Rote Fahne 26/2024

Rote Fahne 26/2024

„Der Krieg hat meinen Blick auf das Leben verändert ...“

Am Rande des Frauenpolitischen Ratschlags in Kassel im November konnte die Rote Fahne mit einer palästinensischen Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin über die Situation der Menschen und besonders der Frauen in Gaza sprechen

„Der Krieg hat meinen Blick auf das Leben verändert ...“
„Dieser Krieg trifft uns alle, aber die Frauen trifft er besonders hart. Die Frauen leiden unter der ständigen Vertreibung. Sie haben nicht einmal Hygieneprodukte für sich. Die meisten Männer sind ermordet oder in Haft. Die Frau muss jetzt für alles sorgen ...“ (Foto: CC BY-ND 2.0/World Humanitarian Summit)

Rote Fahne: Bitte berichten Sie uns über Ihre Arbeit!

Als Rechtsanwältin kommen Menschen zu mir – auch persönlich – dann vertrete ich sie. Außerdem arbeite ich als Beraterin einer medizinischen Organisation und bearbeite im Moment Zulassungen für medizinische Projekte im Westjordanland.

 

Wenn diese genehmigt sind, werden wir sie auch sofort in die Tat umsetzen. Es gilt, humanitäre Projekte zu verwirklichen und den betroffenen Menschen Hilfe zu leisten.

 

Wie ist die aktuelle Situation der Menschen in Gaza?

Zuerst muss man wissen, dass ich im Westjordanland lebe.

 

Dieser Krieg hat vieles verändert. Viele Menschen haben sich verändert. So auch ich. Ich wollte eigentlich weiter studieren und einen Doktortitel in internatio­nalem Recht machen. Mit diesem Krieg sind alle humanen Prinzipien und internationalen Rechte zerstört worden. Dieser Krieg hat die Verlogenheit des sogenannten Rechts entlarvt. In Gaza gibt es eigentlich keine Rechte mehr. Egal ob für Menschen oder andere Lebewesen: „Recht“ hat in Gaza keinen Wert mehr. Aus meiner Sicht ist dieser Krieg das schlimmste historische Ereignis. Er hat meinen Blick auf das Leben verändert.

 

Was können Sie uns zur Situation der Frauen dort berichten?

Dieser Krieg trifft uns alle, aber die Frauen trifft er besonders hart. Die Frauen leiden unter der ständigen Vertreibung. Sie haben nicht einmal Hygieneprodukte für sich. Die meisten Männer sind ermordet oder in Haft. Die Frau muss jetzt für alles sorgen: Sie muss für ihre Kinder stark bleiben. Sie muss Nahrung auftreiben. Sie muss sehen, dass sie und die Kinder irgendwo unterkommen. Sie muss Sicherheit geben. Das geht weit über das hinaus, was Menschen normalerweise leisten können.

 

Trotzdem haben die Frauen dort vieles geleistet. Ärztinnen und Sanitäterinnen haben ihre eigene Sicherheit aufs Spiel gesetzt, weil sie Verwundete versorgt oder auch geborgen haben. Es gibt viele Frauen, die zusätzlich zu ihren eigenen Kindern auch Waisenkinder aufgenommen haben und ihnen Schutz geben. Viele Frauen haben ihre Kinder mit ihrem eigenen Körper in Gefahrensituationen geschützt.

 

Sie waren jetzt einige Tage hier in Deutschland. Was können Sie uns darüber berichten?

Zuerst ist mir wichtig zu betonen, dass ich hier nicht mich als meine Person repräsentiere, sondern eine palästinensische Frau aus dem Westjordanland bin, die ihr Volk repräsentiert. Es ist mir sehr wichtig, dass ich hier in Deutschland frei und offen über die reale Situation in Palästina berichten darf. Das ist auch wichtig für die palästinensische Community, da diese ja über die Medien sieht, wie hier die Polizei gegen die Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina vorgeht.

 

Ich wurde zu der Konferenz eingeladen, auf der Frauen, die aus Ländern kommen, wo sie unterdrückt werden, frei über diese Erfahrungen berichten durften. Das hat mir das Gefühl gegeben, dass ich auch das Recht habe, über die Frauen von Gaza zu berichten. Aber es ist nicht nur das Recht: Ich sehe es als Pflicht und Verantwortung! Jeder hat in diesem Krieg die Verantwortung, auf die Art und Weise zu kämpfen, wie er oder sie es kann. Ich kann jetzt für die Leute sprechen, die selber nicht sprechen können. Diese Menschen, die nicht einmal von dem Ort fliehen können, an dem man sie jederzeit ermorden kann. Für diese Leute muss und werde ich sprechen!

 

Welche Projekte stellen Sie sich für die Zukunft vor?

Eine Idee wäre, dass junge Menschen aus Deutschland zu uns kommen und bei uns untergebracht werden, damit sie die Realität vor Ort mit eigenen Augen sehen können.

 

Es müssen auch weiter Solidaritätskampagnen gestartet werden, die den Druck – sowohl auf Israel als auch in Deutschland – aufbauen können.

 

Ich möchte mich auch sehr bei der MLPD und beim Frauenverband Courage dafür bedanken, dass sie mich eingeladen haben, und auch bei jeder Person, die eine Idee für eine Veranstaltung hat, auf der wir über die Situation in Gaza und in Palästina berichten können.

 

Wir bedanken uns sehr für das Interview – alles Gute für Ihren weiteren Kampf!