Rote Fahne 23/2024
Umstrittene Vorbilder: Spartakus-Sklavenaufstand und Opel-Streik
Im Jahr 73 vor unserer Zeitrechnung, vor 2096 Jahren, fand der Spartacus-Aufstand statt. 70 Sklaven befreiten sich aus der Gladiatorenschule in Capua
Spartacus – selbst ein zu oft tödlichen Schaukämpfen gezwungener Gladiator – erkannte die Schwäche der unbeweglichen Kampftaktik des römischen Imperiums, und so überwältigten die gut ausgebildeten Gladiatoren mit taktischen Kunststücken mehrere römische Armeen. Im Lauf dieser Kämpfe schlossen sich 60 000 Sklaven an. Unter Aufgebot aller Kräfte gelang es Rom schließlich, die aufständischen Sklaven niederzuschlagen. 6000 von ihnen wurden an der Straße nach Rom gekreuzigt.
Folgenloser Aufstand?
Wie über jedes Ereignis von historischer Tragweite findet seither ein Streit um die Deutungshoheit über den Spartacus-Aufstand statt. Der historische römische Autor Florus nannte Spartacus schlicht einen Deserteur. Sein Zeitgenosse Appian meinte zu wissen, es habe sich nur um eine jämmerliche Anhäufung von Banden gehandelt.
Der Leiter der Gladiatorenschule, der die Sklaven Jahrzehnte gequält hatte, brachte den traurigen Mut auf, Spartacus die Schuld am Tod der Sklaven zu geben. Ratsamer wäre es seiner Meinung nach gewesen, die Klasse der Sklaven hätte sich noch Jahrhunderte friedlich ihrem Schicksal ergeben, Eigentum brutaler Sklavenhalter zu sein.
Sowjetische Historiker dagegen arbeiteten heraus, dass dieser Aufstand einer der ersten Klassenkämpfe war. Nein, entgegnet Matthias Pfeiffer, das sei ein „besonderes exquisites Beispiel … proletarischer Verklärung“, die „ideologisch eingefärbt“ eine „Konstruktion eines identitätsstiftenden Erinnerungsortes“ sei. Ideologisch tiefschwarz gefärbt weiß der bürgerliche Altphilologe Werner Raith, dass die Spartacus-Revolte wie alle früheren Aufstände letztlich folgenlos geblieben sei, schließlich, so das Magazin Spiegel, habe das „Sklavensystem überlebt“. Er vergisst dabei, dass der Sklavenaufstand von Capua der Anfang vom Ende des römischen Imperiums war und – dass das Römische Reich ganz offenkundig nicht mehr existiert. Er vergisst, dass die spätrömische Dekadenz auch hervorgerufen wurde durch die dazu konträre Weltanschauung in Spartacus Armee: Ihre Kriegsbeute wurde gleichmäßig unter allen Sklaven verteilt. Es war verboten, die Landbevölkerung zu plündern. Spartacus weigerte sich, sich mit Insignien zu schmücken. Der Altphilologe Raith stellt fest: Spartacus „kam gar nicht auf die Idee, in die Denkformen der Herren zu verfallen“, was den Historikern wiederum so fremd ist, dass einer Spartacus einen „Mystery man“ nennt.
Ein Hauch von Spartacus
2096 Jahre später treten in Hamburg Hafenarbeiter in den Streik. Ein Hauch von Spartacus liegt in der Luft, als Polizisten auf der Suche nach Rädelsführern am Streikposten aus zahlreichen Hafenarbeitermündern die Antwort erhalten: Wir alle haben das hier organisiert!
Ein Kampf steht auf den Schultern des anderen. Und so steht dieser Streik auch auf den Schultern des selbständigen Streiks der Opel-Arbeiter 2004. Ein Hafenarbeiter zum anderen: „Hast du gehört, von Opel Bochum sind die auch hier!“ Der entgegnet: „Die gibt’s doch nicht mehr!“ Schulterzucken: „Die sind aber hier!“ Wer einen solchen Kampf angeführt hat, der kann nicht nur erhobenen Hauptes gehen, der muss erhobenen Hauptes gehen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Besonderheit wie der Opel-Streik ebenso wenig gradlinig zum Allgemeingut der Arbeiterklasse wird wie die Vereinigung der Arbeiter insgesamt, sondern sich auf zickzackförmigem Weg gegen die Widersacher der Klassenselbständigkeit des Proletariats seinen Weg bahnt.
In alle Winde zerstreut zu sein, ist für eine stolze Belegschaft wie die Opelaner nicht leicht. Doch das innere Band der Vereinheitlichung der Denkweise im Oktober 2004 kann niemand rückgängig und niemand vergessen machen. Heute, morgen oder übermorgen werden sich die Arbeiter erheben – und dann werden die Opelaner in Person, aber vor allem ihr Signal, ihre Idee, ihr Fanal ein entscheidender Faktor sein. Denn anders als Spartacus haben die Arbeiter eine Partei, die auch nach einem Kampf Fackeln weiterzutragen weiß. Und anders als die Sklaven wird die Arbeiterklasse eine sozialistische Gesellschaft erkämpfen, in der Merkmale des Streiks wie die unverbrüchliche Solidarität oder Selbstlosigkeit für die Zukunftsinteressen zu Merkmalen einer neuen gesellschaftlichen Ordnung werden.
Die Wahl von Karl Marx
Als Karl Marx von seinen Töchtern befragt wurde, wer sein größter Held ist, da gab er an: Spartacus! Denn, so Marx: „Spartacus erscheint als der famoseste Kerl, den die ganze antike Geschichte aufzuweisen hat. Großer General, nobler Charakter, real representive1 des antiken Proletariats.“²