Rote Fahne 09/25
Bei den kämpfenden Bergarbeitern in Chiatura: „Wir werden die praktische Solidarität weiter organisieren“
Seit vergangenen Herbst führen rund 3600 Mangan-Bergarbeiter in Chiatura (Georgien) einen entschlossenen Kampf gegen Aussperrung, verspätete und schließlich ausbleibende Lohnzahlungen, … gegen die provokative Ankündigung ihrer Kündigung per SMS und für ein menschenwürdiges Leben in der Region. Diese Auseinandersetzung im abgelegenen Norden von Georgien erfährt wachsende internationale Solidarität und Aufmerksamkeit. Die Weichen dafür wurden gestellt mit der Teilnahme einer Delegation der georgischen Bergleute an der 3. Internationalen Bergarbeiterkonferenz 2023 in Thüringen. Gemäß dem beschlossenen Motto „Kein Kampf darf mehr alleine stehen“ organisiert die Internationale Bergarbeiterkoordination (IMC) die weltweite Unterstützung ihres Kampfs. Die Europakoordinierung der IMC hat dazu auch eine Spendensammlung für die Bergleute und ihre Familien beschlossen. Von Ende März bis Anfang April besuchte eine Delegation im Auftrag der IMC sie vor Ort – Andreas Tadysiak, Hauptkoordinator der IMC, ein Opelarbeiter als Übersetzer und ein Vertreter der MLPD.
Nach unserer Ankunft in Chiatura werden wir am Flughafen herzlich von den Bergarbeitern begrüßt. Auf der Fahrt und beim Frühstück wollen wir unbedingt wissen, wie alles anfing. Ramaz¹ berichtet: „Direkt nach den Parlamentswahlen 2024 im November wurden wir ausgesperrt, sollten nur 60 Prozent unseres Lohnes bekommen. Am 1. März sollte die Arbeit mit vollem Lohn wieder aufgenommen werden. Für viele von uns war das schon eine schwierige Situation. Mehr als 90 Prozent unserer Bergleute haben Hypotheken auf ihren Häuser und manche stehen jetzt vor der Zwangsräumung.“
Asan ergänzt: „Wir waren alle empört über die Kündigung und versammelten uns, um die nächsten Schritte zu beraten. Wir diskutierten das Für und Wider, bis wir uns einig waren, uns nicht kampflos zu ergeben. Wir organisierten tägliche Versammlungen und Demonstrationen, fuhren in die Hauptstadt zur Regierung und vor das Umweltamt. Doch das interessierte weder die korrupte Regierung noch das Unternehmen Georgian Manganese.“²
„Wir müssen zu härteren Maßnahmen greifen“
Am 29. März wird unsere Delegation auf dem Rathausplatz von Chiatura von den Bergleuten und ihrer Kampfleitung herzlich begrüßt. Anschließend können wir gleich an einer großen Versammlung teilnehmen, auf der es um das weitere Vorgehen geht. Eldar, einer der führenden Bergleute, kommt gleich zur Sache: „Wenn man angefangen hat zu kämpfen, kommt Aufgeben nicht in Frage. Also müssen wir zu härteren Maßnahmen greifen.“
Wir werden vorgestellt und können zu allen sprechen. Andreas Tadysiak macht deutlich, welche Bedeutung der Kampf in Chiatura für die Arbeiterbewegung in Georgien, aber auch für die internationale Bergarbeiterbewegung hat. Er verpflichtet sich: „Wir sind hier, um euren Kampf mit Rat und Tat zu unterstützen.“ Der Vertreter der MLPD sagt, dass dieser selbstorganisierte und selbstfinanzierte Kampf zeigt, dass die Arbeiterklasse ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen kann.
Alle Argumente werden auf gleicher Augenhöhe diskutiert. „Wir sollten uns lieber an legale Mittel halten und nichts riskieren“, meint einer. „Du hast doch selber gesehen, was unsere bisherigen Aktionen gebracht haben. Die haben die da oben nicht beein-druckt, deshalb brauchen wir jetzt härtere Kampfformen“, entgegnet Eldar.
Die Bergleute beschließen einstimmig, Straßensperren zu errichten, um Lkws zu blockieren. Die offensive Taktik geht voll auf.
„Unsere Gewerkschaftsführung ist korrupt – was tun?“
In der georgischen Arbeiterbewegung gibt es eine Auseinandersetzung über die Gründung „unabhängiger“ Gewerkschaften. Die Führung der bestehenden Gewerkschaft ist korrupt und fällt kämpfenden Arbeitern in den Rücken. Sie hetzt gegen die überparteiliche IMC, aber auch gegen die MLPD als „ausländische KGB-Agenten“. Doch die kämpfenden Bergleute lassen sich durch diese antikommunistische Hetze nicht verunsichern. Sie wissen: Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Georgiens³ und der MLPD hat ihrem Kampf genutzt und ihn weitergebracht. Der Vertreter der MLPD knüpft daran in verschiedenen Diskussionen an: „Euer Kampf braucht auch eine klare Perspektive. Dazu gilt es, schöpferische Schlussfolgerungen aus dem Verrat am Sozialismus zu ziehen.“
Über die Gewerkschaftsfrage tauschen wir uns mit den führenden Bergleuten kritisch und selbstkritisch aus. Der MLPD-Vertreter berichtet von den schädlichen Auswirkungen des Fehlers der Kommunistischen Partei Deutschlands mit der Politik der „revolutionären Gewerkschaftsopposition“ (RGO) in den 1930er-Jahren. Sie hat damals mit zur tiefen Spaltung der Arbeiterbewegung beigetragen. Wir werden uns einig, dass man die zu 100 Prozent organisierten Bergleute nicht der korrupten rechten Gewerkschaftsführung überlassen darf. Danach diskutieren die Bergleute weiter und fordern nun eine vorgezogene Neuwahl der Führung des regionalen Gewerkschaftsdachverbandes. Dafür wollen sie kandidieren.
Umweltschädlicher Tagebau erfolgreich gestoppt
Georgian Manganese beabsichtigt, den Manganabbau im umweltzerstörenden Tagebau weiterzuführen. Der untertägige Abbau sei „unprofitabel“. Wir nehmen an der Protestaktion im Tagebau mit über 70 kämpfenden Untertage-Bergleuten teil. Sie richtet sich gegen die vom Konzern betriebene Spaltung zwischen ihnen und den Tagebau-Beschäftigten. Man sieht auf den ersten Blick, dass diese Methode für die Arbeiter und die Bevölkerung eine große Gefahr ist. Teile der Abbauwand sind schon abgebrochen und Häuser in der Nähe können jederzeit in den Tagebau stürzen. Auch deshalb fordern die kämpfenden Bergleute eine sofortige Einstellung des Übertageabbaus. Die Veröffentlichung dieser Aktion über Facebook und den Youtube-Kanal der IMC schlägt ein: Das Umweltministerium in Georgien sieht sich kurz darauf gezwungen, den Abbau sofort zu stoppen!
„Wir diskutieren und beschließen alles gemeinsam“
Wir fragen: „Woher nehmen die Bergleute und ihre Familien die Kraft für diese harte Auseinandersetzung?“ Luka, ein führender Bergmann, berichtet: „Wir haben eine mutige, erfahrene und anerkannte Kampfleitung, die nicht schwankt und uns eine Orientierung gibt. Ein Trumpf ist die zentrale Anlaufstelle am Rathausplatz und der Rückhalt in der Bevölkerung. Am Rathaus finden jeden Tag Versammlungen statt mit Informationen über den Stand unseres Kampfes und die Reaktion unserer Gegner. Wir diskutieren und beschließen gemeinsam, welche Aktionen wir machen und wie weiter vorgegangen wird. Hier kochen wir selbst für die Streikenden, ihre Familien und Unterstützer und essen gemeinsam. Wir organisieren auch die Verteilung von Lebensmitteln und Medikamenten, denn vielen Familien geht das Geld aus. Bei Fragen und persönlichen Problemen suchen wir gemeinsam nach einer Lösung. All das schafft ein Vertrauensverhältnis, schmiedet uns zusammen und gibt uns die Kraft, Mut und Entschlossenheit.“
„Wir gründen jetzt unseren eigenen Frauenverband“
Nana, Frau eines Bergmanns, erzählt: „Traditionell haben wir Frauen wenig zu sagen. Nur wenige von uns haben ihre Männer auf die Versammlungen begleitet, gesprochen haben wir anfangs nur untereinander.“ Der Vertreter der MLPD überreicht bei einer Versammlung Geldspenden, die seine Frau unter anderen Frauen gesammelt hat. Ihnen imponiert die Kraft der Bergarbeiterfrauen. Die Kampfleitung gibt das Geld den Frauen zum eigenverantwortlichen Einsatz. Zugleich hängen sie die Fahne des Frauenverbands Courage im Zelt auf, die ihnen letztes Jahr geschenkt wurde.
Das regt die Diskussion unter den Frauen an, selbst einen Frauenverband zu gründen. Elisso berichtet später: „Das Argument, dass unsere organisierten Fähigkeiten jetzt im Kampf gebraucht werden, hat uns überzeugt, jetzt unseren Frauenverband zu gründen und nicht bis zum Ende des Kampf zu warten! Wir übernehmen jetzt selbständig die Verteilung der Medikamente und der Lebensmittel. Wir wollen auch selbst Spenden sammeln und mit den Trupps in die Dörfer gehen.“
„Wir werden euren Kampf weltweit bekannt machen“
Als wir unsere Heimreise antreten, sind wir erfüllt von der Selbstlosigkeit und der hohen Kampfmoral der Bergarbeiter, ihrer Familien und der Bevölkerung. Viele Freundschaften sind entstanden und wir haben viel voneinander gelernt.
Bewegt nehmen wir Abschied. Andreas Tadysiak findet die richtigen Worte: „Wir sind als Bergleute zu Bergleuten gekommen, um sie in ihrem bedeutenden Kampf zu unterstützen und unsere praktische Solidarität auszudrücken. Nun müssen wir als Freunde unsere Freunde verlassen. Wir haben viel von eurem Kampf gelernt und ich hoffe, dass wir mit unseren Kampferfahrungen zu eurem bisherigen Erfolg beitragen konnten. Wir werden weiterhin mit Rat und Tat an eurer Seite stehen und euren Kampf weltweit bekannt machen.“
- Solidaritätserklärungen bitte an: info@minersconference.org
- Spenden an Solidarität International e.V., IBAN: DE86 5019 0000 6100 8005 84, Stichwort Bergarbeitersolidarität Georgien