Rote Fahne 12/2024

Rote Fahne 12/2024

Das Debakel der kapitalistischen Verkehrspolitik

2023 standen Autos und Lkw in insgesamt 877.000 Kilometer langen Staus auf Autobahnen, ein Zuwachs von 20 Prozent gegenüber 2022. Eine absurde Vergeudung von Ressourcen und Zeit im angeblich so „effizienten“ Kapitalismus.

Von (wb / gp)
Das Debakel der kapitalistischen Verkehrspolitik
Foto: Kevin Hackert/CC BY-NC 2.0 Deed

Die dadurch zusätzlich in die Atmosphäre ausgestoßenen Treibhausgase trugen mit dazu bei, dass die Regierung das selbst gesteckte Ziel ihrer Verringerung um 13 Millionen Tonnen verfehlte. Allein der Verkehrsbereich trug 2023 mit 146 Millionen Tonnen Treibhausgasen zur Ausreifung der begonnenen globalen Umweltkatastrophe bei. Wer aus Umweltschutzgründen auf den Zug umsteigt, muss damit rechnen, dass ein Drittel der Züge nicht pünktlich fährt. Im Koalitionsvertrag hat die Ampel versprochen, „dass Deutschland Leitmarkt für die Elektromobilität mit mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030“ werden soll.1 Anfang 2024 waren gerade mal 1,4 Millionen zugelassen2. Die kapitalistische Verkehrspolitik erweist sich als gigantisches Debakel. Das ist ein Topthema gerade auch in den Belegschaften der Autoindustrie mit ihrem großen verkehrstechnischen Know-how.


Weder Regierung noch Autokonzerne hatten jemals ernsthaft vor, aus Produktion und Verkauf von Verbrennermotoren vollständig auszusteigen. Nichts anderes steckte hinter der von deutschen Konzernen und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) betriebenen Durchsetzung der „Technologieoffenheit“ beim angeblichen EU-weiten Verbrenner-Aus in Neuwagen ab 2035. Sie ermöglicht den Weiterbetrieb von Verbrennermotoren mit sogenannten E-Fuels (synthetischen Kraftstoffen). Auch das Versprechen einer ausreichenden Ladeinfrastruktur war von vornherein Augenwischerei. Im Europawahlkampf greifen CDU/CSU und FDP die Forderung des Lobbyverbands der Autokonzerne auf, das wachsweiche EU-Verbot für Verbrennermotoren bei Neuzulassungen ab 2035 gleich ganz aufzuheben.

 

E-Mobilität auf Kosten der Umwelt und der Arbeitsplätze?

 

Die klägliche „E-Auto-Offensive“ war vor allem eine Reaktion auf das gewachsene Umweltbewusstsein, gerade auch der Automobilarbeiter. Dazu hat die Aufklärungsarbeit der MLPD und anderer über den „Dieselskandal“ einen großen Beitrag geleistet. Zugleich geht es den in Deutschland ansässigen Automonopolen darum, im Konkurrenzkampf um diesen Markt nicht abgehängt zu werden und mit Karacho weiter in die Sackgasse des Individualverkehrs zu brausen – auf Kosten der Umwelt und der Arbeitsplätze.

 

Tesla und die chinesischen Konzerne ergriffen mit ihrem schnellen Vormarsch bei den E-Autos die Chance, damit den Verbrenner-Platzhirschen wie VW, Mercedes oder BMW davonzufahren. So lieferte Tesla im letzten Jahr 1,8 Millionen E-Autos aus, der chinesische BYD-Konzern 1,6 Millionen, VW 771.000, BMW 500.000 und Mercedes 241.000 (siehe Seite 16/17). Während die E-Autos-Produktion in den beiden wichtigsten Märkten China und USA stark wachsen, in der EU nur leicht, ist sie in Deutschland von Januar bis April um 11 Prozent gesunken. Das führt zu großer Verunsicherung unter den Automobilarbeitern.

 

Der Rückfall der E-Auto-Produktion ist auch eine Folge der anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise und verschärft die Strukturkrise aufgrund der Umstellung auf E-Mobilität. Deshalb müssen sich die Automobilarbeiter auf schärfere Angriffe einstellen. So fordert ein Fondsmanager „von Mercedes drastische Sparmaßnahmen“ und dass „über Werksschließungen nachgedacht werden“3 muss. Das Münchner Ifo-Institut geht davon aus, dass allein in der Autoindustrie – ohne Zulieferer – 221.000 Jobs gefährdet sind.4 Hunderte Leiharbeiter werden entlassen beziehungsweise – wie es vornehm heißt – „abgemeldet“. Kolleginnen und Kollegen, die E-Autos fertigen sollten, werden in andere Abteilungen zwangsversetzt.


„Neosozialistische Planwirtschaft“?

 

Für die Massen gibt es von der Regierung die Botschaft: alles was (angeblich) Umweltschutz ist, geht zu EUREN Lasten; IHR werdet zur Kasse gebeten, während die Monopole Milliardensubventionen kassieren. Das längst versprochene „Klimageld“ als Ausgleich für die CO2-Besteuerung ist im Zukunftsnirwana verschwunden. Das nutzt die AfD demagogisch, um das Umweltbewusstsein zu zersetzen und Verwirrung unter den Automobilarbeitern zu verbreiten. Sie bezeichnet die dringend notwendige Abkehr von fossilen Antriebsenergien als „neosozialistische Planwirtschaft“.5

 

Wenn heute etwas planmäßig erfolgt, dann die Umverteilung der Steuergelder von unten nach oben im Interesse der internationalen Monopole. Das ist aber ein Wesensmerkmal des staatsmonopolistischen Kapitalismus und das genaue Gegenteil von Sozialismus, in dem die Ausbeutung von Mensch und Natur abgeschafft ist und die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten einen neuen Staat errichtet haben. Dort würde selbstverständlich planwirtschaftlich vorgegangen – weil eine solche fundamentale Veränderung eben nicht als Stückwerk betrieben werden kann: Erforschung, Entwicklung und Bau umweltfreundlicher Antriebsenergien und Transportsysteme, sofortiger Ausbau des grünen, kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs, Förderung des Fahrradfahrens, Ausbau des Schienennetzes auf Grundlage regenerativer Energien und vieles mehr.

 

Die AfD betreibt mit ihren antikommunistischen Verwirrmanövern das Geschäft derjenigen Konzerne, die an Verbrennerautos festhalten wollen. Sie stellt sich damit gegen die Interessen der Arbeiterklasse und die notwendigen Maßnahmen zur Rettung der Menschheit vor dem Untergang in der globalen Umweltkatastrophe.

 

Die Ersetzung von fossilen durch E-Antriebe ist zweifellos ein Fortschritt. Die MLPD teilt nicht die These, dass E-Autos genauso negativ zu bewerten sind wie Verbrennerautos. Die ganze polarisierte Debatte gerade in Belegschaften der Autoindustrie, auch mit faschistischen Klimaleugnern der AfD oder von „Zentrum“ bei Daimler, spaltet die Belegschaften und ist eine Ablenkung vom eigentlichen Widerspruch: Ob Verbrenner oder E-Auto, die Autokonzerne interessiert der Gebrauchswert der Autos nicht die Bohne. Sie interessiert nur, wie sie durch die Ausbeutung der Arbeiter ihren Maximalprofit vergrößern und eine Poleposition auf dem Weltmarkt erringen können. In der heutigen Umsetzung durch die Autokonzerne ist das E-Auto noch keine ausgereifte Alternative – vor allem wegen des weiterhin eingesetzten Kohle- und Erdgasstroms sowie der umweltschädlichen Batterieproduktion.

 


Eine „wirkliche Verkehrswende“ ist möglich

 

Alternative Verkehrskonzepte werden heute bewusst behindert und aufs Abstellgleis geschoben:

 

Eine Studie der Bahn-Tochter ioki kommt zu dem Schluss, dass rund 55 Millionen Menschen vom öffentlichen Personennahverkehr mehr oder weniger abgehängt sind. Das gilt vor allem für den ländlichen Raum.6 Dabei wäre mithilfe künstlicher Intelligenz und Digitalisierung eine flexible Anbindung durch einen Mix umweltverträglicher Transportmittel auch im ländlichen Raum möglich.


Während die verschiedenen Regierungen die Länge des Autobahnnetzes seit 1960 verdreifacht haben, hat die Bahn im gleichen Zeitraum ein Viertel der Bahnstrecken stillgelegt. Deshalb fordert die MLPD unter anderem einen vorrangigen Ausbau des öffentlichen Schienenverkehrs, Reduzierung des Neubaus von Autobahnen, Verlagerung des Güterverkehrs auf Schienen und Wasserwege.

 

Der entschiedene Kampf für solche im einzelnen durchaus im Kapitalismus durchsetzbaren Forderungen muss als Schule des gesellschaftsverändernden Kampfs gegen die begonnene globale Umweltkatastrophe und des Aufbaus des Sozialismus geführt werden. Dabei kommt den Automobilarbeitern in den Konzernen der Auto- und Zulieferindustrie eine bedeutende Rolle zu. Eine grundlegende „Verkehrswende“ erfordert einen Paradigmenwechsel zur konsequenten Verwirklichung der Einheit von Mensch und Natur in Produktion, Transport und Gesellschaft. Das ist nur in einer sozialistischen Gesellschaft, in der Mensch und Natur im Mittelpunkt stehen, erreichbar. Dann können mit Hilfe der Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeiter Verkehr und Transport auf die Bedürfnisse der Gesellschaft ausgerichtet und neue, umweltfreundliche Verkehrs- und Transportmittel entwickelt werden (siehe S. 29).