Rote Fahne 02/25
Das VW-Verhandlungsergebnis dialektisch beurteilen
Über das Verhandlungsergebnis zwischen VW-Vorstand und IG-Metall-Führung am 20. Dezember 2024 gibt es eine wichtige kritisch-selbstkritische Auseinandersetzung. Ein Korrespondent berichtet seine Erfahrungen bei VW Kassel:
„Mit den ersten Arbeitstagen des Jahres gibt es auch die ersten Gelegenheiten zur Diskussion des Tarifergebnisses. Nach meiner Einschätzung nimmt die Kritik am Ergebnis zu und die Kritiker sind inzwischen leicht in der Mehrheit. Es gibt vor allem die Gefahr, das jetzt skeptisch zu verarbeiten, statt gründlich die positiven Erfahrungen, aber auch Schwächen gemeinsam auszuwerten. Und Schlussfolgerungen zu ziehen.“
Das Rote Fahne Magazin und Rote Fahne News haben die Aufgabe, den Kolleginnen und Kollegen bei der Einschätzung eines solchen Verhandlungsergebnisses eine klare Orientierung zu geben. Auf Rote Fahne News wurde es noch am 20. Dezember umgehend dialektisch eingeschätzt: „Ein Schlag ins Gesicht der VW-Belegschaften. Aber: VW-Vorstand gegenüber Maximalzielen in die Defensive geraten.“
Am 27. Dezember erschien jedoch ein Artikel unter der Überschrift „Tarifrundenergebnis: Wenn deine Feinde dich loben“. Er vertrat mit seiner Kernaussage: VW habe mit dem Tarifabschluss einen vollen Durchmarsch erzielt, der von bürgerlichen Politikern gelobt wird und deshalb nach August Bebel die Frage aufwirft, was die Arbeiter falsch gemacht haben.
Die Redaktion erhielt dazu verschiedene kritische Leserbriefe, unter anderem von Monika Gärtner-Engel. Sie schreibt (Auszüge):
„Wichtige Schritte im Übergang zur Arbeiteroffensive gemacht“
Liebe Genossinnen und Genossen! … Ich meine: Euer Maßstab zur Beurteilung ist in sich nicht nur konkret, sondern auch grundsätzlich einseitig und falsch. Tatsächlich ist der Abschluss ein fauler Kompromiss, bei dem sich die Kapitalisten hauptsächlich durchgesetzt haben.
Was ihr aber völlig leugnet, ist die Defensive der VW-Spitze aufgrund der großen Kampfbereitschaft der Arbeiter und der Solidarität in der Bevölkerung. Sie konnten die geplante Vernichtung von Zehntausenden Arbeitsplätzen durch Massenentlassungen nicht durchsetzen, sondern mussten den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 31. Dezember 2030 zusichern. Sie konnten keine Werksschließung durchsetzen, wie es bis kurz vor Schluss u.a. mit Emden geplant war. Das sind nicht irgendwelche Fake News, sondern tatsächliche Zugeständnisse. …
Karl Marx rückt den treffenden Maßstab zur Beurteilung von Kampfergebnissen ins Bewusstsein: „Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter. …“ (Manifest der Kommunistischen Partei).
Hat sich in diesem Kampf der VW-Arbeiter die Konkurrenz unter den Arbeitern verstärkt? Nein! Es wurde konzernweit gekämpft. Keine Standortspaltung hat funktioniert. Mehr noch: Viele Arbeiter bei VW waren ausdrücklich solidarisch mit den Stahlarbeitern, den Kollegen bei Ford, ZF oder Bosch. Das gewerkschaftliche Bewusstsein ist in der Belegschaft auf breiter Front erwacht. Das Selbstbewusstsein der Arbeiter, die proletarische Denkweise wurde gestärkt gegenüber der langjährigen Gewöhnung an die kleinbürgerlich-reformistische Denkweise der Klassenzusammenarbeitspolitik. Eine Häufung kleinerer selbständiger Streiks drückt gewachsenes Selbstvertrauen und Klarheit aus, dass die Arbeiter selbst das Heft in die Hand nehmen müssen. Die Betriebsgruppen der MLPD und die Zeitung Vorwärtsgang haben sich nicht nur bewährt, sondern an Einfluss, Vertrauen und Wirksamkeit gewonnen und sich gestärkt, was nur mit einem verstärkten Fertigwerden mit der kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise zu erklären ist.
Kurzum: Wichtige Schritte im Übergang zur Arbeiteroffensive wurden gemacht.
Natürlich ist das noch nicht die Arbeiteroffensive. … Sie ist unter den heutigen Bedingungen eine sehr hohe Anforderung an das Klassenbewusstsein … Es ist die Aufgabe der Marxisten-Leninisten, den Arbeitern reinen Wein einzuschenken, dass ihnen mit den bevorstehenden größten Klassenauseinandersetzungen der Nachkriegsgeschichte harte Kämpfe und große Herausforderungen an die proletarische Denkweise bevorstehen; nicht aber ist es Aufgabe der Marxisten-Leninisten, den Arbeitern die Allmacht der Bosse zu suggerieren, ihnen die Erfolglosigkeit ihres Kampfes zu bescheinigen und zu versuchen, Druck für eine künstlich forcierte Entwicklung des Klassenbewusstseins auszuüben.
Wer sagt denn, dass der Kampf zu Ende ist? …“
Der Brief endet mit einem Zitat von Gabi Fechtner: „Gerade, weil die Veränderungen so groß sind, muss man den Arbeiterinnen und Arbeitern Zeit geben, sie zu verarbeiten und die neuen Herausforderungen zu begreifen. … Und nur in Verbindung mit praktischen Kampferfahrungen entwickelt sich das Klassenbewusstsein. Es ist äußerst bedeutsam, dass dieser Prozess begonnen hat.“¹