Rote Fahne 18/2024
Mittelstreckenraketen in Deutschland – die Lunte des Weltkriegs brennt
Die Bundesregierung hat beschlossen, erneut US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Damit rückt Deutschland ins Fadenkreuz …
... eines atomaren Erst- oder Zweitschlags aus Russland. Gegen eine ähnliche Aufrüstung lehnte sich in den 1980er-Jahren eine Millionen zählende Friedensbewegung auf. Auch heute treibt das viele Menschen zutiefst um. In Westdeutschland lehnen 49 Prozent diese Pläne ab, in Ostdeutschland sogar 74 Prozent. Nur 45 beziehungsweise 23 Prozent befürworten sie. Zugleich wird die Gefahr für die Auslösung eines Weltkriegs noch unterschätzt. Unter anderem wegen der Behauptung, dass Putin damit von einem Atomangriff abgeschreckt werden soll.
Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte die neuen Waffensysteme damit, dass Deutschland „einen eigenen Schutz … mit Abschreckung“ brauche: „Wir wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat, mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen.“1 Gemeint sind damit vor allem die in der russischen Exklave Kaliningrad seit 2016 stationierten Iskander-Raketen. Sie haben eine Reichweite von maximal 500 Kilometern. Damit können sie allenfalls den äußersten Osten Deutschlands erreichen, noch nicht mal Berlin. Die USA behaupten, sie hätten eine Reichweite von 2500 Kilometern. Eine von Russland angebotene Überprüfung lehnten sie aber ab. Ebenso den Vorschlag für ein Moratorium2 zur Stationierung von Mittelstreckenraketen. Stattdessen kündigte der damalige US-Präsident Donald Trump 2019 den INF3-Vertrag. Dieser verbot die Herstellung und Stationierung landgestützter Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Beides hatte gute Gründe. So ließ US-Colonel Michelle Baldanza im März 2019 durchblicken, die USA hätten mit „Fabrikationsaktivitäten begonnen“, die „nicht mit den US-Verpflichtungen unter dem [INF-]Vertrag zu vereinbaren gewesen wären“. Ein Schaubild der US-Armee vom März 2021 zeigt bereits, dass die in Wiesbaden stationierte „Multi-Domain Task Force“4 mit Mittelstreckenraketen ausgerüstet werden soll.5
Die Pläne wurden also lange vor dem Beginn des Ukrainekriegs beschlossen. Sie haben mit Abschreckung oder Nachrüstung so wenig zu tun wie Bundeskanzler Scholz mit der Liebe zur Wahrheit. Die Gefährlichkeit dieser Aufrüstung ist heute noch größer als in den 1980er-Jahren. Vor allem angesichts des „heißen“ Kriegs in der Ukraine. Der Überfall der ukrainischen Armee auf die russische Region Kursk zeigt: Ihr angeblicher „Verteidigungskrieg“ zielt genauso auf Eroberung fremden Territoriums wie der russische Angriff auf die Ukraine. Die Nukleardoktrin Russlands ermöglicht den Einsatz von Atomwaffen, wenn eigenes Gebiet angegriffen wird. Warum sollten US-Mittelstreckenraketen das verhindern?
Stationiert werden sollen unter anderem Tomahawk-Marschflugkörper und neue Hyperschallraketen vom Typ „Dark Eagle“. Beide sind für hochpräzise Angriffe konstruiert. Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München sagt, dass sie für den Angriff auf „Hauptquartiere, logistische Knotenpunkte, Munitionsdepots und vor allem die bodengebundene Flugabwehr der Russen“ gedacht sind.6 Das macht nur Sinn, wenn man sie bei einem Erstschlag einsetzt. Dabei ist es zweitrangig, ob sie mit atomaren Sprengköpfen bestückt sind oder nicht – was beides möglich ist. Ob Russland einem möglichen Angriff seinerseits mit einem Erstschlag zuvorkommt oder darauf mit einem Zweitschlag antwortet, hätte für die Bevölkerung in Deutschland und Europa so oder so verheerende Folgen. Die neue Raketenrüstung bedeutet das genaue Gegenteil ihres von Kanzler Scholz behaupteten „Schutzes“.
Friedenskraft AfD?
Es ist völlig richtig, dass sich die Menschen in Ostdeutschland große Sorgen um den Weltfrieden machen und den Ukrainekrieg sowie die Stationierung der US-Raketen mehrheitlich ablehnen. Zu Recht sind hier die NATO und der Hauptkriegstreiber USA besonders verhasst. Allerdings folgt man der falschen Fährte, wenn man deshalb die faschistische AfD wählt. Wenn diese in ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl in Thüringen schreibt, „im Sinne unserer eigenen Interessen setzen wir uns für Frieden in Europa ein“, dann will sie damit vor allem die friedliebenden Menschen täuschen.
Von den „eigenen Interessen“ der Masse der Bevölkerung auszugehen, wäre nicht mal falsch. Doch darum geht es der AfD nicht. Sie versteht darunter die Interessen des deutschen Monopolkapitals. Das ist auch der ganze Sinn ihrer Losung „Deutschland zuerst“. Nationalismus ist stets die Begleitmusik zu imperialistischen Kriegen.
Die AfD ist nur deshalb gegen den Ukrainekrieg und US-Atomwaffen, weil sie sich für den weiteren Aufstieg der deutschen Monopole mit Russland statt mit den USA verbünden will. In ihrem Grundsatzprogramm von 2022 fordert die AfD eine „umfassend befähigte Bundeswehr“. Die soll auch in Auslandseinsätze geschickt werden, wenn diese „unter einem UN-Mandat“ und für „deutsche Sicherheitsinteressen“ erfolgen. Was ist das anderes als ein Ja zur massiven Aufrüstung und zur Verletzung der Souveränität anderer Länder? Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen, schwärmt auch für Atomwaffen, wenn sie in der Hand der Bundeswehr sind. „Unabhängigkeit“ setze „eigene Fähigkeiten voraus“, deshalb müsse man „ernsthaft über die atomare Bewaffnung Deutschlands nachdenken“.7 Was er „Unabhängigkeit“ nennt, ist das Streben nach Vorherrschaft.
Der Bundesvorsitzende der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ und Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck wird da noch deutlicher: „Wenn Deutschland innerhalb dieser Weltordnung im Verbund mit anderen europäischen Ländern mehr sein möchte als bloß Verhandlungsmasse fremder Hegemonialmächte, muss es aufrüsten.“8 Während die Ampelregierung nur Russland des Imperialismus bezichtigt, sieht die AfD nur in den USA eine imperialistische Hegemonialmacht9, die Deutschland angeblich kleinhalten will. Doch Deutschland ist heute genauso eine imperialistische Macht wie das neuimperialistische Russland und die Supermacht USA. In Europa tritt es immer aggressiver als Führungsmacht auf.
Konsequente Friedenspartei MLPD
Dass es heute noch keine massenhaften Proteste gegen die akute Weltkriegsgefahr gibt, liegt auch an der Lähmung der alten Friedensbewegung. Ihre Kräfte haben sich weitgehend der einen oder anderen imperialistischen Seite untergeordnet.
Das Netzwerk Friedenskooperative ruft zu Aktionen am Antikriegstag auf und verweist dazu auf den DGB-Aufruf. Dieser kritisiert völlig zu Recht die zunehmende Aufrüstung und die „Eskalation militärischer Gewalt“. Die Lösung sieht er in einer „Koalition der Staaten, die es zur Prämisse ihrer Außen- und Sicherheitspolitik machen, Konfliktsituationen frühzeitiger zu erkennen und an der Wurzel zu bearbeiten“. Doch woher soll eine solche Koalition kommen? Fast alle imperialistischen Staaten bereiten einen neuen Weltkrieg aktiv vor. Wer die Konflikte um Einflussgebiete, Märkte und Rohstoffe „an der Wurzel“ packen will, muss sich für die Diskussion um die revolutionäre Überwindung des Imperialismus öffnen. Die DGB-Führung dichtet diesem System stattdessen wundersame Fähigkeiten zur „Konfliktlösung“ an. Und das, obwohl es gerade erneut beweist, dass er genau dazu nicht in der Lage ist.
Die MLPD ist die einzig konsequente Friedenspartei. Sie unterstützt kritisch den Aufruf zur Demonstration am 3. Oktober in Berlin (siehe Seite 27). Sie tritt für ein breites Bündnis gegen Faschismus, Krieg und zur Rettung der Umwelt ein. Sie verankert dabei aber auch den echten Sozialismus als grundlegende Alternative. In ihm werden imperialistische Kriege der Vergangenheit angehören. Das wird die MLPD am Antikriegstag bundesweit zum Thema machen. Wer diese Richtung stärken will, sollte in Thüringen am 1. September Internationalistische Liste/MLPD wählen und sich am besten dauerhaft organisieren!