Rote Fahne 17/2025

Rote Fahne 17/2025

In den Klauen von RAG, Thyssenkrupp, RWE und Co.

In dem mit 18 Millionen Einwohnern mit Abstand größten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) werden am 14. September Stadträte, Bürgermeister beziehungsweise Oberbürgermeister, Bezirksvertretungen, Kreistage, Landräte und das Ruhrparlament neu gewählt. 13,8 Millionen Wahlberechtigte werden an die Urnen gerufen. Angesichts der „Zeitenwende“ der Bundesregierung in Richtung Weltkriegsvorbereitung und drastischem Abbau sozialer Errungenschaften sowie der wachsenden faschistischen Gefahr dürfte es eine sehr spannende Wahl werden.

Von we
In den Klauen von RAG, Thyssenkrupp, RWE und Co.
Ruhrgebietstraditionen – Zeche Zollverein in Essen und kämpferische Bergarbeiterbewegung sowie ihre Freunde

„Wir sind das Ruhrgebiet ... wo nur die Freundschaft zählt“ – dieser fetzige Hit von Wolfgang Petry aus dem Jahr 1994 wird im Revier, wie man das Ruhrgebiet auch nennt, noch immer gern gesungen. Der Song widerspiegelt den traditionell kumpelhaften Zusammenhalt und die Vielfalt dieser Region. Hier leben 5,1 Millionen Menschen, viele davon aus über 100 verschiedenen Nationen, ohne die im Ruhrgebiet nichts mehr ginge. Es ist geprägt von der kämpferischen Tradition und Kultur der Bergleute, aber auch von der Stahlindustrie, die sich aufgrund der Kohleförderung hier ansiedelte. Unvergessen ist die führende Rolle der Bergarbeiter in der 100 000 Mann starken Roten Ruhrarmee, die 1920 die Errichtung einer faschistischen Diktatur durch den Kapp-Putsch verhinderte. Ebenso der große Bergarbeiterstreik von 1997 mit 130000 Beteiligten. Auch weltweit sind die Bergleute bei vielen Kämpfen eine führende Kraft.

 

Auch „nach der Kohle“ und der Schließung eines großen Teils der Stahlbetriebe ist das Ruhrgebiet eine der bedeutendsten Industrieregionen in Europa, mit weiter bestehender Stahlproduktion, Chemie- und nun auch Logistikkonzernen sowie einem sehr dichten Verkehrsnetz. Aber auch neue Industrieansiedlungen und etliche kulturelle Glanzlichter können den krisenhaften Niedergang nicht ausgleichen.

Von wegen „sozialverträglicher Strukturwandel“

Der Song blendet mit dem „Wir“ aus, wer „uns“ im Nacken sitzt und für den Niedergang verantwortlich ist. Um zugunsten der Öl- und Gaskonzerne den Steinkohlebergbau zu liquidieren sowie gleichzeitig den gegen die Zechenschließungen auflodernden Kämpfen Herr zu werden, wurde 1968 unter Federführung der SPD-Bundesregierung die „Ruhrkohle AG“ (RAG) gegründet. Ihre Struktur war konzentrierter Ausdruck des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Sie wurde zwar ausdrücklich nicht als direkt staatlicher Konzern gegründet, staatliche Monopole wie VEBA und Salzgitter AG hielten aber von Anfang an führende Beteiligungen. Weitere Anteilseigner waren mehrere Stahlkonzerne. Als internationales Monopol legte die RAG bis 2018 alle Bergwerke still, vernichtete so allein im Bergbau 260 000 Arbeitsplätze und transferierte ihr Kapital in andere Industriezweige. Das konnten auch die 220 000 Menschen Anfang 1997 mit ihrem 93 Kilometer langen „Band der Solidarität“ - von Neukirchen-Vluyn im westlichen bis Lünen im östlichen Ruhrgebiet¹ - nicht mehr aufhalten.

 

Die ständige Propaganda der Konzern- und Regierungsstrategen vom „sozialverträglichen Strukturwandel“ erwies sich als Fata Morgana, sollte den Kampf um die Arbeitsplätze möglichst weitgehend verhindern. Und kaum sind alle Bergwerke geschlossen, fordert der Stahlkonzern Thyssenkrupp mit seinem Generalangriff auf die Arbeitsplätze die Stahlarbeiter zum Kampf heraus. „Wir“, die Arbeiter- und Volksbewegung - nicht nur im Revier - sind hier gefordert, an der Seite der Kollegen zu stehen. Denn schon jetzt, Januar 2025, ist die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet mit 10,3 Prozent extrem hoch und deutlich über dem Bundesdurchschnitt.²

Rasanter Anstieg der kommunalen Verschuldung

NRW hat mit 55 Milliarden Euro die höchste Verschuldung aller Bundesländer, im Ruhrgebiet ist sie am größten. Ebenso die persönliche Überschuldung: „Auch unter Städten mit mehr als 400000 Einwohnern führt Nordrhein-Westfalen: Duisburg, Essen und Dortmund haben die höchsten Anteile überschuldeter Menschen.“³ Nicht zuletzt deshalb, weil das Ruhrgebiet beim Lohnniveau unter dem Durchschnitt des Bundeslandes liegt.

 

Angesichts der immensen Verschuldung spielen die Regierungsparteien und Stadtverwaltungen die Leier „Kein Geld da“. Dabei stiegen die gesamten Steuereinnahmen um 5,3 Prozent auf 947 Milliarden Euro. Allerdings gönnte sich der Bund eine Steigerung von 5,3 Prozent, den Kommunen blieb nur ein Plus von 1,4 Prozent. So entgingen ihnen satte 30 Milliarden Euro. Die kommunale Verschuldung in NRW stieg auf 141 Milliarden Euro⁵, am stärksten bei den Ruhrgebietsstädten, was deren Handlungsspielraum enorm einengt. Dazu tragen die sinkenden Einnahmen durch die Gewerbesteuer bei, weil die internationalen Großkonzerne Gewinne und Verluste international verrechnen dürfen.

 

Das ist vor allem Bestandteil der zunehmenden Umverteilung an die Monopole, wird sich aber mit der beginnenden Umstellung auf Kriegswirtschaft noch massiv verschärfen. Es wirft ein Licht darauf, dass die grundgesetzlich garantierte „kommunale Selbstverwaltung“ zur Farce wird und erst in einem sozialistischen Staat verwirklicht werden kann (siehe Seite 37).

Warum hinterlässt die RAG „verbrannte Erde“?

Nun sprechen alle der genannten AUF-Bündnisse von der „Politik der verbrannten Erde der RAG“. Was verstehen sie darunter? Was bleibt uns nach der Schließung aller Bergwerke und eines großen Teils der Stahlbetriebe? Extrem hohe Arbeitslosigkeit, vor allem unter der Jugend. Extrem niedrige Durchschnittslöhne, verseuchte Industriebrachen, schiefe Häuser, marode Abwasserkanäle und folglich hohe Abwassergebühren, schlechte Straßen, gestörte Bachläufe. Und inzwischen auch drückendes Grundwasser, Hebungen, Einleitung von hoch belastetem Grubenwasser in unsere Flüsse und Meere. Viele Bergleute sind durch die harte Arbeit und Umweltgifte krank geworden oder viel zu früh gestorben. Folgen von PCB-Vergiftungen werden nicht als Berufskrankheit anerkannt. Die Bergarbeiterkultur des Zusammenhalts und der Solidarität droht verloren zu gehen. Und wenn die Hunderte Pumpwerke nicht laufen bis in alle Ewigkeit, versinkt das Ruhrgebiet in einer giftigen Seenplatte.⁵

Es geht um weit mehr als das Ruhrgebiet

Das Vorgehen der RAG im Bergbau steht beispielhaft für die arbeiter- und umweltfeindliche Politik aller internationalen Monopole. Sie haben heute ihre allseitige Diktatur über die gesamte Gesellschaft errichtet. Konzerne wie die RAG, Thyssenkrupp, RWE oder Eon bestimmen im Ruhrgebiet maßgeblich über die Politik und das gesellschaftliche Leben. Aber die AUF-Wahlbündnisse in der Region, die weltanschaulich offen sind, machen am Beispiel der RAG deutlich, wie dieser Weltkonzern, wie das ganze kapitalistische System die Lebensinteressen der Menschen mit Füßen tritt, eine lebenswerte Zukunft in Frage stellt und wie man organisiert für die eigenen Interessen kämpfen kann. Dabei treten alle Bündnisse für das Verbot der faschistischen AfD ein und enttarnen sie als arbeiter-, volks-, frauen- und ausländerfeindlich und damit als diktatorischer Handlanger des Kapitals. Die MLPD unterstützt das, leistet eigenständige Überzeugungsarbeit und bleibt dabei ein energischer Verfechter des Prinzips der Überparteilichkeit nach dem Motto: „Um uns selber müssen wir uns selber kümmern.“

 

So wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es eine echte kommunale Selbstverwaltung nur in einer Gesellschaft geben kann, in der die Lebensinteressen der Menschen, die Einheit von Mensch und Natur zur Leitlinie werden und nicht mehr der Profit einiger Weniger!