Rote Fahne 15/2024

Rote Fahne 15/2024

„Mehr Kapitalismus wagen“?

Zu den Hintergründen des wirtschaftlichen Rückfalls der EU:

Von rj
„Mehr Kapitalismus wagen“?
Mehr Kapitalismus wagen … Bild: Nach einer Rote Fahne-Karikatur von 1973

Als Ursache für den wirtschaftlichen Rückfall Europas gegenüber den USA analysierte das Magazin DER SPIEGEL kürzlich messerscharf: „Es sind die Kräfte des Marktes. … Das Kapital fließt nach Amerika, … weil sich dort mehr verdienen lässt.“ Der Lösungsvorschlag des SPIEGEL-Autors: „Europa muss mehr Kapitalismus wagen“.¹

 

Sollte es dem Herrn Redakteur entgangen sein, dass in Europa längst ein hochentwickelter staatsmonopolistischer Kapitalismus die ganze Gesellschaft beherrscht? Tatsächlich ist es eine Gesetzmäßigkeit eben dieses­ Kapitalismus, dass das Kapital dorthin strebt, wo der maximale Profit – auf Kosten von Mensch und Natur – zu erwarten ist. Ebenso gesetzmäßig ist heute aber die chronische Überakkumulation des Kapitals: Es gibt immer weniger maximalprofitbringende Anlagemöglichkeiten. Das ist eine wesentliche Ursache für die inzwischen seit sechs Jahren anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise, in der sich die ungleichmäßige Entwicklung der imperialistischen Länder verschärft.

Schlusslicht Deutschland

So liegen die USA im Vergleich zum Vorkrisenstand der Industrieproduktion im ersten Quartal 2024 bei 99,4 Prozent, die EU bei 99,1 Prozent. Japan und Deutschland kommen gerade mal knapp über 86 Prozent. China lag 2023 dagegen bei 126,8 Prozent des Vorkrisenstands, Indien bei 111,7 und Russland bei 109,8 Prozent.²

 

Im ersten Quartal 2024 ging in den USA der Index der Industrieproduktion erneut um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zurück, in der EU aber sehr viel deutlicher um 3,8 Prozent, in Japan um 4,3 und in Deutschland sogar um 5,3 Prozent. Russland verzeichnete dagegen im ersten Quartal einen Anstieg um 5,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. In China stieg die Industrieproduktion von Januar bis Mai um 6,1 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. In Indien betrug in den Monaten Januar bis April der durchschnittliche Anstieg gegenüber dem Vorjahresmonat 5,1 Prozent.

 

Bereits 2022 war der Anteil Chinas an der Welt­industrieproduktion gegenüber 22,5 Prozent 2015 auf 26,9 Prozent angestiegen. Der Anteil Indiens stieg in der gleichen Zeit von 2,8 auf 3,2 Prozent. Der Weltanteil der EU an der Industrieproduktion sank dagegen von 2015 noch 17,9 auf nur noch 14,3 Prozent 2022, der Anteil Japans von 6,3 auf 5,6 Prozent, der Anteil der USA von 16,7 auf 15,3 Prozent.

 

Der Rückfall der EU im imperialistischen Konkurrenzkampf zeigt sich auch in weiteren Kennzahlen:    Unter den 500 größten Monopolen, die das interna­tionale Finanzkapital bilden, sank der Anteil der in der EU ansässigen Monopole von 24,6 Prozent 2015 auf nur noch 17 Prozent 2022. Dagegen wuchs der Anteil der in den USA ansässigen Monopole von 26,8 auf 27,4 Prozent und der Anteil Chinas von 20,6 auf 27,2 Prozent.³ Auch der EU-Anteil am Weltkapitalexport ging im gleichen Zeitraum von 39,2 auf nur noch 31,9 Prozent zurück.

 

Die Forderung nach „mehr Kapitalismus“ als Ausweg aus dem wirtschaftlichen Rückfall bläst ins gleiche Horn wie die Monopolverbände mit ihrer – im Einklang mit der faschistischen AfD! – gebetsmühlenartig wiederholten Forderung nach „Bürokratie­abbau“⁴, sprich: Abbau aller Beschränkungen durch Arbeits- und Umweltschutz, vollständige „Freiheit“ für den maximalprofitbringenden Einsatz des Kapitals.

„Fördermaßnahmen“ auf Kosten der Massen

Gleichzeitig ist heute aber eine maximalprofitbring­ende Produktion überhaupt nicht mehr möglich, ohne dass der jeweilige Staat immer offener entsprechend der Vorgaben der internationalen Übermonopole in die Wirtschaft eingreift und die Monopole mit umfangreichen staatlichen Maßnahmen subventioniert. Nicht ominöse „Kräfte des Marktes“ ziehen das Kapital in die USA, nach China oder Indien, sondern ganz maßgeblich die kräftigen Subventionen.

 

Folgerichtig fordern die deutschen Monopolverbände BDI und BDA anlässlich der Europawahl von der EU mehr staatliche Unterstützung: „Fördermaßnahmen für strategische wichtige Sektoren, Freihandelsabkommen pragmatischer verhandeln … Zugang zu Finanzmitteln für die Verteidigungsindustrie sicherstellen … EU-Investitionen in Verteidigung stärken“⁵ usw.

 

Die Kosten für diese „Fördermaßnahmen“ zur Unterstützung der europäischen Monopole sollen dann aus den Arbeitern und den Massen herausgepresst werden. In weiser Voraussicht, dass die Arbeiter und die Massen sich das nicht kampflos gefallen lassen werden, forcieren die Monopole die Rechtsentwicklung der Regierungen und den Aufbau einer faschistischen Massenbasis. Das zeigt ihre Angst vor der einzig logischen Schlussfolgerung: Schluss mit der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, vorwärts zur internationalen sozialistischen Weltrevolution!