Rote Fahne 14/2024

Rote Fahne 14/2024

Wohnen bald unbezahlbar?

Markus und Bella wohnen in Stuttgart. Als das erste Kind vor zehn Jahren unterwegs war, fingen sie an, eine größere und bezahlbare Wohnung zu suchen. Inzwischen gehen beide Kinder in die Schule. Die Familie wohnt immer noch in der gleichen Zweizimmerwohnung. Das frühere Wohnzimmer haben sie mit einer Rigipswand unterteilt, damit sie ein Kinderzimmer haben. 71 Prozent derjenigen, die aus Stuttgart wegziehen, machen das, weil sie keine bezahlbare Wohnung in angemessener Größe finden. Können Arbeiterfamilien bald nicht mehr in Großstadtzentren wohnen?

Von us
Wohnen bald unbezahlbar?
Bei den Mieterprotesten ist oft die ganze Familie auf der Straße – sie sind schließlich besonders betroffen (Berlin, 2019)

Wohnungsnot und Mieten steigen rasant – vor allem in Großstädten. In manchen Landkreisen stehen dagegen fast 20 Prozent der Häuser leer. Schlechter Nahverkehr, Schließung von Ämtern, Arztpraxen und Supermärkten treiben Menschen in die Städte. In Berlin stiegen die Mieten für Neu- und Erstbezug 2023 um 26,7 Prozent auf 18,31 Euro pro m2. Menschen mit geringem Einkommen müssen im Schnitt über 40 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben, 1,5 Millionen Haushalte sogar über 50 Prozent. Die Wohnungsfrage ist eine der größten Sorgen für Arbeiterfamilien, Alleinerziehende, Studierende, Auszubildende, Rentnerinnen und Rentner – kurz für die Mehrheit der Bevölkerung – geworden. 60 Prozent befürchten, dass Wohnen bald unbezahlbar wird.

 

Es war übrigens Friedrich Engels, der sich schon vor fast 180 Jahren grundsätzlich mit der Wohnungsfrage auseinandersetzte. Er polemisierte gegen den „Hausbesitzer in seiner Eigenschaft als Kapitalist“, der „nicht nur das Recht, sondern, vermöge der Konkurrenz, auch gewissermaßen die Pflicht hat, aus seinem Hauseigentum rücksichtslos die höchsten Mietpreise herauszuschlagen“. Deshalb ist im Kapitalismus „die Wohnungsnot kein Zufall“ und kann „nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird“.¹

Wachsende Proteste – Klärungsbedarf über die Ursachen

In vielen Großstädten haben sich breite Mieter­proteste entwickelt. „Bezahlbare Miete statt fetter Rendite!“ oder „Bauen statt klauen“ steht auf den Schildern. Am 1. Juni demonstrierten in Berlin 12 000 Menschen gegen „Mietenwahnsinn“. Das „Bündnis Mietenstopp“ organisierte letzten September ein Camp zum Erfahrungsaustausch mit 120 Teilnehmenden aus 36 Städten. In Essen-Leithe kämpfen Mieter der Wohnungsgesellschaft Allbau gegen den Abriss ihrer Wohnungen, für Sanierung. Umstritten ist dabei noch, was die tieferen Ursachen dieser Entwicklung sind. Oft wird das „Versagen der Politik“ beklagt, eine „sozialere“ Regierungspolitik gefordert. Das ist richtig – die Wurzel des Problems, die Friedrich Engels aufdeckte, klärt das aber noch nicht. Auch für die Lösung der Wohnungsfrage ist ein gesellschaftsverändernder Kampf notwendig!

 

Gemessen an ihren eigenen Versprechungen hat die Regierung jämmerlich versagt. Im Koalitionsvertrag versprach sie 2021 einen „Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik“: „Wir wollen jährlich 400 000 neue Wohnungen bauen, darunter 100 000 öffentlich gefördert.“² Tatsächlich wurden 2023 nur 294 000 Wohnungen gebaut, davon klägliche 30 000 Sozialwohnungen. Es gibt nur noch 1,07 Millionen Sozialwohnungen – 1990 waren es drei Millionen.

 

Vonovia: „Wir nehmen Menschen ihr Zuhause“

Deutschlands größter Wohnungskonzern Vonovia sei „in ganz besonderem Maße unseren Mieterinnen und Mietern“ verpflichtet. Diese Wohltäter der Menschheit interessieren sich für die Mieterinnen und Mieter nur als Hauptquelle ihrer Maximalprofite. 2021 flossen von jedem Euro Miete 45 Cent in die Dividende der Vonovia-Aktionäre.

 

Die Wohnungsbauziele der Regierung scheitern am Kapitalismus: Grundstücke und Wohnungen sind Waren. Bei Wohnungsnot spekulieren die Besitzer auf steigende Preise. Spekulation ist profitabler als der Bau neuer Wohnungen. Internationales Spekula­tionskapital strömt in den deutschen Immobiliensektor. Verschuldete Kommunen haben ihre Wohnungsgesellschaften oft weit unter Wert veräußert. 2004 kaufte der Immobilienfonds von Goldman Sachs 66 000 Wohnungen der Berliner GSW, 2008 die Wohnungsgesellschaft LEG in NRW mit 93 000 Wohnungen (mehr dazu auf S. 22/23). Die Grundstückspreise haben sich seit 2010 verdoppelt.³ Sie sind in vielen Großstädten so hoch, dass Maximalprofit nur noch mit Luxuswohnungen oder Büros zu erzielen ist. Gestiegene Kreditzinsen und hohe Energiekosten verschärfen diesen Widerspruch. So hat Vonovia 2023 kurzerhand den Bau von 60 000 neuen Wohnungen gestoppt. Der kapitalistische Staat hat weder Handhabe noch Interesse, die Immobilienkonzerne zum Wohnungsbau zu zwingen, er bietet ihnen nur noch profitablere Bedingungen. Im Sozialismus dagegen ist der Boden Gemeineigentum und Wohnungen/Siedlungen werden planmäßig entsprechend dem Bedarf ge- oder umgebaut. Da Wohnen ein grundlegendes Lebensbedürfnis ist, sind Mieten niedrig und wird der ökologische Faktor beim Bauen eine führende Rolle spielen.

AfD – Anwalt für deutsche Immobilienkonzerne

Die AfD lenkt von den Immobilienkonzernen als Hauptverantwortlichen der Wohnungsnot ab, schürt Konkurrenz um den knappen Wohnraum und spielt soziale Nöte gegen die Umweltfrage aus: „Verantwortlich sind hierfür primär die anhaltende Zuwanderung, aber auch immer teurere Bauvorschriften wegen des Klimaschutzes“, tönt ihr baupolitischer Sprecher Marc Bernhard.⁴ Viele Flüchtlinge sind Bauarbeiter und könnten helfen, Wohnungen zu bauen – dürfen aber nicht arbeiten. Es wäre durchaus möglich, genügend Wohnungen zu schaffen.

 

Die AfD ist ein Anwalt der Immobilienkonzerne. Sie will die Grundsteuer abschaffen, lehnt Mietpreisbremsen sowie Sozialwohnungsbau ab, will Baustandards senken. 2020 erhielt die Thüringer Höcke-AfD 100 000 Euro vom Baulöwen Christian Krawinkel. Im Interesse solcher Leute ist die AfD zu offener Repression gegen Mieter- und Arbeiterbewegung bereit und will die erkämpften Mieterrechte mitsamt den bürgerlich-demokratischen Rechten über Bord werfen. Die geheuchelte Sorge der AfD um das Wohl der Massen hat nur ein Ziel: Menschen für eine faschistische Massenbasis zu ködern. Jedem muss klar sein: Wer AfD wählt, wählt Faschismus!

Brennpunkt der Kapitalismuskritik

Die Kritik an der Profitgier der Immobilienkonzerne wächst. Mieter der Wohnungsbaugenossenschaft FLÜWO in der Region Stuttgart haben im Kampf gegen hohe Mieterhöhungen eine Mieterinitiative gegründet und wollen einen Mieterrat wählen. Formen der Selbstorganisation zu stärken, ist genau der richtige Weg. In Marl und Gelsenkirchen schließen sich Mieter zusammen. Verschiedentlich ergriffen Wohngebietsgruppen der MLPD die Initiative zu Beratung und Protest gegen explodierende Nebenkosten oder horrende Nachzahlungen. Hier gilt es, dranzubleiben und insgesamt der Wohnungsfrage entschieden mehr Bedeutung beizumessen. Die MLPD unterstützt Mieterproteste als Teil der fortschrittlichen kämpferischen Opposition und fördert den Zusammenschluss in der fortschrittlichen Montagsdemobewegung, im Interna­tionalistischen Bündnis und in der MLPD.