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Unsere Antwort auf den Brief von Tjen Folket

von Sanjay Singhvi, CPI(ML), 10. August 2013

Wir sind traurig darüber, dass eine der Organisationen der ICOR beschlossen hat auszutreten, aber wir sind nicht einverstanden mit der Art und Weise, in der dieser Austritt durchgeführt wurde und auch nicht mit dem eigentlichen Gehalt des Austritts.

Die ICOR ist eine Organisation für praktische Aktivität. Die Parteien in der ICOR haben in vielen Fragen und sogar in Bezug auf “Leitlinien” unterschiedliche Ansichten. Unter den verschiedenen Mitgliedsorganisationen der ICOR gibt es eine gute und demokratische Atmosphäre. In Indien selber gibt es zwei verschiedene Parteien, die Mitglieder der ICOR sind. In der ICOR wird immer eine Atmosphäre der freien und offenen Debatte gefördert. Es ist überraschend, dass Tjen Folket keine einzige Frage als Debatte aufgeworfen, sondern den ultimativen Schritt des Austritts gewählt hat. Das an sich weist auf einen sektiererischen Standpunkt hin. Auch jetzt noch laden wir Tjen Folket ein, jegliche tatsächlichen Bedenken zu äußern, die sie vielleicht haben, damit diese ausdiskutiert werden können. Wir werden sicherlich denFehler in unseren Wegen einsehen, wenn er uns nachgewiesen werden kann.

Tjen Folket hat eine einseitige Beleidigung gegen unsere Partei erhoben. (Da wir die aktivste Partei aus Indien in ICOR-Aktivitäten sind, nehmen wir an, dass sie uns meinen). Auch das ist nicht die korrekte kommunistische Methode. Sie hätten uns ihre Kritiken an uns leicht mitteilen können und wir hätten entweder irgendwelche Falschinformationen klären oder unseren Standpunkt darlegen können, was zu einer fruchtbaren Diskussion geführt hätte, in der wir, wenn unser Standpunkt sich als falsch erwiesen hätte, sicherlich bereit gewesen wären, unsere Ansichten zu ändern. Eine solche Debatte zu vermeiden zeigt Verachtung uns und anderen Parteien in der ICOR gegenüber, eine undemokratische Haltung und letztlich eine sektiererische Haltung.

Nun zum eigentlichen Gehalt der Kritik. Tjen Folket sagt, dass wir den Marxismus-Leninismus-Maoismus angegriffen haben. Das ist absolut unwahr. Wir akzeptieren “Maoismus” nicht, denn wir fühlen uns noch in der Epoche des Leninismus, nämlich der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution. Wir haben darüber viele Artikel geschrieben und darüber, dass der “Maoismus” eine falsche Konzeption ist. Viele Parteien in der ICOR anerkennen den “Maoismus” nicht. Einige, wie wir, anerkennen den “Marxismus-Leninismus-Mao Zedong-Ideen” als Leitlinie. Einige akzeptieren nur den “Marxismus-Leninismus”. Es wäre unehrlich und lächerlich, wenn wir uns mit dem Zitat aus der ICOR zurückziehen würden, dass Tjen Folket Mao Zedong-Ideen oder den Marxismus-Leninismus “angreift”. Wir wissen, dass viele Parteien in der ICOR den “Maoismus” anerkennen. In Lateinamerika gibt es viele Parteien, die “Maoismus” verwenden, während sie noch immer anerkennen, dass wir uns in der Epoche des Leninismus befinden. Hier wird der “ismus” vor allem als Anerkennung von Maos Beiträgen verwendet, was wir nie abgelehnt haben. Wir meinen, dass sehr wenig Unterschied zu solchen Parteien besteht, außer in der Semantik. Wenn jedoch Parteien wie die CPI(Maoist) von “Maoismus” sprechen, um zu zeigen, dass sich die Epoche geändert hat, halten wir das für eine gefährliche Konzeption.

Der im April 1969 von Lin Biao dem 9. Parteitag der chinesischen Kommunistischen Partei vorgelegte Politische Bericht versicherte, dass dies die Epoche ist, “in der der Imperialismus dem völligen Zusammenbruch entgegengeht und der Sozialismus zum weltweiten Sieg voranschreitet”. Das war unserer Ansicht nach ein falsches Verständnis. Im selben Bericht legte Lin Biao dann die vier grundlegenden Widersprüche in der Welt auf andere Art dar. Wir denken, dass das auch von der falschen Vorstellung vom Wandel der Epoche her rührte. Genauso erlagen viele Parteien überall in der Welt, die der Führung der chinesischen Partei im Kampf gegen den Chruschtschow-Revisionismus folgten, der Theorie vom Wandel der Epoche. Beispielsweise erklärte die damalige CPI(ML) in Indien zur Frage der Beteiligung an Wahlen, dass das Parlament in dieser Epoche politisch und historisch überholt sei. Das stand im direkten Gegensatz zur Position Lenins im “Linksradikalismus”(??). Wir würden sehr gerne die Ansichten von Tjen Folket zu diesen wichtigen Fragen wie derjenigen, die den Wandel der Epoche betrifft, erfahren, damit wir diese Diskussion weiter treiben können, statt dass sich die Positionen auf der Grundlage von Semantik verhärten.

Tjen Folket hat gesagt, dass wir die CPI(Maoist) “angreifen”. Wenn sie darunter verstehen, dass wir nicht mit ihnen übereinstimmen, dann ist das offensichtlich und müsste es seit den vorbereitenden Treffen zur Bildung der ICOR gewesen sein. Wenn wir mit ihnen in strategischen Fragen einer Meinung gewesen wären, hätte es keine Notwendigkeit dafür gegeben, in verschiedenen Parteien zu sein. Ja, wir “greifen” die CPI(Maoist) an, wenn sie sich in Angriffen auf Passagier-Züge ergehen und dabei hunderte unschuldiger Passagiere töten, oder selbst als sie den Wahl-Konvoi der herrschenden Partei angegriffen haben und 27 Menschen töteten. Zugleich haben wir konsequent gegen die Gräueltaten gekämpft, die vom Staat und den Polizeikräften gegen die Maoisten begangen wurden und auch gegen die von diesen im Namen des Kampfs gegen die Maoisten begangenen Gräueltaten an den Menschen. CPI(Maoist) ruft noch immer zum “Boykott von Wahlen” als eine strategische Ausrichtung auf und verurteilt alle Parteien, die jemals in dieser “Epoche” an Wahlen teilgenommen haben, als “revisionistisch”. Sie baut keine gesamtindischen Klassen- oder Massenorganisationen auf und legt ihren gesamten Schwerpunkt nur auf die “gebietsweise Ergreifung der Macht”. Sie hält noch immer den Weg des langwierigen Volkskriegs als den einzigen Weg für die Revolution in Indien aufrecht. Solch eine Strategie entstammt einer sektiererischen und anarchistischen Haltung. Diese Kritik an der CPI(Maoist) haben wir oft deutlich gemacht. Aber wir verstehen die Einwände von Tjen Folket nicht. Stimmen sie zu, dass “Boykott von Wahlen” eine strategische Angelegenheit ist und dass alle Parteien, die sich in dieser “Epoche” an Wahlen beteiligen, “revisionistisch” sind? Wenn das der Fall ist, warum haben sie sich dann überhaupt der ICOR angeschlossen, da bekanntlich die meisten der Parteien in der ICOR sich an Wahlen beteiligen? Sind sie überzeugt von der Bildung gesamt-norwegischer Klassen- und Massenorganisationen oder nicht? Sind sie auch für Norwegen überzeugt von der “gebietsweisen Ergreifung der Macht”? Sind sie davon überzeugt, dass eine solche Strategie im heutigen Indien funktionieren würde? Wir hätten wirklich gerne eine Gelegenheit, diese Fragen mit ihnen zu diskutieren.

Was den Weg des langwierigen Volkskriegs angeht, ist unser Standpunkt sehr klar. Wir haben den Weg des “langwierigen Volkskriegs” als Weg der Revolution in Indien aufgegeben. Auf der Besonderen Konferenz in Bhopal 2009 haben wir ein Dokument mit dem Titel “Weg der indischen Revolution” beschlossen und das auf dem 9. Parteitag, der 2011 in Bhubaneshwar stattfand, weiter ausgearbeitet. Ein Exemplar dieses Dokuments ist auf unserer Homepage www.cpiml.in. erhältlich. Speziell über http://www.cpiml.in/home/files/Party%20Documents/ Basic_Documents_of_CPI_ML.pdf erhaltet ihr im Kapitel “Pfad der indischen Revolution” das Dokument. Schon viel früher hatten wir festgestellt, dass Mao den “langwierigen Volkskrieg” niemals als Strategie für die Revolution entwickelt hatte, die überall in der Welt anzuwenden sei. Es war einzig Lin Biao, der in seiner Rede “Lang lebe der Sieg im Volkskrieg” 1966 die Ansicht vertrat, dass die chinesische Strategie überall in Asien, Afrika und Lateinamerika anzuwenden sei. Diese These von Lin Biao akzeptieren wir nicht. Kürzlich haben wir eine Kritik an der Neuen Kommunistischen Partei Italiens entwickelt, die den “langwierigen Volkskrieg” als Strategie für die Revolution in Italien anerkennt. Wir “verurteilen” nicht die Strategie des “langwierigen Volkskriegs” und anerkennen sie als die korrekte Strategie unter den Bedingungen, wie sie in China im zweiten Quartal des 20. Jahrhunderts bestanden. Es könnte sogar damals die korrekte revolutionäre Strategie in Indien gewesen sein. Jedoch sind wir nicht bereit, sie als korrekte revolutionäre Strategie für alle Orte und alle Zeiten anzuerkennen. Ganz besonders anerkennen wir sie nicht als korrekte revolutionäre Strategie für das heutige Indien. Der Brief von Tjen Folket ist nicht klar in Bezug auf ihren Standpunkt. Anerkennen sie sie als korrekte revolutionäre Strategie für alle Zeiten und Orte? Anerkennen sie sie als korrekte revolutionäre Strategie für das heutige Norwegen? Anerkennen sie sie als einzig korrekte revolutionäre Strategie für das heutige Indien? Wenn das der Fall ist, auf welcher Grundlage begründen sie ihre Anerkennung? Wir hätten gerne eine Gelegenheit, all diese Fragen mit ihnen zu diskutieren.

Hier ergibt sich eine weitere Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Ist Tjen Folket der Meinung, dass sie nicht Teil irgendeines internationalen Zusammenschlusses sein werden, bis alle Mitgliedsorganisationen dieses Zusammenschlusses mit ihnen in obigen Fragen übereinstimmen? Das wäre sehr sektiererisch! Ihnen müssen die Ansichten der verschiedenen Mitgliedsorganisationen der ICOR zu obigen Fragen bekannt gewesen sein.

Wir haben unsere Ansichten ganz gewiss nie geheim gehalten. Alle Mitgliedsorganisationen der ICOR stimmen eindeutig nicht mit dem überein, was ihre Sorge in allen obigen Fragen zu sein scheint. Wir hoffen, dass sie der ICOR mit weit geöffneten Augen beigetreten sind und nicht gezwungen oder getäuscht wurden, sich der ICOR anzuschließen.

Außerdem sind wir die einzige Partei, die von ihnen ausgesucht wurde, während uns viele Parteien einfallen, die es in der ICOR gibt, die wohl nicht mit Tjen Folket in allen obigen Fragen übereinstimmen. Wir wissen nicht, ob wir geschmeichelt, alarmiert oder einfach amüsiert sein sollen.

Auch sagt Tjen Folket, dass sie weitere wichtige Differenzen mit anderen ICOR-Mitgliedsorganisationen und mit der Grundlage der Einheit der ICOR haben. Die Grundlage der Einheit hat sich nicht geändert, seit sie Mitglied geworden sind. Nureinige neue Organisationen haben sich seit ihrem Beitritt der ICOR angeschlossen. Also welche Veränderung hat dann stattgefunden, die sie veranlasst, sich zurückzuziehen? Sie legen nicht dar, mit welchen anderen Organisationen sie wichtige Differenzen haben und was ihre Differenz zur Grundlage der Einheit ist. Sind sie der Ansicht, dass ihr Beitritt von Anfang an falsch war? Ist dieser Austritt dem Wesen nach auch eine Selbstkritik? Zu solchen Fragen zu schweigen fördertnicht das Wachstum der Streitkultur. Es wird nur Opportunismus und andere falsche Tendenzen fördern.

Anlass zu einer der größten Sorgen ist jedoch, dass sie im Anfangsteil ihres Briefes erwähnen, dass sie “der Beteiligung an internationalen Konferenzen und Organisationen niemals hohe Priorität beigemessen haben”. Sie stellen das ihren Aufgaben innerhalb Norwegens gegenüber. Das richtet sich gegen den Geist des proletarischen Internationalismus. Der Kommunismus ist eine internationalistische Ideologie. Sie stellt die nationalen Aufgaben nicht den internationalen Aufgaben entgegen. Besonders im heutigen Zeitalter der Globalisierung, der internationalen Formen der Produktion, der Verteilung und des Austauschs und des international freien Flusses des Kapitals, darf der Zusammenhang zwischen den nationalen und internationalen Aufgaben der Kommunisten nicht ignoriert werden. Die nationalen Aufgaben den internationalen Aufgaben entgegen zu stellen, ist nicht sinnvoll. Wir verstehen, dass in armen Ländern wie Indien, internationale Aufgaben von den Mitteln, die aufgebracht werden können, begrenzt werden müssen, angesichts der Kosten für internationale Reisen. Solche Grenzen treffen in gewissem Maße auch auf reichere Länder zu. Das sollte jedoch Kommunisten nicht davon abhalten, internationalen Aufgaben Bedeutung beizumessen. Beispielsweise kostet ein Hin- und Rückflug nach Europa sechs Monate Mindestlohn in Indien und etwa 8 Monate Mindestlohn in Bangladesch. Wenn Parteien aus Bangladesch und Indien trotzdem ihren internationalen Aufgaben nachkommen, dann sollte das für Parteien aus Norwegen leichter sein, wo ein Hin- und Rückflug nach Indien nur etwa einen Wochen-Einstiegslohn kosten würde (angenommen einen Einstiegslohn von rund 133 NOK pro Stunde).

Schließlich denken wir, dass Kommunisten heutzutage der Debatte nicht aus dem Weg gehen können. Es ist klar, dass “vorfabrizierte” Blaupausen für die Revolution überall in der Welt gescheitert sind. Die kommunistische Weltbewegung befindet sich seit mindestens 50 Jahren im Abschwung. Wir sind überzeugt, dass der Kommunismus von einer konkreten Analyse der konkreten Situation ausgehen muss. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben viele tiefe und weitreichende Veränderungen in der Welt stattgefunden. Der Imperialismus hat seine Methoden geändert, um mit der Zeit mit zu halten. Das alte Kolonialsystem ist einem neo-kolonialen System gewichen. In den frühen 70ern hat der Imperialismus das keynesianische “Wohlfahrts”-System zugunsten eines monetaristischen Systems aufgegeben. Der Tendenz nach Veränderung folgend wurden in den 90ern der Dunkel-Entwurf, die WHO und die Globalisierung eingeführt. Wir denken, dass die Kommunisten es versäumt haben, eine korrekte Analyse dieser Veränderungen zu machen. Als der Kapitalismus sich zum Imperialismus wandelte, machte Lenin im Kampf gegen die führenden Marxisten dieser Periode, wie Kautsky, eine prägnante Analyse des Imperialismus. Wir sind damit gescheitert, den Neokolonialismus, Monetarismus oder sogar die Globalisierung auf diese Weise zu analysieren. Deshalb müssen wir heute mehr als jemals zuvor die Debatte und die Diskussion über verschiedene Themen fördern. Vielleicht liegen wir mit unseren Aussagen falsch, aber wir sind überzeugt, dass wir noch immer Recht damit haben, Versuche zu unternehmen, die ideologische Stagnation der vielen vergangenen Jahre zu durchbrechen. Wir können nicht glauben, dass Marx, Lenin und Mao alle Fragen beantwortet haben. Sogar sie selber hätten diese Annahme nicht akzeptiert.

Wir ersuchen Tjen Folket, ihren Austritt aus der ICOR zurück zu ziehen. Wir sind einverstanden, alle Fragen mit ihnen frank und frei zu diskutieren. Unsere Parteizentrale hat beschlossen, eine Delegation von ihnen nach Indien einzuladen, um alle Fragen zu diskutieren. Während ihres Aufenthalts in Indien werden wir für ihre Unterkunft und Verpflegung aufkommen. Sie können sich auch mit anderen Parteien in Indien treffen, was wir nach unseren besten Möglichkeiten unterstützen werden. Wir bedauern, dass wir ihre Reisekosten nicht tragen können.

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