Rote Fahne 18/2025

Rote Fahne 18/2025

„In 70 Prozent der Fälle bekamen wir Recht“

Ingrid Schween von der Velberter Montagskund­gebung und Mitglied im Kooperationsrat des Interbündnisses berichtet über ihre Erfahrungen in der Hartz IV/Sozialberatung.

„In 70 Prozent der Fälle bekamen wir Recht“

Ich bin Sozialarbeiterin, und habe von 2006 bis 2020 ehrenamtlich die Hartz IV/Sozialberatung in Velbert angeboten. Wöchentlich zwei Stunden, aber oft auch ­Klienten zum Jobcenter begleitet. Die meiste Zeit war eine Anwältin dabei, deshalb durften wir auch Rechtsberatung machen. Wir führten die Beratung im Büro der Linken durch, erst war sie unabhängig, später im Namen der Partei. In diesen gut 13 Jahren sind mir Hunderte betroffene Menschen begegnet.

 

Die Aufgaben reichten von grundsätzlicher Aufklärung darüber, was jemandem zusteht, der Hilfe bei Anträgen über konkrete Fragen, Widersprüche bis hin zur sozialen Rundumbetreuung einiger schwer sucht- und psychisch kranker Dauerklienten. Die deutliche Mehrheit der Klienten bekam Hartz IV, einige kamen auch mit Problemen mit Arbeitsamt oder Rentenstelle.

Behördendeutsch – schwer zu verstehen

Ein Schwerpunkt war die Hilfe beim Verstehen von Anträgen, Bescheiden, Schreiben vom Amt. Nicht jeder versteht formales Behördendeutsch, (auch viele Deutsche nicht). Ein weiterer das Formulieren von konkreten Widersprüchen gegen fehlerhafte oder falsche Bescheide. In etwa 70 Prozent der Fälle wurde den Widersprüchen stattgegeben!

 

Menschen bekamen ihr Geld nicht ausgezahlt oder gekürzt, Einkommen aus Nebenjobs wurde falsch angerechnet. Oft wurde behauptet, Unterlagen wären nicht eingereicht worden – die sich seltsamerweise Wochen später doch im Jobcenter wiederfanden … Viele trauten sich kaum noch zum Amt, weil sie arrogante Mitarbeiter dort vorfanden. Dieses Problem lösten wir, indem wir mitgingen. Die meisten sagten danach: „So freundlich war die noch nie!“.

Druck vom Job-Center

Hier mal ein Beispiel, wie absurd das Jobcenter oft handelte: Da war eine Frau Ende 50, die ihre demenzkranke Mutter nicht lange unbeaufsichtigt lassen konnte. Da aber die Pflegekasse die Mutter noch nicht in eine Pflegestufe einstufte (obwohl sie schonmal einen Brand zuhause verursacht hatte), übte das Jobcenter Druck auf die Frau aus, sie hätte sich Ganztagsarbeit zu suchen (sie trug morgens Zeitungen aus). Erst durch unsere massive Einmischung mit Anwaltsschreiben gaben sie nach. Aber das (unregelmäßige) Einkommen von der Zeitung wurde noch monatelang immer wieder falsch angerechnet …

 

Wenn der Amtsschimmel wiehert, hilft Solidarität.