Rote Fahne 07/25

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Goethes Faust und die Dialektik

Johann Wolfgang Goethes Drama „Faust“ ist Weltliteratur. Jährlich wird es an zig Bühnen gespielt, Dutzende geflügelte Worte daraus zeigen seine Verwurzelung im gesellschaftlichen Bewusstsein.

Von einem Korrespondenten
Goethes Faust und die Dialektik
Goethe und sein Mephisto (kollage: RF, Mephisto: The Walters Art Museum / gemeinfrei)

An „Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil“ hat Goethe über Jahrzehnte gearbeitet. Begonnen hat er die Arbeit als 24-Jähriger, als er sie beendete, war er 82. Er griff dazu auf den Stoff des sogenannten Volksbuchs „Historia von D. Johann Fausten“ aus dem Jahr 1587 zurück. Doch auch weitere bedeutende Autoren wie Christopher Marlowe, ein Zeitgenosse Shakespeares, oder der deutsche Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing hatten den Stoff bereits bearbeitet und interpretiert, was Goethe aufgriff. Auch seit Goethe gibt es mannigfache Bearbeitungen, nicht zuletzt von Thomas Mann.¹

Schöpferische Kraft der Dialektik

Goethes Faust ragt deswegen heraus, weil Goethe den Stoff dialektisch bearbeitete. Das wird zum einen inhaltlich deutlich: In der „Historia von D. Johann Fausten“ ist Faust ein unchristlicher Teufelsbeschwörer und Schwarzkünstler. Er schließt einen Bund mit dem Teufel, um sein Ziel, „alle Grund am Himmel [zu] erforschen“.² Das soll ihm schlecht bekommen: Am Ende seines Lebens wird er vom Teufel geholt und der Text schließt mit den Worten: „Seid nüchtern und wachet, denn euer Widersacher der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge; dem widerstehet fest im Glauben.“³ Das entspricht der herrschenden christlichen Weltanschauung im 16. Jahrhundert: Der Mensch soll nicht forschen, nichts in Frage stellen, sondern fest an die Unveränderlichkeit der gottgesetzten Ordnung glauben.

 

Auch in Goethes Faust will dieser erforschen, „was die Welt/Im Innersten zusammenhält“. ⁴ Er ist ein belesener Mann, Magister und sogar Doktor. Aber mit Hilfe des Gelernten kann er nicht erkennen, was er sucht. Goethe definiert anders als zweihundert Jahre zuvor Fausts Streben positiv und lässt Gott selbst sagen: „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“⁵ So schließt Faust mit Mephistopheles zwar eine Wette – doch obwohl er sie verliert, gewinnt er: Gott selbst lässt ihn frei.

 

Entscheidende Unterstützung erhält Faust durch den schöpferischen Part Mephistos. Dessen Wesen ist der Widerspruch: „Ich bin ein Teil von jener Kraft,/Die stets das Böse will/Und stets das Gute schafft/… Ich bin der Geist, der stets verneint!/Und das mit Recht;/Denn alles, was entsteht,/Ist wert, dass es zugrunde geht.“⁶

 

Das ist die schöpferische Kraft der Dialektik, die Goethe hier Mephisto in den Mund legt! Nicht zufällig ist gerade diese in der Literaturwissenschaft umstritten. Es ist einseitig metaphysisch, wenn der versierte Goetheforscher Buchwald in der Negation Mephistos nur „Zerstörung“ sieht⁷, ohne deren schöpferischen Beitrag zu etwas Neuem, der Negation der Negation.

 

Faust drängt es aus seinem Studierzimmer hinaus, mit Mephisto erlebt er Abenteuer, begeht Unrecht, zieht Lehren, lernt Neues in Gegenwart und Vergangenheit. Kurz vor seinem Tod resümiert er: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,/Der täglich sie erobern muss.“⁸ Zuletzt entwickelt Faust sogar eine Utopie der Zukunft: „Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn,/Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.“⁹

Ringen um treffende Begriffe

Diese Dialektik überträgt Goethes Faust auch auf das Gebiet der Sprache. Zu Beginn des Dramas versucht sich Faust zur eigenen Beruhigung an der Übersetzung der Bibel. Zur Zeile „Am Anfang war das Wort“ sucht er die geeignete Übersetzung des griechischen Begriffs „logos“. Zunächst findet er die Bedeutung „Wort“, doch schränkt direkt ein: „Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen“.¹⁰ Auch mit „Sinn“ ist er nicht zufrieden: „Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?“¹¹ Denn beide Übersetzungen schreiben das Schaffen der Idee , der Widerspiegelung der Realität zu. Doch die dann von Faust gefundene Bedeutung „Kraft“ wiederum ist ebenfalls einseitig: „Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe“.¹² Seine dialektische Lösung: „Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat/Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!“

 

Dialektisch vereint der Begriff der Tat Theorie und Praxis, Idee und Wirklichkeit und entwickelt sie zum planvollen Handeln höher. In dieser Bestimmung spiegelt sich die schöpferische Kraft des Menschen.

Vorwärtstreibende Negation des Althergebrachten

Natürlich behandelt dieser Artikel nur einen Teil des Gehalts von Goethes Drama. Doch deutlich wird, wie im neuen Buch von Stefan Engel und Monika Gärtner-Engel „Die Krise der bürgerlichen Geisteswissenschaften, der Religion und der Kultur“ herausgearbeitet, dass das Schaffen Goethes nicht zufällig in eine Zeit der revolutionären Überwindung des Feudalismus und der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung fiel. Sein Umgang mit Sprache ließ ihn neue Zusammenhänge aufdecken und an die Oberfläche bringen; in seiner Bearbeitung des Stoffs wird Althergebrachtes aufgenommen und weiterentwickelt und erhält einen neuen, vorwärtstreibenden Inhalt.