwertig zu verantworten.

In der heutigen multipolaren Welt kann kein imperialistisches Land seine Vorstellungen der Neuaufteilung der Welt uneingeschränkt durchsetzen. Die Uneinigkeit innerhalb der NATO, in der EU in der Haltung gegenüber Russland sowie die weitgehende Handlungsunfähigkeit der UNO markieren eine offene Krise dieser internationalen Institutionen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen konnte keine Resolutionen zur Syrien-Frage beschließen, weil sich die Veto-Mächte gegenseitig blockierten. Auch im weltpolitisch brisanten Kriegsherd Ukraine sind die Imperialisten nicht in der Lage, den über zweijährigen Krieg einschneidend zu entschärfen. Es ist von großer Bedeutung, dass wir in dieser Auseinandersetzung jedwedes imperialistische Vorgehen verurteilen und uns nicht von der bürgerlichen Berichterstattung beeinflussen lassen, die derzeit zweckmotiviert den Hauptstoß nur gegen Putin und Assad richtet. Alle wesentlichen Imperialisten agieren mehr oder weniger als aggressive Kriegstreiber – und unterstützen direkt oder indirekt faschistische Gruppen wie den IS oder die Al-Nusra-Front, sie führen den Krieg im Jemen, verdienen sich dumm und dusselig an Rüstungsexporten usw.

Wir begrüßen es außerordentlich, dass die Diskussion über die Herausbildung neuimperialistischer Staaten in der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung aufgegriffen und lebhaft geführt wird. Der X. Parteitag konnte dafür einen wichtigen Beitrag leisten, und durch die Diskussion mit den internationalen Gästen hat die MLPD viele Anregungen und Hinweise zur Vertiefung dieser Fragen erhalten. Das 10. Zentralkomitee hat vor, in den nächsten Monaten zur Thematik der neuimperialistischen Länder eine „Blaue Beilage“ zur Roten Fahne herauszugeben.

 

Der Parteitag hat die These vom Stimmungsumschwung der Massen bekräftigt und von der neuen gesellschaftlichen Rolle der MLPD, in die sie in der letzten Zeit Schritt für Schritt hineinwächst. Woran macht ihr das fest?

Gabi Gärtner: Die bürgerlichen Parteien wurden in der Vergangenheit von den Massen oftmals noch als ihr – wenn auch zunehmend unbefriedigender - Ansprechpartner verstanden. So pflegte die SPD das Image, die sozialen Belange seien bei ihr gut aufgehoben, die GRÜNEN nahmen dies bezüglich des Umweltschutzes in Anspruch. Davon bleibt immer weniger übrig. Aufgrund ihrer geschäftsführenden Rolle für das allein herrschende internationale Finanzkapital ist da der Lack in immer mehr Fragen unübersehbar abgeplatzt!

Nehmen wir die Flüchtlingspolitik. Alle anderen Parteien sind sich im reaktionären Standpunkt einig, dass man den Zugang von Flüchtlingen begrenzen müsse. Nur die MLPD tritt mit ihrer proletarischen Flüchtlingspolitik dafür ein, dass die Flüchtlinge entsprechend der UN-Flüchtlingskonvention kommen – und gleichzeitig nicht als Menschen zweiter oder dritter Klasse behandelt werden dürfen. So ist es ein großer Erfolg, dass die rückwirkende Anwendung der Wohnsitzauflage in Deutschland gekippt werden konnte: durch einen gemeinsamen, organisierten Kampf von Montagsdemos, Flüchtlingen, MLPD, REBELL und überparteilichen Wahlbündnissen, vor allem in Gelsenkirchen. Damit ist ein wesentlicher Bestandteil des reaktionären „Integrations“gesetzes gescheitert. Noch bedeutender ist, dass dieser Erfolg zustande kam gegen den erbitterten Widerstand aller bürgerlichen Parteien und gegen fast tägliche antikommunistische Attacken in der Presse.

Oder nehmen wir die VW-Krise. Welche Partei traut sich denn überhaupt, Konzernen wie VW oder Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Stirn zu bieten? Da hat der VW-Konzern, in Einheit mit den staatlichen Behörden, Millionen von Autokäufern und die ganze Welt betrogen, hat mutwillig und mit krimineller Energie die Umwelt und die Menschen vergiftet – und was macht Verkehrsminister Dobrindt von der CSU? Er verkündet, dass die Autokäufer in Deutschland – im Unterschied zu den USA, wo jeder mindestens 5000 Dollar erhält – nicht entschädigt werden. Alle bürgerlichen Parteien gehen wie selbstverständlich davon aus, dass die Arbeiter und Angestellten, die Massen in den Kommunen und die Steuerzahler die Folgen tragen und die Zeche bezahlen sollen. Nur die MLPD tritt dafür ein, dass die Verantwortlichen mit ihrem Privatvermögen haften und strafrechtlich verfolgt werden müssen, angefangen bei Winterkorn, beim VW-Vorstand und seinem Aufsichtsrat.

Im Bergbau konnten sich MLPD und die kämpferische Bergarbeiterbewegung im Kampf gegen den Deputatraub, gegen Giftmüll unter Tage und gegen die geplante Stilllegung des Steinkohlebergbaus immer wieder zeitweilig die Meinungsführerschaft erkämpfen. Aktive und ehemalige Bergarbeiter und ihre Familien wenden sich im Kampf gegen die Streichung der Deputatkohle als Rentenbestandteil in dem Maße an die kämpferische Bergarbeiterbewegung Kumpel für AUF, wie sie begreifen, dass die Sozialdemokratie selbst diese Streichung veranlasst hat.

Auch der Kampf um jeden Arbeitsplatz bei Betriebsstilllegungen und Entlassungen wird inzwischen Alleinstellungsmerkmal der MLPD. Alle bürgerlichen Parteien, einschließlich der Linkspartei, sehen sich nur noch bemüßigt, einen möglichst guten Sozialplan einzusetzen, weil sich alle darin einig sind, dass der Kampf um jeden Arbeitsplatz „zwecklos“ sei. Gerade die Belegschaft von Opel Bochum hat aber deutlich gemacht: Der Weg des Widerstands genießt große Unterstützung in der Arbeiterbewegung und in der Bevölkerung.

Die neue gesellschaftliche Rolle der MLPD unter den Massen wird zugleich aufgrund der Machtverhältnisse verdeckt und behindert. Es wird versucht, uns zu isolieren. Die MLPD kommt in den bürgerlichen Medien im Wesentlichen weiterhin nicht vor, während rechte Kräfte und Parteien wie Pegida und die AfD systematisch hochgeredet werden. Unser Umfeld, die Verbindungen zu Selbstorganisationen der Massen, zu organisierten Bewegungen und Initiativen sowie Einzelpersonen ist in den letzten beiden Jahren erheblich gewachsen. Gleichzeitig sind der Aktionsradius der MLPD und ihre organisatorische Kraft noch zu schwach, um ihre neue Rolle heute schon vollständig auszufüllen. Umso wichtiger ist, die MLPD erheblich zu stärken.

 

Der Parteitag hat einen Generationswechsel an der Parteispitze beschlossen. Was ist darunter zu verstehen?

Stefan Engel: Ich habe bereits Anfang 2015 dem Zentralkomitee mitgeteilt, dass ich aus gesundheitlichen Gründen die Funktion des Parteivorsitzenden nach dem X. Parteitag abgeben werde. Es widerstrebt mir zutiefst, eine Funktion zu bekleiden, ohne sie real vollständig ausfüllen zu können.

Die andere Seite ist, dass es tatsächlich der richtige Zeitpunkt ist, die Parteispitze einer jüngeren Generation zu überlassen. Noch sind Monika Gärtner-Engel und ich gut in der Lage, dieser jüngeren Generation bei der Einarbeitung in diese große Verantwortung mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Wir haben diesen Prozess dieses Generationswechsels sehr langfristig vorbereitet und legen seit Jahren einen ausgeprägten Schwerpunkt auf die verschiedensten Ausbildungsmaßnahmen. Es haben sich eine Reihe geeigneter Kader herausgebildet, die die Fähigkeiten, Erfahrungen und vor allem die Bereitschaft mitbringen, zu lernen, um höchste Verantwortung wahrzunehmen.

Die rechtzeitige Übergabe an die jüngere Generation hat in der MLPD schon Tradition. Ich selbst wurde vor 37 Jahren als jüngstes Mitglied der damaligen Zentralen Leitung des KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands) zum Politischen Leiter bzw. später Parteivorsitzenden gewählt. Natürlich war Willi Dickhut ideologisch-politisch und von seiner Erfahrung her weiter, aber er hat sich bewusst nicht ins Zentralkomitee wählen lassen und seine ganze Aufmerksamkeit auf die Ausbildung und Erziehung junger Genossen konzentriert. Auf diese Art und Weise war sein Ableben im Jahr 1992 auch keine Zäsur für die Partei, und wir konnten den großen Verlust von Willi Dickhut ohne größere Probleme verkraften.

Man denke nur an die bitteren Erfahrungen der internationalen Bewegung und auch der Geschichte der Arbeiterbewegung: Wie oft gab es nach dem Ausscheiden erfahrener Führungspersönlichkeiten Einbrüche, oder es brachen gar ganze revolutionäre Parteien zusammen oder entarteten revisionistisch, weil nicht rechtzeitig geeignete Genossinnen und Genossen herausgebildet wurden für ihre zukünftige Führung.

Das erste Plenum des neuen Zentralkomitees hat zwei Entscheidungen getroffen: Erstens wurde ich zum zehnten Mal zum Parteivorsitzenden der MLPD gewählt. Diese Funktion gilt aber nur übergangsweise bis Anfang April 2017. Der zweite Beschluss war, Gabi Gärtner einstimmig als neue Parteivorsitzende ab April 2017 zu wählen. Bis dahin arbeitet sie sich als meine Stellvertreterin ein und wird ihre anderweitigen Aufgaben und Funktionen abgeben, um sich dann vollständig auf ihre neue Aufgabe konzentrieren zu können. Ich selbst werde mich als Mitglied des Zentralkomitees dann auf die Leitung des theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG konzentrieren. Monika Gärtner-Engel, die sicherlich dazu in der Lage wäre, den Parteivorsitz von mir zu übernehmen, steht ebenfalls voll hinter dieser Entscheidung. Sie hat seit Juli 2016 die Aufgabe als Hauptkoordinatorin der ICOR übernommen und wird ab sofort mit der Leitung der Internationalismus-Arbeit der MLPD betraut. Damit ist für die neue Parteivorsitzende eine wichtige Unterstützung gegeben, denn vorher haben sich diese Verantwortungsbereiche alle unmittelbar auf die Funktion des Parteivorsitzenden konzentriert.

Gabi verfügt als eine revolutionäre Arbeiterin über eine bereits 13-jährige Erfahrung in der Parteiführung und hat sich insbesondere als Organisationssekretärin der Partei sehr verdient gemacht. Sie hat einen klaren Kopf, eine große Fähigkeit und Bereitschaft zu lernen. Sie verkörpert mit ihrer ganzen Person auch die Autorität, die für eine solche Funktion notwendig ist. Sie verfügt besonders über eine große Ausstrahlung auf die Arbeiter-, Frauen- und Jugendbewegung und hat sich durch die führende Tätigkeit bei den Brigaden in Kobanê auch international einen großen Namen gemacht.

Der X. Parteitag hat sich voll hinter diesen geplanten Generationswechsel gestellt, und die ganze Partei hat sich verpflichtet, mit ihrer Selbstveränderung zum Erfolg dieses Generationswechsels beizutragen. Das Vertrauen, das ich im Laufe der 37 Jahre als Parteivorsitzender in der Partei, unter Parteifreunden und in der internationalen marxistisch-leninistischen Bewegung erworben habe, war eine wichtige Grundlage für die Durchführung der Funktion. Es ist sehr bedeutsam, dass die ganze Partei diesem Generationswechsel nicht skeptisch gegenübertritt, sondern Gabi ein ebensolches Vertrauen entgegenbringt.

Der Generationswechsel an der Parteispitze und in verschiedenen Funktionen auf zentraler Ebene wird eine Kaderumwälzung von mindestens 50 Prozent unserer Genossinnen und Genossen nach sich ziehen. Das ist eine große Aufgabe, die die ganze Partei nur kollektiv zum Erfolg bringen kann.

Auch deshalb muss die Kritik-Selbstkritik-Kampagne zum X. Parteitag noch einige Zeit weitergehen. Das neue Zentralkomitee hat in diesem Zusammenhang den Begriff einer Qualifizierungs- und Qualitätsoffensive geprägt. Damit ist gemeint, dass jeder an dem höchsten Niveau für die neuen Aufgaben arbeitet und den unerschütterlichen Maßstab an seine Arbeit stellt, dass nur das Beste für die Arbeiter gerade gut genug ist.

 

Die Übergabe des Parteivorsitzes sieht nicht nach wohlverdientem Ruhestand aus!

Stefan Engel: Marxist-Leninist zu sein, ist ja kein Job, den man mit Renteneintritt gemächlich an den Nagel hängt – sondern eine revolutionäre Lebenseinstellung. Es gibt viel zu tun im voranschreitenden Prozess der Vorbereitung der internationalen Revolution; dabei werde ich meine langjährigen theoretischen und praktischen Erfahrungen in der revolutionären Arbeiterbewegung weiter einbringen.

Ich werde mich auf die theoretische Arbeit und die Leitung der Redaktion Revolutionärer Weg konzentrieren. Es ist von elementarer Bedeutung, dass unsere Partei die wesentlichen neuen Fragen vom Standpunkt des Marxismus-Leninismus schöpferisch analysiert und diesen weiterentwickelt. Dabei steht im Mittelpunkt die Ausarbeitung der nächsten Nummer unseres theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG zum Thema Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise“.

Die Krise der bürgerlichen Ideologie führt dazu, dass immer neue Varianten und Methoden der Manipulation der öffentlichen Meinung eingesetzt werden. Der Aufbau der MLPD ist die Geschichte der Herstellung der Überlegenheit der proletarischen Denkweise im Kampf gegen die kleinbürgerliche Denkweise, die sich wesentlich aus der bürgerlichen Ideologie speist. Dieser Kampf gewinnt erheblich an Bedeutung, weshalb wir die Herausgabe dieser neuen Nummer unseres theoretischen Organs unbedingt zielstrebig angehen müssen.

Parallel dazu arbeiten wir an „Biographischen Betrachtungen der MLPD über die Rolle von Stalin“. Es wird eine Streitschrift, die Stalins Werk und seine Lebensleistung kritisch würdigt. Es wird Zeit, den Massen mehr Material zu liefern, um mit der zersetzenden Wirkung der „Stalinismus“- und „Maoismus“-Hetze fertigzuwerden.

Natürlich stehe ich der neuen Parteiführung, wenn notwendig, auch mit Rat und Tat zur Seite. Das darf allerdings nicht als eine Art Coaching verstanden werden oder dass ich im Hintergrund die Fäden spinne und als graue Eminenz agiere. Bei uns ist eine gewählte Parteiführung auch wirklich die Leitung. Sie wird dafür jede Unterstützung bekommen, trägt aber auch die volle persönliche Verantwortung!

Mit dem X. Parteitag schieden auch einige Mitglieder der zentralen Gremien aus Alters- und Krankheitsgründen aus. Sie gehören zur ersten Generation des Parteiaufbaus, für deren Lebensleistung ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken will! Alle werden weiterhin ihren Beitrag in geeigneter Weise leisten.

Mit dem Generationswechsel an der Parteispitze geht gewissermaßen auch eine Ära zu Ende. Darüber muss man sich im Klaren sein!

Die jetzt nachfolgende Generation an der Spitze der Parteiführung ist bereits Produkt unseres Parteiaufbaus nach der Parteigründung und hat die komplizierte Zeit des Parteiaufbaus in den 1970er-Jahren gar nicht persönlich miterlebt. Sie ist geprägt vom Kampf um die Partei der Massen und hat sich bereits in verschiedensten Bereichen von Parteiaufbau und Klassenkampf und der Vorbereitung der internationalen Revolution verdient gemacht.

Der Generationswechsel an der Spitze unserer Parteiführung findet mitten in der dargelegten besonderen gesellschaftlichen Situation statt. Da besteht eine besondere Verantwortung, dass nicht nur die Arbeit auf dem erreichten Niveau fortgeführt werden muss – sondern es werden sich auch erhebliche neue Anforderungen und Möglichkeiten im Klassenkampf ergeben, die mutig und kompetent angegangen und ausgefüllt werden müssen.

 

Was ist das Besondere an diesem Generationswechsel?

Gabi Gärtner: Besonders ist die ganze Art und Weise, wie die Diskussion und Entscheidungsfindung erfolgte – denn wir haben ja eine ganze Reihe sehr guter geeigneter Genossinnen und Genossen. Der Parteitag und das anschließende ZK-Plenum haben solidarisch, unaufgeregt und ohne Konkurrenzgebaren strikt sachbezogen diskutiert und dann einvernehmlich entschieden. In jeder bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Partei würde eine solche Situation zu einem Sumpf von Spekulationen, Machtkämpfen, Zerwürfnissen und Intrigen führen. Bei der MLPD geht es dagegen um die Sache; darum, wie wir unsere Arbeit als revolutionäre Arbeiterpartei am besten ausfüllen – und dafür gemeinschaftlich die besten Repräsentantinnen und Repräsentanten herauszufinden und ausbilden. Ich bedanke mich an dieser Stelle ganz herzlich für das Vertrauen, das mir vom Parteitag und vom Zentralkomitee entgegengebracht wird. Das ist natürlich auch mit großen Erwartungen verbunden, die ich nicht enttäuschen will.

 

Was wird die neue Parteivorsitzende anders machen als bisher?

Gabi Gärtner: Zuallererst geht es darum, den „MLPD-typischen" Führungsstil eigenständig zu verwirklichen und auszugestalten! Die bisherige Parteiführung und -basis hat uns ein hervorragendes „Erbe“ mitgegeben: eine stabile Partei, vielfältigste Erfahrungen, die Verankerung unter den Massen, eine hervorragende ideologisch-politische Linie und einen funktionierenden Parteiapparat. Aber – auch einen hohen Anspruch! Diese Arbeit, die Stefan Engel in den letzten 37 Jahren und seit 20 Jahren zusammen mit Monika Gärtner-Engel geprägt hat, beinhaltet eine Reihe wichtiger Merkmale, die der X. Parteitag unwiderruflich auch zu Leitlinien der künftigen Führung erklärt hat:

  • Die unerschütterliche Kampfmoral und der eiserne proletarische Klassenstandpunkt.

  • Die konzeptionelle und theoretische Arbeit, um neue Erscheinungen und wesentliche Veränderungen auf der Welt rechtzeitig zu qualifizieren und die Strategie und Taktik der Partei festzulegen.

  • Die Bereitschaft und Fähigkeit, ein Kollektiv zum Tragen zu bringen, von allen zu lernen, prinzipienfest und zugleich offen für Neues zu sein.

  • Das höchste Niveau in der bewussten Anwendung der dialektischen Methode auf dem Niveau der Lehre von der Denkweise und des systemischen Denkens, um Fehler zu vermeiden und große ideologisch-politische Treffsicherheit zu erreichen.

  • Die differenzierte, prinzipielle und zugleich feinfühlige Kaderarbeit.

  • Das tiefe Vertrauen in Partei und Massen, die enge Verbindung zur Parteibasis und den Arbeitern.

  • Die nötige Kühnheit, Umsicht wie Entschlossenheit im Klassenkampf.

  • Die dialektische Kritik und Selbstkritik, offene und streitbare Atmosphäre der „klaren Worte“ – immer in Einheit mit Vertrauen und Solidarität.

  • Die Prägung eines proletarischen Stils – gegen Funktionärsgehabe und bei Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

  • Das wissenschaftliche Arbeiten mit höchster Arbeitsproduktivität.

Während also für mich und die anderen nachrückenden Genossen die weitere Befähigung für diese Qualitätsmerkmale im Zentrum steht, geht es natürlich auch darum, unseren eigenen Stil in der Führung zu entwickeln. Man kann und sollte die Führungspersönlichkeit von Stefan Engel nicht kopieren wollen. Das Neue bezieht sich vor allem darauf, die neuen Aufgaben und Anforderungen selbständig zu meistern, gestützt auf die ganze Partei – und sicherlich erhalten wir auch den Rat der erfahrenen Genossen. Auf die Herausforderungen, die der Parteiaufbau, der Klassenkampf und die Vorbereitung der internationalen Revolution an uns stellen, müssen wir die richtigen Antworten finden.

 

Seit dem 1. Juli 2016 hat Monika Gärtner-Engel die Aufgabe der Hauptkoordinatorin der ICOR übernommen. Ist der Übergang glatt gelaufen – und was nimmt sich die ICOR vor?

Stefan Engel: Der Übergang ist sehr einvernehmlich, reibungslos und fast wie selbstverständlich vor sich gegangen. Das liegt sicherlich auch daran, dass die ICOR schon eine feste Prägung errungen und die neue Hauptkoordinatorin vertrauensvoll angenommen hat. Durch das gewachsene Zusammengehörigkeitsgefühl und die Anerkennung der MLPD entwickelt sich die Zusammenarbeit sehr solidarisch und effektiv.

Der ICOR kommt in der aktuellen Weltlage große Bedeutung zu. Wie zuletzt die Wahl von Trump zeigt, gibt es einen Rechtsruck vieler Regierungen. Die ICOR wird eine maßgebliche Rolle spielen, damit die Massen daraus vorwärtstreibende Schlüsse ziehen: statt zurück zum Nationalismus – vorwärts zur internationalen Befreiung vom Diktat des international allein herrschenden Finanzkapitals! Die wichtigste Weiterentwicklung der ICOR wird die tatsächliche praktische, vor allem kontinentale und regionale Kooperation und Koordinierung der Kämpfe und der Revolutionäre sein. Mit dem Solidaritätspakt mit dem kurdischen Befreiungskampf hat die ICOR den Weg gewiesen, wie das gehen kann. Was hier noch eine Besonderheit war – die weithin ausstrahlende Bewährung an einem weltpolitischen Brennpunkt –, wird zum Allgemeingut werden.

Dabei wachsen die Potenziale ungemein. Aus Afrika hat ganz aktuell eine Organisation aus der Elfenbeinküste einen Aufnahmeantrag an die ICOR gestellt. Es deutet sich jetzt schon an, dass das von der ICOR Afrika beschlossene Ziel, die ICOR-Organisationen in Afrika bis zur nächsten Kontinentalkonferenz zu verdoppeln, keine Illusion ist.

Ein wichtiger künftiger Auftrag ist der Kampf um den Weltfrieden: In den heutigen Stellvertreterkriegen in der Ukraine oder in Syrien ist es für die Massen schwer, einen Gegner zu identifizieren und zu bekämpfen. Beim Irak-Krieg war das mit dem allseits verhassten Hauptgegner USA leichter. Die Revisionisten spielen heute eine schändliche Rolle, wenn sie mit ihrer Verteidigung Putins oder Assads die Verwirrung komplettieren und durch entsprechende Verwirrung die Friedensbewegung paralysieren. Auch hier kann und muss die ICOR mit ihrer einzigartigen Kenntnis und Verbindung zu den Massen in den jeweiligen Ländern eine klare Orientierung geben und den Kampf gegen einen drohenden III. Weltkrieg koordinieren und revolutionieren.

In diesen Kämpfen wird die ICOR 2017 großen Wert auf die Verankerung des Sozialismus als gesellschaftliche Alternative legen. Der 100. Jahrestag der Oktoberrevolution ist sehr gut geeignet, die verschiedenen Erfahrungen, Prinzipien und die weltbewegende Wirkung dieses ersten großen Siegs der proletarischen Revolution zu verankern. Die ICOR wird dazu eine internationale Kampagne durchführen. Sie wird erfreulicherweise auch von Parteien unterstützt, die nicht in der ICOR sind. So findet vom 27. bis 29. Oktober 2017 ein internationales theoretisches Seminar statt mit dem Titel „Lehren aus der Oktoberrevolution“ sowie am 28. Oktober 2017 eine kulturelle internationale Großveranstaltung. Auch andere ICOR-Parteien entfalten vielfältigste Initiativen: Die russischen Genossen laden uns alle ein, in St. Petersburg eine internationale Demonstration durchzuführen! In Nepal wird die NCP (Mashal) aus diesem Anlass einen Parteitag durchführen und will 200 000 neue Mitglieder gewinnen. In Tunesien findet ein regionales Seminar zu 100 Jahre Oktoberrevolution statt, und in Lateinamerika soll eine gemeinsame Publikation erscheinen. Wir werden der Oktoberrevolution also keineswegs nostalgisch-dogmatisch gedenken, sondern die Feierlichkeiten aufs Engste mit der heutigen Führung von Klassenkämpfen, der Verankerung des Sozialismus und der Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution durchdringen.

 

Was sind die wichtigsten Aufgaben in der nächsten Zeit?

Gabi Gärtner: Wir werden die Kritik-Selbstkritik-Kampagne noch eine Zeit lang weiterführen. Ihre Aufgabe besteht darin, die kritisch-selbstkritische Aneignung der Ergebnisse des X. Parteitags mit ihrer schöpferischen Anwendung in der Praxis zu verbinden.

Im Zentrum steht dabei unsere taktische Offensive für den echten Sozialismus im Rahmen des Internationalistischen Bündnisses gegen den Rechtsruck der Regierung und der bürgerlichen Parteien. Der Aufbau dieser Bewegung mit der konkreten Organisationsform der Internationalistischen Liste/MLPD und der Aufbau von Wählerinitiativen als Organisationsform des Bündnisses an den Orten muss jetzt von allen Parteieinheiten und -leitungen konsequent angegangen werden. Zunächst steht dann die Beteiligung der Internationalistischen Liste/MLPD an den Landtagswahlen in NRW im Mai 2017 an – als „Warm-up“ zum Bundestagswahlkampf 2017. In Nordrhein-Westfalen durchdringen sich wichtige Brennpunkte im Klassenkampf. So der Kampf gegen die Zechenschließungen und den Giftmüll unter Tage, der Kampf gegen die Vernichtung der Arbeitsplätze im Stahlbereich, die Auseinandersetzungen um die Schul- und Flüchtlingspolitik usw. Diese Landtagswahl wird eine wichtige Vorentscheidung für die Bundestagswahl sein, weshalb es unbedingt notwendig ist, dass die Internationalistische Liste/MLPD sich von Anfang an als gesellschaftliche Alternative präsentiert.

Der Generationswechsel an der Parteispitze wird große Veränderungen in der ganzen Partei nach sich ziehen. Wir brauchen viele neue Kräfte, die in Funktionen auf allen Ebenen der Partei und in den unterschiedlichsten Aufgaben neue oder höhere Verantwortung übernehmen.

Vor allem für unsere Betriebsgruppen in den industriellen Großbetrieben ist es wichtig, dass der Parteitag gründlich angeeignet wird und zu einer wirklichen Selbstveränderung in der Arbeit führt. Der X. Parteitag hat sich sehr ausführlich mit den neuen Anforderungen für die Auslösung und Führung von Arbeiterkämpfen beschäftigt, entsprechend den neuen Anforderungen an das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse. Ohne diesen Selbstveränderungsprozess werden wir unseren Einfluss in den industriellen Großbetrieben weder halten noch ausbauen können. Deshalb ist er von grundlegender Bedeutung für die gesamte Parteiarbeit.

In der marxistisch-leninistischen Jugendarbeit als Massentaktik des Parteiaufbaus haben wir Fortschritte erreicht. Sie ist aber noch keineswegs nachhaltig als Allgemeingut und in der ganzen Partei durchgesetzt. Dabei ist auch eine entscheidende Veränderung in unserer Hochschularbeit notwendig. 52 Prozent der Jugendlichen studieren heute an den Hochschulen.

Wir werden künftig 10 Prozent unserer Gruppen auf die Hochschularbeit konzentrieren und nehmen uns vor, dass jeder Kreisverband mit Universität bis zum XI. Parteitag eine Hochschulgruppe der MLPD und auch des REBELL aufbaut. Die Hochschulpolitik muss künftig von unseren Landesleitungen geführt und aufs Engste mit der gesamten Jugendarbeit durchdrungen werden.

Insgesamt muss – bei aller Ausweitung unserer Aktivitäten – die Arbeit an der Hauptkampflinie neuen Typs gestärkt werden. 40 Prozent der Kräfte und Ressourcen wollen wir künftig dafür nutzen. Das wurde aufgrund vieler neuer Aufgaben teilweise verdrängt. 35 Prozent der Kräfte werden wir auf die Wohngebietsarbeit und 15 Prozent auf die Umweltarbeit konzentrieren.

Unzufrieden sind wir mit einer gewissen Argumentationsarmut in unserer Agitation und Propaganda und der Roten Fahne. Wir müssen vielmehr ständig an neuen, überzeugenden Argumenten arbeiten, und jeder ist aufgefordert, dazu beizutragen. Die Wirklichkeit ist voll davon!

Wir werden auch die veränderten Lese- und Informationsgewohnheiten der Massen mehr berücksichtigen und das Internet, soziale Netzwerke usw. unter Berücksichtigung der Sicherheitsaspekte stärker nutzen. Sehr wichtig ist uns, die Schulungs- und Bildungsarbeit an der Parteibasis und unter den Massen auszuweiten. Die Herausgabe unseres überarbeiteten Parteiprogramms und seine Diskussion in öffentlichen Studiengruppen wird dafür sicherlich eine Hauptmethode werden. Wir arbeiten bereits an einem Programmkommentar – als wichtigem Basismaterial dieser Schulungs- und Bildungsarbeit.

Wir werden außerdem die Arbeit auf neuen Feldern wie der proletarischen Flüchtlingspolitik und der marxistisch-leninistischen Sozialarbeit weiterentwickeln. Auch die marxistisch-leninistische Frauenarbeit muss organisatorisch gestärkt werden und die zweitwichtigste Kampflinie Umweltarbeit ihren festen Platz im System der Kleinarbeit bekommen. Nicht zuletzt werden wir unsere proletarische Finanzpolitik systematisch weiterführen, und mit unserer Spendenkampagne haben wir uns vorgenommen, 750 000 Euro zu sammeln. Zehn Prozent davon sollen für die ICOR sein.

 

Wie werden die Ergebnisse des X. Parteitags nun angeeignet und in die Praxis umgesetzt?

Stefan Engel: Die Entwicklung des Klassenbewusstseins geht einher mit einem wachsenden Bedürfnis nach Organisiertheit, Bewusstheit und Klarheit. Die MLPD ist in der Lage, mit ihrem X. Parteitag überzeugende revolutionäre Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben. Es ist wichtig, dass sich unsere Mitglieder die Zeit nehmen, sich gründlich damit zu befassen.

Demnächst wird auch das überarbeitete Parteiprogramm erscheinen, das wir in zehntausendfacher Auflage unter den Massen vertreiben wollen.

Eine gute Zeit, um neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter für MLPD und REBELL zu gewinnen; das muss bereits zu Beginn der Offensive erfolgen! Das Ziel von zehn Prozent neuen Mitgliedern bis Jahresende ist wichtig, um diese Offensive allseitig führen zu können. Wir werden dabei in bewährter Weise niemanden überreden – sondern wirklich überzeugen. Erste Erfahrungen zeigen: Die Zeit ist überreif für einen großen Schritt vorwärts in der Mitgliedergewinnung! Die Mitgliedschaft in der MLPD ist natürlich mit einer großen Veränderung und Bereicherung auch im persönlichen Leben verbunden, die mit ganzem Herzen vollzogen werden muss. Die MLPD ist die Organisation der praktischen Tätigkeit der Revolutionäre, in der sich insbesondere Arbeiter mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten bestens einbringen können.

 

Rote Fahne: Vielen Dank für das Interview!

 

Foto von Stefan Engel in druckbarer Auflösung

Foto von Gabi Gärtner in druckbarer Auflösung

Das Interview als PDF zum Download

Das komplette Rote Fahne Magazin 24/2016 als pdf-Datei zum Download

 

¹ Vorläufiges Wahlergebnis, Stand 15.11.16, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

² www.internationalistische-liste.de

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