Die Turbulenzen des imperialistischen Weltsystems bereiten den Boden einer revolutionären Weltkrise!
Mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 brach eine weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise aus. Im Vergleich zu den anderen Weltwirtschaftskrisen nach dem II. Weltkrieg unterscheidet sich ihr Verlauf deutlich. Woran liegt das?
Ende 2008 hatten wir bereits die Prognose aufgestellt, dass wir es
mit der an Umfang, Tiefe und Wirkung tiefsten Weltwirtschafts- und
Finanzkrise zu tun haben, die der Kapitalismus bisher erlebte. Zunächst
schien es anders zu kommen. Durch ein einmaliges gemeinsames
internationales imperialistisches Krisenmanagement gelang es, einen
unkontrollierten Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu verhindern und
den Kriseneinbruch der Weltwirtschaft abzubremsen. Vor allem konnten die
Herrschenden die politischen Erschütterungen, mit denen solche
Wirtschaftskrisen üblicherweise einhergehen, vorerst abdämpfen.
Dreieinhalb Jahre nach Ausbruch dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise
bahnt sich nun ein neuer wirtschaftlicher Einbruch an, der die
anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise noch weiter vertiefen und
verschärfen würde. Die Regierungen der imperialistischen Länder stehen
vor einem riesigen Scherbenhaufen. Keiner weiß, wie man ihn wegräumen
soll. Das internationale Krisenmanagement ist gescheitert.
Das Hauptproblem der Herrschenden besteht mittlerweile darin, dass sie
die politischen Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise
nicht mehr im Griff haben. Damit schränkt sich der Spielraum staatlicher
Maßnahmen für die Fortführung des Krisenmanagements drastisch ein.
Ökonomische und politische Massenkämpfe beherrschen inzwischen das Bild
in den meisten Ländern der Welt. Die demokratische Aufstandsbewegung,
die in Nordafrika ihren Ausgangspunkt hatte, hat immer mehr Länder
erfasst. Die Massen sind weltweit gegen das allein herrschende
internationale Finanzkapital, seine ausbeuterischen und
unterdrückerischen Methoden sensibilisiert. Der länderübergreifende Kampf für Freiheit und Demokratie ist zur hervorstechendsten Erscheinung der Zeit geworden.
Die allgemeine Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems kann
nicht überwunden werden, die Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist auf
absehbare Zeit nicht in den Griff zu bekommen. Politische Gewitter
werden heraufziehen, die die Tendenz zur revolutionären Weltkrise
beschleunigen.
Anfang Dezember fand bereits der 13. EU-Krisengipfel seit Anfang 2010 statt. Die teilnehmenden Regierungen feierten ihn als Durchbruch in der "Stabilisierung des europäischen Finanzsystems"! Das will inzwischen niemand mehr so recht glauben.
Diese Skepsis ist angebracht! Auf dem EU-Gipfel wurde eigentlich
nichts anderes getan, als den Vorsatz zu verkünden, künftig die
Staatsverschuldung abzubremsen. Das ist erstens nicht mehr als eine
Absichtserklärung, und zweitens könnte auch dies die Probleme nicht
lösen.
Ein wesentliches Symptom ist im Moment das Stocken des
Zahlungsverkehrs. Die Banken leihen sich untereinander kaum noch Geld
aus und Kredite an die Wirtschaft werden nur zögerlich gewährt.
Insbesondere von den Ländern, in denen die Weltwirtschafts- und
Finanzkrise am wenigsten bewältigt wurde – Italien, Griechenland,
Spanien und Portugal – werden auf den Finanzmärkten
überdurchschnittliche Zinsen für neue Staatsanleihen verlangt. Das
beeinträchtigt nicht nur die Zahlungsfähigkeit dieser Staaten
empfindlich, sondern treibt sie auch noch tiefer in die Verschuldung
und bremst ihre Wirtschaftsentwicklung weiter ab. Die Behauptung, die
jetzige Situation wäre durch die zu hohe Staatsverschuldung ausgelöst,
ist unsinnig. Die wirkliche Ursache der Weltwirtschafts- und
Finanzkrise liegt in der chronischen Überakkumulation des Kapitals, in
die die kapitalistische Produktionsweise mit der Neuorganisation der
internationalen Produktion geraten ist.
Wird denn der Überakkumulation des Kapitals nicht durch die Maßnahmen der Regierung begegnet?
Chronische Überakkumulation des Kapitals bedeutet: Die ungeheure
Anhäufung von Kapital kann anhaltend nicht mehr maximalprofitbringend
verwertet werden. Die so ständig wachsenden spekulativ getätigten
Investitionen finden keine ausreichenden Märkte, um
maximalprofitbringend umgesetzt zu werden. Ein Beispiel ist China. Dort
wurde über staatliche Subventionen spekulativ weiter in Immobilien
investiert. Das hat im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Ankurbelung des
Massenkonsums zeitweilig zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung
geführt, der die ganze Weltwirtschaft belebte und den Eindruck erweckte,
die Weltwirtschafts- und Finanzkrise sei vorüber. Jetzt platzt die
Spekulationsblase mit nicht abschätzbaren Folgen für die chinesische und
die Weltwirtschaft.
Die von Merkel vielfach beschworenen
"Selbstheilungskräfte" der kapitalistischen Wirtschaft funktionieren
nicht mehr. Der Kreislauf von Produktion und Reproduktion funktioniert
nur noch, indem immer mehr staatliche Gelder in diesen Kreislauf hinein
gepumpt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) schoss im Dezember
2011 in einem historisch bisher einmaligen Vorgang fast eine Billion
Euro zu Niedrigzinsen den Banken zu, um das Finanzsystem überhaupt am
Laufen zu halten und das Risiko für einen Crash der Monopolbanken
abzuwenden. Die staatliche Einbringung und damit Verbilligung des
Kapitals soll den Kreislauf von Produktion und Reproduktion wenigstens
künstlich aufrecht erhalten. Diese Maßnahmen sind jedoch ein Tanz auf
dem Vulkan. Der Preis ist eine weiter steigende Staatsverschuldung, die
immer mehr Länder an den Rand des Staatsbankrotts heranführt und zudem
die Inflation befeuert. Das grundlegende Problem der Überakkumulation
des Kapitals wird dadurch nicht gelöst, sondern auf die Spitze
getrieben.
Als die Wirkung der staatlichen Rettungsschirme
nachließ, begann die Weltwirtschaft wieder zu schwächeln. Konkret war
das Ausbleiben des Wirtschaftswachstums, auf das die gesamte
kapitalistische Welt mit ihrem Krisenmanagement spekuliert hatte, der
Ausgangspunkt für die Liquiditätskrise in Europa. Da die Kredite von
den geschmälerten Staatshaushalten nicht mehr bedient werden konnten,
brach die Finanzkrise erneut offen auf. Diesmal ging sie aber nicht von
einzelnen Monopolbanken aus wie noch 2008, sondern von den
Instrumenten des Krisenmanagements selbst – den Staatshaushalten. Die
Annahme von Kanzlerin Merkel, man müsse die erlahmenden
"Selbstheilungskräfte der Wirtschaft" nur wieder durch staatliche
Maßnahmen anschieben, dann würden sie wieder funktionieren und ein lang
anhaltendes Wirtschaftswachstum auslösen, erwies sich als pure
Illusion.
Die Börsen, deren gehandelte Werte Anfang 2011 einen
Höchststand von 59 Billionen US-Dollar erreicht hatten, brachen bis
September auf 45 Billionen ein. An den Devisenmärkten gab es eine
Flucht aus dem Euro in den japanischen Yen, den Schweizer Franken und
den Dollar. Das verschärfte wiederum die Probleme mit der Rückzahlung
von Krediten aus diesen Währungsräumen. Die Banken gerieten erneut in
Zahlungsschwierigkeiten und eine allgemeine Bankenkrise bildete sich
heraus. Die IWF-Chefin Lagarde bezeichnet die allgemeine Situation an
den Finanzmärkten heute berechtigt als gefährlicher als vor der
Lehman-Pleite im September 2008.
Auf welche wirtschaftliche Situation muss sich die Bevölkerung 2012 einstellen?
Man muss davon ausgehen, dass die Industrieproduktion wieder einbricht. Eine einfache Wiederholung des gemeinsamen internationalen Krisenmanagements ist dann aufgrund der angespannten Lage der Staatsfinanzen nicht zu erwarten. Eine Kettenreaktion von Staatsbankrotten, Bankenzusammenbrüchen oder sogar des gesamten Weltfinanzsystems kann dann kaum verhindert werden. Man kann sich ausmalen, dass das weltweit Massenentlassungen, Abbau von Löhnen und von sozialen Errungenschaften bedeutet, was die Wut der breiten Massen auf die Regierungen weiter steigern wird. Die Marxisten-Leninisten müssen sich darauf einstellen, dass es zu in der Nachkriegsgeschichte nicht dagewesenen Maßnahmen kommt. Sie werden die Lebenslage der Massen empfindlich treffen. Eine dramatische Verschärfung des internationalen Klassenkampfs wird die Antwort sein.
Aber steht Deutschland in seiner Wirtschaftsentwicklung im Vergleich zu anderen nicht relativ solide da?
Die Entwicklung in Deutschland wird systematisch schön geredet.
Immerhin hat auch die deutsche Industrie volle drei Jahre gebraucht, um
nach dem dramatischen Absturz der Industrieproduktion von über 15
Prozent Ende 2008 überhaupt im Sommer 2011 wieder an ihr damaliges
Niveau anzuknüpfen. Die Ursache dafür liegt in der vom Export geprägten
Wirtschaft. Fast jeder zweite Euro Umsatz wird heute im Export
erwirtschaftet. Der Export ist aber auch die Achillesferse der deutschen
Wirtschaft. Kommt es zu einem weltweiten Wirtschaftseinbruch, wird es
in Deutschland zu einem überproportionalen Einbruch im Vergleich zu
anderen Ländern kommen.
Das ist bereits absehbar: Die Mehrzahl der
großen imperialistischen Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien
oder Japan haben entgegen der zeitweiligen Propaganda vom
weltwirtschaftlichen Aufschwung 2009/2010 den Vorkrisenstand ihrer
Wirtschaft bis heute noch nicht erreicht. Andere Länder wie Italien
oder Spanien stecken weiter in einer tiefen wirtschaftlichen
Depression. China hat eine Stagnation seiner Wirtschaft für 2012
prognostiziert und in diesem Zusammenhang angekündigt, keine
Auslandsinvestitionen in der chinesischen Autoproduktion mehr
zuzulassen, außer beim Elektroauto. Die OECD warnt in ihrem jüngsten
Wirtschaftsausblick, Politiker auf der ganzen Welt müssten sich "auf das Schlimmste vorbereiten", weil sich die Turbulenzen an den Finanzmärkten massiv ausweiten und "in absolut katastrophalen Resultaten enden" könnten. Für die Eurozone rechnen die OECD und die EZB schon in diesem Winter mit einer schrumpfenden Wirtschaft.
Die Schwächung des Euro kommt aber doch der Exportwirtschaft zugute, weil dadurch ihre Waren auf dem Weltmarkt billiger werden?
Für die imperialistische Wirtschaft ist der Kapitalexport entscheidend. Nur damit kann sie ihre internationalen Positionen, die angestrebte Weltmarktführerschaft ausbauen und auch ihren politischen Einfluss steigern. Natürlich zieht der Kapitalexport auch den Warenexport nach sich. So werden in den ausländischen Produktionsstätten Investitionen in Maschinen, Hochtechnologie usw. getätigt, die vielfach aus Deutschland bezogen werden. Die Schwächung des Euro aber schränkt die imperialistischen Möglichkeiten zum Kapitalexport ein und schwächt damit die Position der EU auf dem Weltmarkt. Je besser jedoch die Position auf dem Weltmarkt, desto mehr sind die Imperialisten in der Lage, die Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auf ihre Konkurrenten abzuwälzen und sich selbst möglichst schadlos zu halten. Mit dem Scheitern des internationalen Krisenmanagements, das mit der Eurokrise zusammenfiel, steht diese Konkurrenz zwischen den Imperialisten wieder im Vordergrund.
Was macht dich so sicher, dass die Weltwirtschafts- und Finanzkrise nicht doch auf absehbare Zeit bewältigt wird?
Der Widerspruch zwischen dem überschüssigen Kapital und den sich
verengenden Märkten konnte bisher nicht gelöst werden. Das hätte eine
viel größere Kapitalvernichtung erfordert, als es von den Regierungen
der imperialistischen Länder in ihrer Panik vor der Verschärfung der
Klassenwidersprüche zugelassen wurde. So hat das staatliche
Krisenmanagement letztlich nur bewirkt, dass die Überakkumulation des
Kapitals viel schneller wieder zu erneuten krisenhaften Einbrüchen im
Prozess der Produktion und Reproduktion führt.
Ich will natürlich
nicht ausschließen, dass vor allem die mächtigsten imperialistischen
Regierungen alles versuchen werden, einen Ausweg aus der Krise zu
finden, z. B. durch noch stärkere Abwälzung der Krisenlasten auf die
vom Imperialismus abhängigen und unterdrückten Länder, durch
verschärfte Ausbeutung der Massen, wachsende Inflation oder auch durch
die Auslösung von Kriegen. Trotzdem wird dadurch die Tendenz der
chronischen Überakkumulation des Kapitals nicht außer Kraft gesetzt und
die Krise könnte nur zeitweilig durch kleine Wachstumsschübe
unterbrochen werden.
Am 10. Dezember endete die Weltklimakonferenz der UNO in Durban, Südafrika. Nach Medienberichten konnte man den Eindruck gewinnen, dass der deutsche Bundesumweltminister Röttgen letztlich für einen Erfolg der Konferenz verantwortlich zeichnet. Was ist davon zu halten?
Der "Erfolg" der Konferenz besteht in der fragwürdigen Einigung, dass
man bis 2015 die Grundlinie eines möglichen Vertrages zwischen allen
Beteiligten erarbeiten will, der dann eventuell in neun Jahren in Kraft
tritt. Die Allianz der kleinen Inselstaaten lehnte diesen Deal
berechtigt ab und erklärte: "Warum sollten wir einem Abkommen zustimmen, welches langfristig und unvermeidlich unser eigenes Verschwinden zur Folge hätte?"
Durban steht für einen Offenbarungseid der imperialistischen Umweltpolitik und fördert sehenden Auges eine menschheitsgefährdende Verschärfung der Weltklimakatastrophe. Der regierungsamtliche Klimaschutz erweist sich als völlig untauglich.
Ein wichtiger Hintergrund für das Scheitern dieses Klimagipfels war,
dass immer mehr Regierungen die bereits getroffenen, völlig
unzureichenden Umweltschutzmaßnahmen vor dem Hintergrund der
Weltwirtschafts- und Finanzkrise wieder zurückgefahren haben. Ein
drastisches Beispiel ist die Regierung von Kanada, die offenbar die
selbst gesteckten Klimaziele zur Einsparung von CO2 dramatisch verfehlt
hatte. Die jetzt eigentlich fälligen Strafzahlungen umging die
Regierung so, dass sie einfach wieder aus den Vereinbarungen von Kyoto
ausstieg. Das zeigt, wie wenig das Papier wert ist, auf dem diese
Vereinbarungen geschrieben sind. Ohne den aktiven Widerstand der
breiten Massen, ohne die Überlegenheit des Klassenkampfes gegenüber den
imperialistischen Umweltverbrechern, wird das Weltklima eine
katastrophale Entwicklung nehmen.
Welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?
Die Ursache für das Scheitern der imperialistischen Klimapolitik
besteht darin, dass ein wirksamer Umweltschutz mit dem Profitinteresse
des internationalen Finanzkapitals unvereinbar ist. Die bürgerliche
Leitlinie von der Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie im
Kapitalismus ist eine verhängnisvolle Sackgasse. Das Potsdamer Institut
für Klimaforschung hat kürzlich eine neue Studie über verschiedene
Szenarien der Klimaentwicklung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts
herausgegeben. Darin kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass
es auf allen Kontinenten zu verheerenden Veränderungen der
Lebensgrundlagen kommen wird. Mit dem Buch "Morgenröte der
internationalen sozialistischen Revolution" haben wir nachgewiesen,
dass die Umweltkrise heute zu einer gesetzmäßigen Erscheinung der kapitalistischen Produktionsweise geworden ist. Der Kapitalismus ist an einem Punkt angelangt, an dem er unvereinbar geworden ist mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit.
Die Umweltfrage kann nicht mehr unabhängig von der sozialen Frage
gelöst werden. Wir brauchen gesellschaftliche Verhältnisse, in denen
nicht nach dem Profit einer winzigen Schicht Kapitaleigner produziert
und verteilt wird, sondern in der das menschliche Dasein und der Schutz
der natürlichen Umwelt grundlegend ist. Nur eine
sozialistische/kommunistische Gesellschaft, die konsequent an den
allgemeinen Interessen der gesamten Menschheit ausgerichtet ist, wird
eine solche Leitlinie der Einheit von Mensch und Natur verwirklichen
können.
In der Umweltbewegung wird kritisiert, dass in den ehemaligen sozialistischen Ländern der Umweltschutz stiefmütterlich behandelt worden sei.
Das ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. In vielen
sozialistischen Ländern wurden auf vielfältige Weise auch
Umweltschutzmaßnahmen, Einsparmaßnahmen von Energie und Rohstoffen,
Wiederverwertung, Ansätze zur Kreislaufwirtschaft usw. verwirklicht.
Das China Mao Zedongs hat die Losung ausgegeben, dass es keinen Abfall
gibt, sondern nur Rohstoffe, die man wiederverwerten muss. Eine solche
Losung ist vom Standpunkt des kapitalistischen Wertgesetzes aus
natürlich nicht begreiflich. Dort ist es so, dass der Raubbau an der
natürlichen Umwelt die Profite steigert. Erst die Restauration des
Kapitalismus in den ehemals sozialistischen Ländern hat den guten
Ansätzen im Umweltschutz einen Todesstoß versetzt.
Gleichwohl muss
man feststellen, dass die Umweltfrage in der Arbeiterbewegung – und
auch in den sozialistischen Ländern – tendenziell unterschätzt worden
ist. Von der Möglichkeit der Herausbildung einer globalen Umweltkrise,
die sich auf eine menschheitsbedrohende Umweltkatastrophe hin
entwickelt, konnte man damals allerdings auch noch nicht ausgehen.
Auch die Marxisten-Leninisten mussten in dieser Frage umdenken. In den
1950er Jahren war die friedliche Nutzung der Atomenergie in den
sozialistischen Staaten als ein sauberer und effektiver Weg zur
Energiegewinnung betrachtet worden. Inzwischen wissen wir, dass die
Atomtechnologie bei allen technischen Fortschritten nicht beherrschbar
ist. Ein dogmatisches Festhalten der Marxisten-Leninisten an den
Auffassungen der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung der
1950er Jahre wäre verheerend. Es ist deshalb von größter Bedeutung,
dass sich die ICOR (1) und die ILPS (2) entschlossen haben, bis ins Jahr
2012 hinein eine weltweite Kampagne zur Stilllegung aller
Atomkraftwerke, Abschaffung der Atomwaffen und Beendigung der
sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie durchzuführen.
Hat nicht die Umweltbewegung in Deutschland mit den Beschlüssen der Merkel-Regierung zur Abschaltung der Atomkraftwerke einen wichtigen Erfolg erringen können?
Die Regierung war nach Fukushima völlig isoliert. Nur bei Strafe
ihres Untergangs hätte sie ihre bereits beschlossene Verlängerung der
Laufzeiten weiter verfolgen können. Gleichzeitig hat sie aber mit ihren
langen Laufzeiten bis 2021 am Weiterbetrieb einer Reihe von Atommeilern
festgehalten, vor allem freie Bahn für den weiteren Export gegeben und
so die weltweite Gefährdung von Mensch und Natur aufrecht erhalten.
Die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke wäre in Deutschland
weder ökonomisch noch technisch ein Problem.
Die Anti-AKW-Bewegung
in Deutschland spielte im letzten Jahr eine bestimmte Vorreiterrolle
in der Welt, was ihre Breite und ihr Aufklärungspotenzial betrifft.
Inzwischen sind selbst in Japan, wo die übergroße Mehrheit der
Bevölkerung lange Zeit für die sogenannte friedliche Nutzung der
Atomenergie war, die Mehrheitsverhältnisse gekippt. Regierung und
Monopole sind in die Defensive geraten. In Japan musste das Programm
zum Aufbau weiterer schneller Brüter abgesetzt und in Frankreich der
geplante Bau von Atomanlagen eingeschränkt werden.
Wir können uns
jedoch keinesfalls mit dem Erreichten zufrieden geben. Wir brauchen
einen weltweiten Schutz vor der Atomenergie und ihrer für Millionen
Jahre tödlichen Strahlung. Dazu gehört auch, die Exporte von
Atomenergieanlagen aus Deutschland bzw. die finanzielle Unterstützung
dafür zu stoppen und für die Stilllegung dieser Produktionen
einzutreten. Das darf aber nicht auf Kosten der Belegschaften getan
werden. Für diese müssen selbstverständlich gleichwertige
Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Denn der Umweltschutz darf nicht
auf Kosten der Arbeiterklasse, sondern muss in Einklang mit ihren
Interessen durchgeführt werden.
Im Oktober hat ein internationaler Umweltratschlag in Gelsenkirchen stattgefunden. Dort hast du die These vertreten, dass eine qualitative Höherentwicklung der Umweltbewegung notwendig ist.
Um die globale Umweltkatastrophe zu stoppen, muss dem
alleinherrschenden Finanzkapital eine überlegene Kraft
gegenübergestellt werden. Eine solche überlegene Kraft stellt die bisherige Umweltbewegung noch nicht dar. Sie hat bisher viel Aufklärung betrieben und das allgemeine Umweltbewusstsein in der Bevölkerung erheblich gestärkt.
Kaum eine bürgerliche Partei kann es sich heute leisten, in den
Wahlkampf zu ziehen ohne entsprechende Umweltforderungen. Zugleich ist
diese Umweltbewegung äußerst zersplittert, lokal und national begrenzt,
hat einen geringen Organisationsgrad und damit auch nur eine
beschränkte Kampf- und Durchsetzungsfähigkeit. Die Verantwortlichen der
bisherigen Umweltbewegung setzen zunehmend vor allem darauf, auf die
Verantwortlichen in den Chefetagen und den bürgerlichen Parteien
argumentativ einzuwirken und sich dadurch Veränderungen zu erhoffen. Dem
liegt die Illusion zugrunde, dass die Umweltkrise im Rahmen der
kapitalistischen Gesellschaft und in Einheit mit den Profitinteressen
der Monopole überwunden werden könne.
Wir brauchen aber eine höhere Kampfkraft und einen klaren Konfrontationskurs gegenüber der Profitwirtschaft von
Monopolen und Regierungen, in der der Raubbau an der natürlichen
Umwelt zu einem Faktor der Kostensenkung und des Konkurrenzkampfs
geworden ist.
Wir können es nicht weiter zulassen, wie
rücksichtslos auf Kosten der natürlichen Ressourcen produziert wird.
Das erfordert mehr als Erfolge bei diesem oder jenem Projekt zum Schutz
der Umwelt. Dazu ist eine internationale Widerstandsfront und eine
Umwälzung der ganzen gesellschaftlichen Produktions- und
Lebensverhältnisse notwendig, die nachhaltig der imperialistischen
Profitwirtschaft entgegen wirkt.
Eine solche gigantische Aufgabe ist
notwendigerweise gesellschaftsverändernd. Wir werden aber keine
Gesellschaftsveränderung erreichen ohne Überwindung der Diktatur der
Monopole. Deshalb ist der Kampf gegen die drohende Umweltkatastrophe auch ein Kampf gegen den Imperialismus und für die Durchsetzung sozialistischer Verhältnisse.
Kann das die bisherige Umweltbewegung leisten?
Mir ist natürlich klar, dass ein Teil der heutigen Umweltbewegung
sich entschieden gegen eine solche Perspektive verwahren wird, was oft
mit einem starken antikommunistischen Vorbehalt verbunden ist. Aber der
übergroße Teil der Umweltbewegung steht inzwischen auf dem Standpunkt,
dass nachhaltiger Umweltschutz und Profitinteressen unvereinbar sind.
Seit Kopenhagen und Cochabamba diskutiert die weltweite Umweltbewegung
intensiv über die notwendigen Systemalternativen. Wer konsequent
Umweltschutz betreiben will, der muss letztlich auch einen revolutionären Geist entwickeln.
Dazu ist viel Überzeugungsarbeit und eigene Lernbereitschaft
notwendig, denn wir wollen die bisherigen Umweltschützer ja auch nicht
vor den Kopf stoßen. Sie haben viel geleistet und die weltweite
Umweltbewegung braucht ihr Know-how, ihre Erfahrungen, ihre
Lösungsvorschläge und ihren praktischen Idealismus. Am allerwichtigsten
ist aber, dass die Arbeiterklasse ihre historische Rolle im
Kampf um den Erhalt der Lebensgrundlagen in Einheit mit ihrer sozialen
Befreiung begreift und strategisch die Umweltfrage in ihren Kampf für die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung aufnimmt.
Diese neue Qualität der Umweltbewegung kann nicht lokal oder national
begrenzt sein, sondern muss international koordiniert arbeiten. Die
Umweltkatastrophe macht vor Ländergrenzen nicht Halt. Die Ursachen für
die katastrophalen Auswirkungen der globalen Umweltkrise liegen oft
nicht einmal im eigenen Land. Meist müssen die Ärmsten der Armen die
Folgen von Überschwemmungen, Dürre und anderen Katastrophen ertragen,
die sie gar nicht zu verantworten haben.
Die notwendige neue Qualität der Umweltbewegung speist sich aus den drei Elementen der Organisiertheit, der systemverändernden Perspektive und des Internationalismus.
Eine höhere Stufe der Umweltbewegung braucht auch eine höhere
Organisationsform. Der auf dem Umweltratschlag diskutierte Gedanke des
Aufbaus einer kämpferischen Umweltgewerkschaft ist sehr gut. Er
steht für eine Organisationsform, die den breiten Massen der Arbeiter
und abhängigen Beschäftigten als wirkungsvolles Instrument ihres
ökonomischen und sozialen Kampfes vertraut ist. Eine solche
Umweltgewerkschaft hat natürlich nichts mit einer Industriegewerkschaft
zu tun und steht auch nicht in Konkurrenz zu den bisherigen
Gewerkschaften. Sie hätte vor allem die Aufgabe, der breiten Masse der
Bevölkerung eine Organisationsform des Kampfs gegen die
verschiedenartigsten Formen des Raubbaus und für Maßnahmen für den
Schutz der natürlichen Umwelt zu geben und eine überlegene Kraft
gegenüber den Hauptverursachern der Umweltkatastrophe herauszubilden.
Bevor aber eine solche Organisationsform entstehen kann, muss die dazu
notwendige Strategiediskussion in der Umweltbewegung geführt werden. Denn alles, was der Mensch tut, muss vorher durch seinen Kopf.
Haben diese neuen Erkenntnisse schon praktische Konsequenzen gezeigt?
Zum 3. Dezember 2011 ergriffen wir in und mit der Weltorganisation ICOR nach 2010 zum zweiten Mal erfolgreich die praktische Verantwortung für die Durchführung des von ihr bei der Gründung beschlossenen internationalen Umweltkampftags. In über 45 Städten Deutschlands förderten wir Protestaktivitäten und Initiativen, Kundgebungen und Demonstrationen – teils auch gestützt auf breite örtliche bzw. regionale Aktionseinheiten. Ein Riesenfortschritt gegenüber dem ersten Kampftag 2010! Hier kam auch an der Basis der bisherigen Umweltbewegung eine wachsende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit revolutionären Kräften zum Ausdruck. Es ist dagegen als unverantwortlich zu kritisieren, dass seit zirka zwei Jahren die Spitzen verschiedener größerer Umweltorganisationen wie BUND, Greenpeace oder Attac den bisherigen gemeinsamen Weltklimatag zu Gunsten intensivierter Lobby-Tätigkeit ad acta gelegt haben. Das hat eine Tendenz zur Kapitulation entsprechend der von den Herrschenden propagierten Leitlinie, dass es allenfalls noch um eine "Anpassung an den Klimawandel" gehen kann. Die Umweltbewegung muss ihren Hauptstoß gegen die herrschenden Monopole und ihre Regierungen richten. Dazu sind die heutigen Spitzen von BUND, Greenpeace oder Attac offensichtlich nicht bereit.
Muss die Umweltthematik nicht auch theoretisch weiter geklärt werden?
Zweifellos. Die theoretischen Kenntnisse der bisherigen
Umweltbewegung reduzieren sich im wesentlichen auf Enthüllungen über
schädliche Auswirkungen von Produktions- und Konsumtionsweisen,
Technologien, Produkten usw. In den gesellschaftlichen und
weltanschaulichen Fragen allerdings ist sie stark in Idealismus und Metaphysik befangen.
So ist es bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, von
der "Umweltzerstörung" zu sprechen. Die Natur kann man aber nicht
zerstören, man kann sie nur verändern. Entweder so, dass die
Lebensgrundlagen der Menschheit erhalten bleiben und sich entwickeln,
oder sie so deformieren, dass die Menschheit nicht mehr weiter leben
kann. Die in der Umweltbewegung verbreitete Metaphysik ist zweifellos
ein wichtiges Hindernis, die tiefen gesellschaftlichen Ursachen und
neuen Perspektiven im Kampf zur Verhinderung der globalen
Umweltkatastrophe allseitig und schöpferisch zu begreifen.
Auch die
Marxisten-Leninisten müssen ihre Auffassungen theoretisch weiter
vertiefen. Das ZK der MLPD arbeitet deshalb bereits konzentriert am
REVOLUTIONÄREN WEG 35 "Der Klassenkampf und der Kampf um die Einheit von Mensch und Natur".
Dabei gehen wir von den Grundlagen des Marxismus aus und stellen
beeindruckt fest, wie allseitig und perspektivisch Marx und Engels
dieses Thema behandelt haben. In der Artikelsammlung "Dialektik der
Natur" von Friedrich Engels erbringt er den Nachweis, dass die Einheit von Mensch und Natur auf dialektischen Bewegungsgesetzen beruht und
sie nur mit der Anwendung der dialektischen Methode bewusst
hergestellt und höherentwickelt werden kann. Die MLPD steht nun vor der
Aufgabe, diese Dialektik auf dem Niveau des heutigen hochkomplexen
Erkenntnisstandes zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Dazu wollen wir uns nicht allzuviel Zeit lassen, weil die Notwendigkeit
der Strategiediskussion in der internationalen Umweltbewegung auch nach
theoretischer Klarheit schreit und wir unseren fundierten Beitrag dazu
leisten müssen.
Du hast am Anfang unseres Gesprächs gesagt, dass die wesentliche Erscheinung der Umschlag der ökonomischen in politische Krisen ist. Was ist darunter zu verstehen?
Wirtschaftliche Krisen stehen in einer untrennbaren Wechselwirkung
mit politischen Krisen. Politische Krisen wiederum haben zwei
wesentliche Seiten, die sich in einer Zuspitzung im Klassenkampf und
einer Destabilisierung der politischen Verhältnisse sowie in einer
wachsenden Kriegsgefahr und dem Ausbruch von Kriegen äußern können.
Es gibt zwar keinen unmittelbaren Zusammenhang von Wirtschaftskrise und
Kriegen, aber es ist schon auffällig, dass bereits kurz nach dem
gescheiterten Abenteuer der USA und der NATO im Irak und Afghanistan
neue kriegerische Töne angeschlagen werden. Seit Monaten hören die
Provokationen gegenüber dem Iran nicht auf, um einen Vorwand für eine
kriegerische Aggression zu schaffen. Die provokative Reaktion von
Ahmadinedschad, dem Regierungschef des faschistischen iranischen
Regimes, die Straße von Hormus notfalls dicht zu machen, steigert
seinerseits die Kriegsgefahr. Immerhin müssen 40 Prozent des gesamten
Weltölbedarfs diese Straße durchqueren.
In Deutschland und in der
EU befasst man sich gerade mit einem stärkeren kriegerischen Engagement
unter dem Vorwand der Bekämpfung der Piraterie am Golf von Afrika. Auf
Drängen des Bundesverteidigungsministers soll das militärische Mandat
der EU-Truppen nun auch auf Angriffe aus der Luft und auf Bodeneinsätze
in Somalia ausgeweitet werden. Damit erhöht sich allerdings die Gefahr
eines langanhaltenden Kriegs in Somalia. Die allgemeine Kriegsgefahr ist sicherlich eines der größten Probleme der nächsten Zeit.
Der Kampf für den Erhalt des Weltfriedens muss aufs engste mit dem
Kampf gegen die Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auf die
breiten Massen verbunden werden.
Der hauptsächliche Zweck des
internationalen Krisenmanagements war, eine offene politische Krise in
Europa oder gar eine revolutionäre Krise im Weltmaßstab zu verhindern.
Das ist inzwischen – wenn auch mit einiger Zeitverzögerung – deutlich
misslungen: In etwa 50 Prozent der Länder der Welt werden seit 2010 die
gesellschaftlichen Verhältnisse durch Massendemonstrationen,
Massenstreiks oder gar Aufstände in Frage gestellt: 35 von 177
untersuchten Staaten galten 2011 als "akut" instabil, bei weiteren 130
ist die politische Stabilität "bedroht". In Nordafrika sowie im Mittleren und Nahen Osten erschüttert seit Anfang 2011 eine demokratische Aufstandsbewegung in mindestens 23 Ländern die Jahrzehnte lang währende, auf die Interessen des Imperialismus ausgerichtete Machtstruktur.
In Europa bewirkte die Abwälzung der Krisenlasten auf die breiten Massen ab Frühjahr 2010 einen Stimmungsumschwung in der Arbeiter- und Volksbewegung.
In Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Belgien,
Slowenien usw. entfalteten sich Massenproteste auf der Grundlage der
Verarbeitung des Krisenmanagements und des Protests gegen seine
verheerenden Wirkungen. Meist steht die Jugend an der Spitze. Sieben
Regierungen mussten in den letzten Monaten aufgrund offener politischer Krisen ausgewechselt werden. In Griechenland
entwickelte sich eine revolutionäre Gärung. Am 19. und 20. Oktober 2011
kam es dort zu den bislang größten Kampfaktionen seit dem Sturz der
Militärdiktatur 1974. Sie richteten sich gegen die Troika von EU,
Europäischer Zentralbank und IWF als Hauptwerkzeuge der Ausplünderung
durch die Übermonopole.
Mit dem Aufschwung des demokratischen- und
Freiheitskampfs der breiten Massen im internationalen Maßstab hat sich
auch die Tendenz zur politischen Reaktion verstärkt. Wir erleben heute,
wie rücksichtslos in Ägypten auf die Massen eingeprügelt und
geschossen wird. In Kasachstan wurden kürzlich mindestens 70 Ölarbeiter
bei Auseinandersetzungen mit dem Staatsapparat erschossen und über 500
zum Teil schwer verletzt. In Russland versucht die Putin-Regierung
ihre Wahlfälschung gegen den Massenprotest mit einem gesteigerten
Terror zu verteidigen. Überall sehen wir auch die Tendenzen zur
Faschisierung des Staatsapparats, die als eine Vorbereitung des Staatsterrors gegenüber den rebellierenden Massen
betrachtet werden müssen. Diese beiden Tendenzen, auf der einen Seite
das kämpferische Streben der breiten Massen nach Demokratie und
Freiheit, aber auch der verstärkten reaktionären Gewalt der
imperialistischen Machthaber und ihrer Statthalter, sind der Boden, auf dem es zu einer Revolutionierung der breiten Massen kommen wird.
Bereits Lenin wies auf die fundamentale Bedeutung des Kampfes um
Freiheit und Demokratie für den Klassenkampf um den Sozialismus hin: "Der Kapitalismus überhaupt und der Imperialismus insbesondere" - so sagte er - "verwandelt
die Demokratie in eine Illusion – und zugleich erzeugt der
Kapitalismus demokratische Bestrebungen in den Massen. ... das Erwachen
und das Anwachsen der sozialistischen Erhebung gegen den Imperialismus
sind untrennbar verbunden mit dem Anwachsen der demokratischen Abwehr
und Empörung." (Lenin Werke Bd. 23, Seite 14/15)
Der Kampf um
Freiheit und Demokratie ist, wie wir aus der Geschichte der
Arbeiterbewegung wissen, eine notwendige Vorstufe des Kampfs zum
revolutionären Sturz des Imperialismus und der Errichtung einer
sozialistischen Gesellschaft. Deshalb müssen wir diesen demokratischen
Bestrebungen der Massen größte Aufmerksamkeit schenken. Unsere
erweiterte internationalistische Losung fasst unsere Aufgaben so
zusammen:
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Proletarier aller Länder und Unterdrückte, vereinigt euch!
Herrscht aber nicht in Deutschland anhaltende Ruhe im Klassenkampf?
Seit diesem Herbst ist der Stimmungsumschwung im Kern des Industrieproletariats in Deutschland endgültig angekommen,
auch wenn sich diese bedeutende Entwicklung oft noch unspektakulär
vollzieht. Der Hass der Arbeiter auf die unerträglich verschärfte
Ausbeutung, ihr Offensivgeist, ihr Zusammenhalt und der Schulterschluss
mit der MLPD sind spürbar gewachsen. Den Auftakt bildeten selbständige
Aktionen bei Daimler in Sindelfingen. Die Opelaner in Bochum gewannen
die Kraftprobe gegen die geplanten und bereits ausgesprochenen
Kündigungsdrohungen und damit verbundenen Spaltungsmanöver sowie gegen
übles Mobbing. Bei Ford in Köln wird anhaltend Widerstand gegen die
Einführung des Lohnraubprogrammes ERA geleistet – und das, obwohl die
jetzt dort arbeitenden Kollegen gar nicht unmittelbar davon betroffen
sind.
Besonders bemerkenswert ist die gewachsene Einheit von Jung
und Alt für die unbefristete Übernahme nach der Lehre. Dafür setzten
die größte gewerkschaftliche Jugenddemonstration der letzten Jahre mit
20.000 Teilnehmern in Köln am 2.10.2011 sowie der Stahltarifabschluss
mit der erstmals tariflich vereinbarten unbefristeten Übernahme ein
bedeutendes Signal. Beeindruckend waren auch die kämpferischen
Initiativen der Basis vor den Gewerkschaftstagen von Ver.di und IG
Metall, die sich auf beiden Gewerkschaftstagen in der Stärkung der
kämpferischen Richtung manifestierten.
Die Umweltbewegung in
Deutschland ist zur größten Bewegung des aktiven Volkswiderstands
herangewachsen. Sie hat mit dem Kampf gegen die Atomkraftwerke ab dem
Frühjahr 2011 ein internationales Signal gesetzt. Von 111.170 im Jahr
2009 wuchs die Teilnehmerzahl auf 466.550 im Jahr 2010 – und allein bis
zum November 2011 auf 1.184.130 Teilnehmer! Die Massen wollen nicht in der globalen Umweltkatastrophe untergehen.
Mit der Bewegung gegen "Stuttgart 21" hat Deutschland im letzten Jahr
eine der bedeutendsten Massenbewegungen der Nachkriegsgeschichte
hervorgebracht. Die kämpferische Frauenbewegung in Deutschland hat
Großes für die 1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen im März in Caracas
(Venezuela) geleistet und sich ein nachhaltiges internationalistisches
Profil erarbeitet.
In diesen Aktivitäten der Arbeiter- ebenso wie der Umwelt- oder der Jugend- und Frauenbewegung entfaltet sich eine Systemdebatte:
Der Kapitalismus steht seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise in
einer Massenkritik wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir merken, wie
immer selbstverständlicher über revolutionäre Veränderungen nachgedacht
und diskutiert wird. Die Aufgabe der Marxisten-Leninisten besteht
darin, durch Erhöhung des Bewusstseins und der Organisiertheit der
Massen beharrlich an der Übereinstimmung zwischen objektivem und subjektivem Faktor zu
arbeiten. Erst aus dieser Übereinstimmung entsteht die revolutionäre
Situation, in der die Herrschenden nicht mehr in der alten Weise
regieren können und die Massen nicht mehr in der alten Weise leben
wollen.
Wie reagieren die Herrschenden auf die Entwicklung des Linkstrends?
Ihre Hauptmethode ist immer noch das inzwischen internationalisierte System der kleinbürgerlichen Denkweise.
Doch ihre Träger verschleißen sich immer schneller. Nach dem
parlamentarischen Höhenflug der Linkspartei und später der Grünen flogen
zeitweilig der "Piratenpartei", als einer sich basisdemokratisch und
unverbraucht gebenden Kraft, die Sympathien zu. Inzwischen hat sich ihr
erster Parteitag ein banales bürgerlich-liberales Programm gegeben.
In der "Occupy"-Bewegung werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, die
Empörung gegen das Finanzkapital auf die Mühlen illusionärer Hoffnungen,
auf Zähmung des "Raubtierkapitalismus" zu leiten. Auch die Linkspartei
erweckt die Illusion, dass durch eine Beschneidung der Rechte der
Banken der Kapitalismus gezähmt werden könne. Aber die Banken sind nur
ein Instrumentarium zur Organisierung des Prozesses von Produktion und
Reproduktion, das man nicht einfach "wegoperieren" kann. Dazu muss man
den Kapitalismus selbst überwinden! Alles andere bleibt Illusion.
Der Europarat führt seit 2006 eine antikommunistische Kampagne durch. Wie wirkt sich das auf das Bewusstsein der Massen aus?
Diese Antikommunismuskampagne reagierte auf das anhaltend hohe Ansehen des Sozialismus unter den Massen. Sie ist in vorgeblicher Wissenschaftlichkeit in Wirklichkeit argumentativ äußerst dubios. Über die Inhalte der antikommunistischen Artikel und Veröffentlichungen darf nach Lesart dieser Kampagnen öffentlich gar nicht diskutiert werden. Widersprechende Auffassungen und Analysen werden in der medialen Öffentlichkeit rigoros unterdrückt. Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, weil man mit undemokratischen Methoden die Leute letztlich auch nicht überzeugen kann. Damit der Gegenpol zum Antikommunismus öffentlich nicht in Erscheinung tritt, wird die Politik der Isolierung der MLPD zur Zeit noch verstärkt. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalb hat die MLPD beschlossen, 2012 eine kämpferische Aufklärungs- und Informationskampagne gegen den modernen Antikommunismus durchzuführen.
Der moderne Antikommunismus ist ja nicht neu. Er wird bereits im Programm der MLPD als Kern des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise ausgewiesen. Trotzdem hat sich in der öffentlichen Präsentation des Antikommunismus einiges verändert.
In dem Maße, wie sich die kleinbürgerlich-reformistische und
kleinbürgerlich-revisionistische Denkweise abgenutzt haben, haben die
Herrschenden in ihrer Massenbeeinflussung die Förderung der
kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise ins Zentrum des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise gestellt.
Die Verbreitung antikommunistischer Vorbehalte und handfester
Geschichtsfälschungen über tausende mediale Kanäle wurde zur
tagtäglichen Erscheinung. Geheimagenten des sogenannten
"Verfassungsschutzes" dürfen heute über Schulbuchverlage ihre
antikommunistische Hetze in den Unterricht tragen. Ihre "Beweise"
bestehen in der Regel darin, dass ein Antikommunist den anderen zitiert
und das dann als wissenschaftliche Darlegung ausgibt. Moderner
Antikommunismus bedeutet aber keineswegs nur Propaganda, sondern ein ganzes System der politischen Manipulation und Unterdrückung.
Er besteht aus ideologischen, politischen und organisatorischen
Maßnahmen. Dazu gehört das ganze reaktionäre Arsenal von Bankenboykotten
gegen die MLPD bis hin zu Unvereinbarkeitsbeschlüssen, wie sie der
IG-Metall-Vorstand beschlossen hat und verschiedene andere Formen der
Beschneidung elementarer demokratischer Rechte und Freiheiten.
So
gelingt es dem modernen Antikommunismus noch, mit seinem ganzen
medialen, politischen und finanziellen Aufgebot einen Damm gegen die
MLPD und eine Revolutionierung der Massen aufzubauen. Seine Wirkung
unter den Massen in Form einer kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise hält noch viele ab, sich in und mit MLPD und REBELL für den Sozialismus einzusetzen.
Die kleinbürgerlich-antikommunistische Denkweise unter den Massen
äußert sich weniger in politischen Widersprüchen zu unseren Ansichten,
sondern vor allem in Vorbehalten, Ängsten, diffusen Befürchtungen und
Abgrenzungsbedürfnissen. Die diffuse Verunsicherung gegenüber dem
Sozialismus und den Marxisten-Leninisten ist zum gravierendsten Problem
in der Entwicklung des Klassenbewusstseins und damit des Klassenkampfs
geworden. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten eine Offensive gegen den modernen Antikommunismus
durchführen, die schmutzigen und intriganten Methoden der berufsmäßigen
Antikommunisten entlarven und dem Sozialismus und seinen
Repräsentanten von Marx bis Mao Zedong neues Ansehen verschaffen.
Wie ordnest du die zu Tage gekommenen Verbindungen zwischen NPD, faschistischen Terror-Netzwerken und dem "Verfassungsschutz" ein?
Die bekannt gewordenen Informationen belegen eindeutig, dass es ein
umfassendes System der Duldung, Förderung und Deckung des
neofaschistischen Killerkommandos mit dem Namen "NSU" durch staatliche
Institutionen, sowie eine strukturelle Verbindung des staatlichen
Unterdrückungsapparates mit den faschistischen Kräften gibt. Die
Herrschenden geben dem faschistischen Terror unübersehbar verstärkt Spielraum und fördern ihn teilweise gezielt,
seitdem dieser sich verstärkt gegen die Arbeiterbewegung, Linke und
die Revolutionäre richtet. Ein erster Höhepunkt war 2009 der brutale
Angriff von 300 Faschistenschlägern auf die 1. Mai-Demonstration in
Dortmund. Faschistische Bedrohungen und Angriffe gegen Antifaschisten,
Linke, Gewerkschafter und Kollegen, die unserer Partei zugerechnet
werden, nehmen zu. Das hat breite Empörung und Solidarität
herausgefordert.
Als Tribut an das antifaschistische
Massenbewusstsein wird nun eine neue Initiative zum Verbot der NPD in
die Diskussion gebracht. Doch das ist nicht ausreichend. Es gibt
inzwischen ein entwickeltes Netzwerk und eine Struktur der
"Aufgabenteilung" sowie ein System von nationalen und internationalen
Vernetzungen unter den ultrareaktionären bis faschistischen
Organisationen, Parteien und Terror-Trupps. Die NPD ist über ihre
Wahlteilnahmen Geldbeschafferin und verbreitet das ultrarechte,
faschistoide Gedankengut scheinbar seriös in Sakko und Anzug, während
die Terrorbanden und Killerkommandos ihre Drecksarbeit verrichten. Das
einzig taugliche Mittel ist der entschiedene antifaschistische Kampf
für die unmissverständliche Ächtung und das Verbot und die Auflösung aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda.
Er steht in enger Verbindung mit dem Kampf gegen die Faschisierung des
Staatsapparats und für die Verteidigung und Erweiterung demokratischer
Rechte und Freiheiten.
Der stärkste Gegenpol zum Faschismus ist der Internationalismus. Vor gut einem Jahr wurde die ICOR als neue Weltorganisation der Revolutionäre gegründet. Wie hat sich ihr weltweiter Aufbau inzwischen entwickelt?
Bis zur Gründung der ICOR verfügte die internationale revolutionäre,
marxistisch-leninistische und Arbeiterbewegung über kein geeignetes
Instrument der praktischen Zusammenarbeit in all den vielen Fragen, in
denen sie sich einig ist. Dabei wurden seit der ICOR-Gründung schon
große Fortschritte erreicht, z.B. in der gemeinsamen Durchführung
internationaler Kampftage am 1. Mai, den Antikriegs- oder
Umweltkampftagen. Aber allen am ICOR-Prozess beteiligten Kräften ist
auch klar, dass die revolutionären Parteien und Organisationen nicht von
heute auf morgen zusammenwachsen, sondern Schritt für Schritt
zusammenfinden und ein tiefes gegenseitiges Vertrauensverhältnis
entwickeln müssen. Die von allen ICOR-Mitgliedern gemeinsam
beschlossene Jahreskampagne der ICOR vom 1. September 2011 bis zum 1.
September 2012 ist so vor allem auch eine Schule der praktischen
Zusammenarbeit, der länderübergreifenden Koordination und Kooperation
und des organisatorischen Aufbaus. Die Mitgliedsorganisationen
verbinden dazu ihre revolutionäre Praxis in ihren Ländern mit der
gemeinsamen Praxis auf internationalem Niveau.
In der MLPD wird
bereits eine rege Aktivität zur Bekanntmachung der ICOR unter den
Massen entwickelt. In der Spendensammlung sind oft die Genossinnen und
Genossen mit dem niedrigsten Einkommen die ersten, die selbstlos ihre
Beiträge geben. Das zeigt die moralische Kraft des proletarischen Internationalismus! Ihm eine neue Qualität
zu verleihen, ist die entscheidende Kraft, damit die internationale
revolutionäre und Arbeiterbewegung und ihre Verbündeten tatsächlich
Schritt für Schritt das Trennende überwinden und die strategische
Überlegenheit über das imperialistische Weltsystem erreichen.
Wie vollzieht sich denn der weitere Aufbau der ICOR und welche praktischen Projekte sind in Planung?
Für den weiteren Aufbau der ICOR kommt nun der Arbeitsaufnahme der
inzwischen in Europa, Asien und Amerika gewählten kontinentalen
Koordinierungskomitees (CCC) eine besondere Bedeutung zu. Sie sind in
der Sprache, der konkreten Kenntnis der Länder und der Parteien und
Organisationen näher dran.
Alle Kontinentalkoordinierungen haben
sich bedeutende Projekte vorgenommen, von denen wichtige Impulse für
die Koordinierung und Revolutionierung des Klassenkampfes ausgehen
werden. In Asien wird eine Bauernkonferenz in Delhi im April 2012 vorbereitet, in Afrika eine Konferenz für Anfang 2013 zum Thema "Die Verantwortung der Jugend Afrikas angesichts der Krise und die Frage der Migration". Gemeinsam mit der MLPD wird die ICOR Europa am 1./2. November 2012 ein "Europa-Seminar" organisieren
über die Entwicklung der EU und ihrer Krise sowie zur Koordinierung
des Klassenkampfes und des revolutionären Parteiaufbaus in Europa. Die
ICOR unterstützt weitere internationale Projekte: den überparteilich
organisierten Internationalen Automobilarbeiterratschlag vom 17. bis 20. Mai 2012 in München, den 4. internationalen Hafenarbeitererfahrungsaustausch im September 2012 und die Internationale Bergarbeiterkonferenz im März 2013 in Peru.
Die MLPD wird sich als verlässliche Aktivistin der ICOR erweisen, von
den anderen lernen und ihre eigenen Erfahrungen selbstbewusst
einbringen.
Du hast die Jugend verschiedentlich als notwendige praktische Avantgarde der Vorbereitung der internationalen Revolution bezeichnet. Wie entwickelt sich die Jugendarbeit der MLPD?
Der Jugendverband REBELL ist auf einem guten Weg, den proletarischen Internationalismus zum Leitmotiv seiner ganzen Arbeit zu machen. Das steht in enger Verbindung mit einer verstärkten ideologisch-politischen Arbeit, dem Studium der "Morgenröte" und einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen MLPD und REBELL. In der Zusammenarbeit mit anderen Jugendverbänden von ICOR-Parteien zeigt der REBELL Flagge unter dem Motto "Gib Antikommunismus keine Chance!".
Welche Bedeutung misst du der Herausgabe des Buchs "Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution" bei und wie wird es aufgenommen?
Seit
der Veröffentlichung des Buches "Götterdämmerung über der 'neuen
Weltordnung'" im Jahr 2003 verfügten wir über eine ausgereifte Analyse
der Neuorganisation der internationalen Produktion. Mit der
"Morgenröte..." haben wir nun allseitige Schlussfolgerungen für die Strategie und Taktik der internationalen sozialistischen Revolution gezogen. Damit sind auch Änderungen in der konkreten Strategie und Taktik der MLPD verbunden.
Unsere Mitglieder haben das Studium und den Vertrieb des Buches
erwartungsvoll, begeistert und ernsthaft aufgenommen. Wir erleben
erstaunliche Offenheit und wachsendes Bedürfnis vieler Menschen, über
das Thema der internationalen sozialistischen Revolution zu diskutieren.
Mehr als 2.000 Teilnehmer besuchten bisher 36 öffentliche
Veranstaltungen zur "Morgenröte ...". Auch die Studienbewegung
entwickelt sich gut. Über 50 Studiengruppen haben sich bisher gebildet
sowie zahlreiche kleinere Lesegruppen. Bisher wurden über 4.300 Bücher
verkauft.
Die Strategie und Taktik der internationalen
sozialistischen Revolution hat zwei Seiten, die in dialektischer
Wechselwirkung zueinander stehen: Sie bezieht sich auf die
internationale Revolution als gemeinsame historische Aufgabe ebenso wie
auf die objektiven und subjektiven Voraussetzungen in den einzelnen
Ländern. Daraus folgt: Jeder Revolutionär muss Verantwortung für die
Entwicklung in anderen Ländern übernehmen und mit diesem Bezugspunkt
aktiv daran arbeiten, den Klassenkampf im eigenen Land voran zu
bringen. Das ist etwas Neues, das wir uns alle zusammen erst einmal
erkämpfen müssen. So fordert die Lektüre des Buches jeden auch zu einer
intensiven Selbstveränderung heraus.
Auch in der internationalen
marxistisch-leninistischen, revolutionären und Arbeiterbewegung hat
eine Strategiedebatte über die Zukunft der gesellschaftlichen
Entwicklung und den Beitrag der Marxisten-Leninisten begonnen. Der
wichtigste Beitrag der MLPD für diese Debatte ist dieses Buch. Deshalb
arbeiten wir mit Hochdruck an der internationalen Verbreitung:
Bereits kurz nach dem Erscheinen auf Deutsch ist die "Morgenröte..."
auf Englisch erschienen, herausgegeben von einem indischen Verlag. Die
spanische Ausgabe ist bereits fertig übersetzt und wird demnächst
gedruckt. Die französische Übersetzung ist fortgeschritten, an der
Übersetzung auf Türkisch, Russisch, Arabisch und Farsi wird gearbeitet.
Die weltweite Verbreitung des Buches wird von vielen Parteien und
Organisationen mit Spannung erwartet und zweifellos eine Hilfe sein,
dass der Prozess des Zusammenschlusses der revolutionären Kräfte auf der
Welt vorankommt.
Welche theoretischen Aufgaben stehen vor der MLPD in nächster Zeit?
Ich habe bereits oben dargelegt, dass aktuell im Mittelpunkt die
Nummer des theoretischen Organs zum Klassenkampf und dem Kampf um die
Einheit von Mensch und Natur steht. Parallel dazu arbeiten wir aber
bereits an einer weiteren Ausgabe unseres theoretischen Organs mit dem
Arbeitstitel "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise".
Die Krise der bürgerlichen Ideologie führt zur weiteren
Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems. Wer vermag
angesichts der schändlichen Rolle der Banken in der überschäumenden
Spekulation noch von einer "sozialen Marktwirtschaft" zu sprechen? Wer
meint allen Ernstes noch, dass der Staat, der in dieser Situation in
immer mehr Ländern die Krisenlasten radikal auf die breiten Massen
abwälzt, ein "Sozialstaat" sei? Auch die Religion, die eine wichtige
Aufgabe darin hat, die Massen in Demut und Zurückhaltung zu halten,
verliert tendenziell ihre Wirkung. In der Wissenschaft gerät die
Verengung auf die unmittelbar profitorientierte wissenschaftliche
Tätigkeit immer mehr in Kritik. Aber auch der Idealismus und die
Metaphysik erleben gerade ein Desaster. Mit alldem muss man sich
prinzipiell auseinandersetzen und die Überlegenheit der proletarischen,
dialektisch-materialistischen Weltanschauung und Denkweise
propagieren.
Mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise konnte
die bürgerliche Ideologie auf eine bestimmte Art und Weise tief in die
Massen, die Arbeiterbewegung, den Parteiaufbau und den Sozialismus
eindringen. Aber sie gibt eine einseitig negative Ausrichtung, die
keine positive Bindungskraft zum imperialistischen Weltsystem
entwickeln kann. Das kennzeichnet den zeitweiligen Charakter der
Wirkung des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise.
Es ist sehr
wichtig, dass die Marxisten-Leninisten sich auch weltanschaulich
rüsten, denn eine neue sozialistische Gesellschaft ist nicht nur ein
politisches und ökonomisch alternatives System zum Kapitalismus,
sondern sie muss vor allem auf einer klaren proletarischen
Weltanschauung fußen. Es war eine der verheerendsten Erfahrungen der
internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung, dass das Eindringen
der kleinbürgerlichen Denkweise in die Führungsschicht der Partei, des
Staats und der Wirtschaft bis zur revisionistischen Entartung und zur
Restauration des Kapitalismus führen konnte. Eine entscheidende
Bedingung dafür war die Geringschätzung der weltanschaulichen Seite im
Aufbau des Sozialismus. Diese bittere Erfahrung muss uns eine Lehre
sein.
Die MLPD beginnt, ihren IX. Parteitag vorzubereiten. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Bei den bürgerlichen Parteien spielt die Basis bestenfalls eine
Statisten-Rolle. Beim Parteitag der Linkspartei im Oktober in Erfurt
bekamen die Mitglieder stapelweise Parteitagsmaterialien am Eingang
ausgehändigt, über die dann unverzüglich diskutiert und abgestimmt
wurde. Bei uns erhält jedes Mitglied den Rechenschaftsbericht des
Zentralkomitees Monate vor dem Parteitag persönlich als Entwurf
ausgehändigt - zum Studium, zur Überprüfung anhand seiner eigenen
Erfahrungen, als Hilfe zu deren Verarbeitung und verbunden mit dem
Recht, Anträge zur Kritik und Verbesserung auszuarbeiten. Jede
Parteigruppe diskutiert den im Oktober vom Zentralkomitee
verabschiedeten Entwurf des Rechenschaftsberichts über einige Monate
ausgiebig und kann Anträge vorschlagen, die die Delegiertentage der
Ortsgruppen und Kreisverbände dann an den Parteitag richten. Was wir
seit Jahrzehnten mit Erfolg praktizieren, ist in der deutschen
Parteienlandschaft einmalig. Kandidaten für die zentralen Gremien werden
von der Basis vorgeschlagen und können ohne Zustimmung ihres Kreis-
bzw. Ortsdelegiertentages nicht kandidieren.
Solch umfassende
Rechte der Mitgliedschaft, ein solch intensiver Prozess der
Parteitagsvorbereitung sind für uns eine wesentliche Schlussfolgerung
aus der revisionistischen Entartung früherer kommunistischer Parteien
und ein wichtiger Garant, dass die Mitglieder tatsächlich die Herren in
der Partei sind. Elementarer Bestandteil der Parteitagsvorbereitung ist
die Selbstveränderung der Partei in der ICOR-Kampagne, die
jederzeitige Verwirklichung der Jugendarbeit als Massentaktik des
Parteiaufbaus und ein Prozess der Reorganisierung der Partei
entsprechend den neuen Aufgaben im Umweltkampf.
Dieser Parteitag wird auch im internationalen Interesse stehen wie keiner zuvor.
Wie steht die Partei gegenwärtig da? Wie will sie sich weiterentwickeln?
Der Rechenschaftsberichts-Entwurf des Zentralkomitees der MLPD an den
IX. Parteitag zieht eine positive Bilanz der Entwicklung unserer
Partei. Angesichts der komplizierten Umstände ist die stabile Entwicklung der MLPD ein großer Erfolg,
auch wenn sie sich mitgliedermäßig im vergangenen Zeitraum nicht
wesentlich stärken konnte. Im gleichen Zeitraum hat die MLPD Enormes
geleistet und sich neue Felder erobert. Wir haben einen wichtigen Anteil
an einer sich neu formierenden kämpferischen Umweltbewegung. Wir haben
unsere Landesverbände mitsamt Leitungen und Geschäftsstellen aufgebaut
und dadurch unserer Partei in den Regionen ein "Gesicht" gegeben.
Um uns noch mehr zu konzentrieren und jeder immer wieder auftauchenden
Gefahr der Verzettelung entschieden entgegenzuwirken, haben wir einen
Prozess der Reorganisierung der Partei in Gang gesetzt. Das heißt: mehr Kräfte für die Kleinarbeit im Allgemeinen und vor allem für die Umweltarbeit im Besonderen!
Es gibt durchaus auch "hausgemachte" Probleme, um deren Überwindung wir
in den letzten Jahren nachhaltig gekämpft haben. Dazu gehörten vor
allem nicht überwundene Tendenzen der Anbetung der Spontaneität.
Ihre Leitlinie ist das hektische Auf und Ab der täglichen Ereignisse,
anstatt einer strategischen Sicht- und Handlungsweise. Wenn dagegen die
ideologisch-politische Seite der führende Faktor ist und das System
der Kleinarbeit auf der Grundlage der proletarischen Denkweise
entwickelt wird, greift unsere Arbeit nachhaltig und wird in der
jeweiligen Situation und punktuell eine Überlegenheit gegen das
gesellschaftlich organisierte System der kleinbürgerlichen Denkweise
hergestellt. Der entscheidende innere Faktor für die Erfolge war, dass
die MLPD in den letzten Jahren alle Funktionäre und immer mehr
Mitglieder in der Beherrschung der dialektischen Methode auf dem Niveau der Lehre von der Denkweise und des systemischen Denkens
geschult und ausgebildet hat. Die Herausforderungen werden
komplizierter und erfordern ein hohes Maß an selbständiger
Orientierungsfähigkeit. Die weltanschauliche Auseinandersetzung als
Vorgefecht kommender Klassenschlachten bekommt zentrale Bedeutung.
Wie ist dein Ausblick für das anbrechende Jahr 2012?
Die Turbulenzen des imperialistischen Weltsystems münden früher oder
später unweigerlich in eine revolutionäre Weltkrise! Vielleicht war das
Jahr 2011 dafür bereits ein historischer Wendepunkt. Die Herrschenden
werden alles tun, dem entgegenzuwirken, sich mit Betrug und Gewalt der
Revolutionierung der Massen entgegenzustemmen. In welchem Zeitraum
qualitative Sprünge im Prozess der Revolutionierung der Massen erfolgen,
kann natürlich nicht exakt bestimmt werden. Die Tatsache einer
weltumspannenden Massenbewegung für Freiheit und Demokratie ist ein qualitativer Sprung
in der Entwicklung des Klassenbewusstseins gegenüber der relativen Ruhe
im Klassenkampf. Die zentrale Frage ist, ob bzw. wie lange die
Imperialisten durch ihre bürgerliche Propaganda und Betrugsmanöver den
Haupteinfluss auf diese Bewegung bekommen bzw. inwieweit sie durch den
tendenziell auch stärker werdenden Staatsterror zur Unterdrückung dieser
Massenbewegung den Prozess der Revolutionierung der Massen voran
treiben.
In dieser Auseinandersetzung kommt es vor allem darauf an,
dass die Marxisten-Leninisten und die Revolutionäre der ganzen Welt
zur Höherentwicklung des Klassenbewusstseins und des Klassenkampfs
beitragen. Das funktioniert über einen länderübergreifenden Prozess der Koordinierung und Revolutionierung der Massenbewegungen.
Die ICOR wird in diesem Prozess ihre praktische Feuertaufe erleben.
Wird sie bereits ein neues Niveau des proletarischen Internationalismus
in Theorie und Praxis verwirklichen können? Wird sie schnell genug in
ihre internationalistische Verantwortung hineinwachsen und entschlossen
zur Vorbereitung der internationalen Revolution beitragen? Und wird
dabei der Prozess der ideologisch-politischen Vereinheitlichung der
internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung
voranschreiten? Das sind alles wichtige Fragen, vor die uns die
Geschichte stellt und die auch in der Vorbereitung des IX. Parteitags
einen wichtigen Platz in der Diskussion einnehmen werden.
Ich bin
fest davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Wege sind und bin
stolz auf unsere Partei, dass sie sich in diesen komplizierten Jahren
als stabiler Faktor und Orientierungspunkt für immer mehr kritische
Menschen in diesem Land, und auch zum Teil international, erwiesen hat.
Ich danke allen unseren Genossinnen und Genossen für ihr großes
Engagement, den hohen Grad praktischer Solidarität und den selbstlosen
Einsatz im vergangenen Jahr! Ich hoffe, dass alle nach ein paar
erholsamen Tagen sowie schwungvollen Silvesterfeiern gestärkt an die
großen Aufgaben des Jahres 2012 gehen können! Ich freue mich auf die
Zusammenarbeit und wünsche allen Leserinnen und Lesern der "Roten Fahne"
ein gesundes, kämpferisches und erfolgreiches neues Jahr 2012.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
(Interview-Text im pdf-Format)1) International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations (Internationale Koordinierung Revolutionärer Parteien und Organisationen)
2) International League of Peoples Struggle (Internationale Liga der Volkskämpfe)