Rote Fahne 11/25
Ein Maler, zwei Chinas – Die Malerei des revolutionären China und die Wandlung Chen Yifeis
Gegenwärtig zeigt das Museum of Art Pudong in Shanghai, China eine Retrospektive von Chen Yifei (1946 – 2005), einem der bekanntesten Maler des revolutionären Aufbaus und der Kulturrevolution in China. Die Ausstellung zeigt über 150 seiner Werke, darunter Gemälde, Skulpturen und Filme, und bietet einen umfassenden Überblick über sein künstlerisches Schaffen. Sein Werk – und seine Wandlung – sind ein Spiegelbild der Entwicklung Chinas
In seinen frühen Jahren war Chen Yifei ein treuer Diener der revolutionären Sache. Nach seinem Studium an der Shanghai School of Art wurde er in den 1970er-Jahren mit der Schaffung großformatiger Ölmalereien beauftragt, die zur politischen Mobilisierung der Massen beitragen sollten.
Ausgehend von dem „Forum über Literatur und Kunst“ in Yan’an 1942 und Mao Zedongs bis heute richtungweisenden Redebeiträgen dort, hatte die KP Chinas eine systematische Kulturpolitik entwickelt, die Mao in den Worten „Unsere Literatur und Kunst dienen dem Volk, insbesondere den Arbeitern, Bauern und Soldaten“ zusammengefasst hatte. Unter dieser Politik gelang es Chen Yifei, technische Meisterschaft mit einer klaren weltanschaulichen Ausrichtung zu verbinden: der Stärkung der Arbeiterklasse, der Verankerung der revolutionären Sache und dem Streben nach einer klassenlosen Gesellschaft. Ein Zitat Chens, dass diese Denkweise zum Ausdruck bringt, umrahmt großformatig den Eingang zur Ausstellung: „Ich glaube, dass ein wahrer Künstler nicht nur künstlerisches Talent haben muss, sondern auch ein tiefes gesellschaftliches Bewusstsein. Ich habe immer danach gestrebt, ein solcher Künstler zu sein.“
Er verstand Kunst als Werkzeug zur Stärkung des Klassenbewusstseins, im Dienst der sozialistischen Gesellschaft. Berühmte Werke, die mit dieser Denkweise entstanden, stehen gleich am Anfang der chronologisch aufgebauten Ausstellung, so etwa das berühmte „Der Sturm auf den Präsidentenpalast“, „Ode an den Gelben Fluss“ oder „Die Pioniere“.
Mit der Restauration des Kapitalismus unter Deng Xiaoping vollzog sich auch in Chens Werk ein scharfer Wandel. Anfang der 1980er-Jahre emigrierte er in die USA und orientierte sich zunehmend an westlichen Kunstmärkten und bürgerlicher Ästhetik. Die Inhalte seiner Werke entfernten sich zunehmend von der revolutionären Thematik und wurden stattdessen von sentimentalen, ästhetisierten Darstel lungen traditioneller chinesischer Frauen, Wasserszenen und westlich anmutender Romantik geprägt.
Chen wurde zu einem Symbol der kapitalistischen Restauration auf kulturellem Gebiet – der Rückkehr zu einem Kunstverständnis, das den Klassenkampf durch „Schönheit“, Nostalgie und Konsum ersetzt. Das entsprach auch den kulturellen Bedürfnissen und Interessen der neuen bürgerlichen Klasse in China.
Ab den 1990er-Jahren baute Chen nicht nur ein florierendes Kunstimperium auf, sondern gründete auch ein Modeunternehmen und trat als Star der Neureichenkultur auf. Der Künstler, der einst für die Massen malte, wurde selbst zur Marke – seine Bilder zierten Luxushotels, Auktionskataloge und Villen der oberen Zehntausend. Die Kunst wurde Ware, der Künstler Unternehmer und die revolutionäre Botschaft wich der Ästhetik, die am meisten Gewinn abwarf. Auch diese Entwicklung war nicht geradlinig: So zeigt er in seiner „Tibetischen Serie“ Anfang der 1990er-Jahre – anders als die bourgeoise Dekoration seiner „Klassischen Schönheiten“ – wieder Menschen, die hart arbeiten, unter schwierigen Bedingungen leben und eine gewisse Authentizität verkörpern. Doch die Parallelen zu seinen revolutionären Werken sind nur äußerlich: Die Bilder der Tibetischen Serie romantisieren die Armut, ohne gesellschaftliche Ursachen zu benennen. Diese Bilder laden zum Betrachten ein, nicht zum Handeln. Sie wecken Mitgefühl, nicht Klassenbewusstsein.
Chen Yifeis Lebensweg illustriert beispielhaft, wie ein Künstler, der einst revolutionäre Ideale in meisterhafte Bilder für die Massen zu übersetzen vermochte, ohne revolutionäre Führung durch die Partei seinen Charakter ändert. Auch wenn seine Werke teils technisch brillant blieben, steht er damit doch sinnbildlich für eine Generation chinesischer Intellektueller, die – statt weiter dem Volk zu dienen – ihre Talente an die Bourgeoisie verkauften. Andere Künstler dieser Zeit, wie etwa Luo Zhongli, blieben dagegen ihrem revolutionären Ideal weitgehend treu.
Das am gegenüberliegenden Ufer des Huangpu-Flusses gelegene Propagandaposter-Musem ist eine gute Ergänzung zur Chen-Yifei-Retrospektive. Das halboffizielle Museum stellt revolutionäre Propaganda-Poster von der Zeit der 4. Mai-Bewegung 1919 bis zum Ende der Kulturrevolution 1976 aus. Der Form nach könnte der Unterschied zwischen dem Hochglanz-Kulturtempel des Museum of Art Pudong und der rustikalen Poster-Ausstellung kaum größer sein. Doch beide bieten einen tiefen Einblick in eine Kunst, die sich – im Sinne der genannten Yan’an’er Konferenz – strikt in den Dienst des Volkes und der Revolution stellte. Der Leiter der Ausstellung erzählt uns, wie schwer es ist, Originale der Plakate aus der Kulturrevolution zu finden. Denn nach Deng Xiaopings Machtübernahme 1979 erklärte dieser das Verbot der Propaganda-Plakate und ließ systematisch alle noch erhaltenen vernichten.
Was für eine Angst müssen die neuen Herrscher Chinas vor der Kraft der revolutionären Kultur gehabt haben.