Rote Fahne 18/2025

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100 Jahre „Neues Frankfurt“ – fortschrittlicher Wohnungsbau

Das „Neue Frankfurt“ war ein bedeutendes Stadtplanungsprogramm, das zwischen 1925 und 1930 durchgeführt wurde und alle Bereiche der städtischen Gestaltung umfasste

Von vm
100 Jahre „Neues Frankfurt“ – fortschrittlicher Wohnungsbau
Für damalige Zeiten revolutionär – Wohnungen/Appartements für ledige arbeitende Frauen, 1930 - 31 konzipiert von Bernhard Hermkes (Foto: Christos Vittoratos / CC BY-SA 3.0/Wikimedia)

Das Programm sollte die akute Wohnungsnot als Folge von Erstem Weltkrieg und Versailler Vertrag in den 1920er-Jahren beseitigen und vor allem Arbeiterhaushalten mit niedrigem Einkommen zu Wohnraum verhelfen. Dabei setzte es neue ästhetische Maßstäbe in Anlehnung an das Bauhaus. In vier Frankfurter Museen, der Ernst-May-Gesellschaft und in vielen Veranstaltungen werden derzeit die Initiatoren, ihre Zielsetzungen und Ergebnisse vorgestellt und diskutiert.

Neue Maßstäbe des Wohnens

Ludwig Landmann, ein bürgerlich-liberaler Kommunalpolitiker, war 1924 zum Frankfurter Oberbürgermeister gewählt worden. Er ernannte den Architekten Ernst May zum Stadtbaurat, der alle Aktivitäten leitete und sich dazu ein Team junger Architekten, Techniker, Künstler und Designer holte. Bruno Asch, der Stadtkämmerer, sorgte für die Finanzierung.

 

Innerhalb von nur fünf Jahren entstanden etwa 14 000 Wohnungen für die Frankfurter Bevölkerung und zwölf neue Siedlungen. Diese lagen im Grünen, mit in der Regel drei- bis viergeschossigen Bauten. Sie erfüllten nicht nur das Grundbedürfnis des Wohnens, sondern setzten auch neue Maßstäbe. Beispielsweise mit der berühmten Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzki, dem Prototyp einer Einbauküche. Oder mit Wohnungen für alleinstehende berufstätige Frauen. Dazu kamen zahlreiche Schulgebäude, eine Badeanstalt, ein Altenheim, Industrieanlagen wie das Betonwerk für die Montageteile, das Elektrizitätswerk und die Großmarkthalle (heute integrierter Bestandteil der EZB). Zur Beschaffung des erforderlichen Baulands wurden entsprechende Flächen zu einem Einheitspreis enteignet. Die meisten Wohngebäude und Siedlungen sowie zahlreiche öffentliche Gebäude sind heute noch in Funktion und sichtbar.

Hoffnung auf Klassenver­söhnung vergeblich

Die fortschrittlichen Errungenschaften des „Neuen Frankfurt“ änderten freilich nichts an den grund­legenden Problemen im Kapitalismus, ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum für die Masse der Arbeiter und werktätigen Bevölkerung zu schaffen. Eine revolutionäre Umgestaltung war aber nicht Ziel des bürgerlichen Reformprogramms der großen Koalition aus SPD, liberaler Deutscher Demokratischer Partei und katholischer Zentrumspartei im Frankfurter Stadtrat. Im Gegenteil. Vielmehr sollte die „in Arbeiterschaft und Bürgertum gespaltenen Gesellschaft ausgesöhnt“ werden.¹

 

Tatsächlich trat jedoch das Gegenteil ein. Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre verschärfte alle gesellschaftlichen Widersprüche. Trotz dieser Erfolge konnte der Frankfurter Wohnungsbau mit der noch rascher wachsenden Wohnungsnot nicht Schritt halten. 1928 waren bereits 27 000 Familien als Wohnungssuchende registriert. Hinzu kam, dass das Mietniveau der neuen Siedlungen für die unteren Einkommensschichten immer noch zu hoch war, so dass der größte Teil der Bewohner vor allem aus Facharbeitern, kleinen Angestellten und städtischen Beamten bestand.²

Faschismus setzt dem Bauprogramm ein Ende

Das „Neue Frankfurt“, seine Vertreter, die sozialen und kulturellen Maßstäbe des Programms sowie die modernen Lebensformen wurden zunehmend zur Zielscheibe faschistischer Propaganda. Anfang der 1930er-Jahre stampften die Faschisten das Bauprogramm ein, versorgten ihre Gefolgschaft aber mit den beliebten Wohnungen.

 

Viele Vertreter des „Neuen Frankfurt“ wurden ab 1933 ins Exil getrieben oder grausam unterdrückt. Ernst May und der Großteil der Architekten und Künstler des „Neuen Frankfurt“ emigrierten. Ernst May und Margarete Schütte-Lihotzky gingen 1930 für einige Jahre in die Sowjetunion, wo sie den sozia­listischen Aufbau unterstützen. Ludwig Landmann und Bruno Asch flüchteten nach Holland, wo Ludwig Landmann unter furchtbaren Umständen in seinem Versteck verhungerte und Bruno Asch sich beim Einfall der deutschen Truppen 1940 das Leben nahm.

 

Die Festlichkeiten zu 100 Jahre „Neues Frankfurt“ sehen vor allem das bürgerliche Engagement und die moderne Bautechnik, die zur Anwendung kam, als Voraussetzungen für einen Erfolg. Sie zeigen in Ansätzen, welch inspirierenden Entwick­lungen im Kapitalismus durch fortschrittliches Engagement entstehen können. Aber: Illusionen in die bürger­liche Kommunalpolitik als erklärtem Gegner einer revolutio­nären Umgestaltung der Gesellschaft lösen nicht die Wohnungsfrage. Denn das erfordert die Befreiung der Gesellschaft von den kapitalis­tischen ­Fesseln. An den Rand gedrängt werden auch die erneute faschistische Gefahr und die damalige Aggression der Faschisten gegen das fortschrittliche Stadtplanungsprogramm.