Rote Fahne 10/2024
Wende im Ukrainekrieg?
Trotz erheblicher Widersprüche in der amerikanischen Bevölkerung hat sich der US-Imperialismus nach langem Zögern zu einer neuen, 60,8 Milliarden US-Dollar umfassenden Militärhilfe für die Ukraine entschieden. Großmäulig wird damit „eine Wende“ zugunsten der Ukraine in diesem seit über zwei Jahren erbittert geführten Krieg versprochen, der sich zu einem Menschen und Material fressenden Moloch entwickelt hat.
Die weitere Aufrüstung der ukrainischen Armee hat natürlich Einfluss auf den Kriegsverlauf, aber sie wird keine Wende im Krieg herbeiführen. Sie wird die Widersprüche zwischen Russland und der NATO enorm verschärfen und kann zu einer neuen Eskalationsstufe führen.
Forciert wurde die neue Spirale der Hochrüstung der Ukraine, weil den russischen Invasoren in den letzten Wochen an der ukrainischen Donbass-Front kleinere Durchbrüche gelangen, die ukrainische Truppen zu teils chaotischen Rückzügen zwang.
Tatsächlich gerät die Ukraine immer mehr in die Defensive. Groß angekündigte ukrainische Offensiven sind allesamt gescheitert. Die russischen Truppen haben sich entlang der ganzen Front tief eingegraben, das Gelände vermint – und attackieren zugleich täglich Ziele im Landesinneren.
Bei massiven Angriffen in der ganzen Ukraine werden Angst und Schrecken verbreitet und immense Schäden angerichtet. Etwa zwei Drittel der Energie-Infrastruktur des Landes wurden zerstört.¹ Schnelle Reparaturen sind kaum mehr möglich, weil Russland besonders dafür massive Gleitbomben mit riesiger Zerstörungskraft einsetzt. Diese FAB-1500-Gleitbombe ist eine „alte“ Bombe aus der Zeit des sowjetischen Sozialimperialismus. Sie wurde mit Flügeln und einem Navigationssystem ausgerüstet und kann durch Bombenflugzeuge von russischem Territorium oder dem Donbass aus abgeschossen werden.²
Selbst nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums verfügt Russland über eine Überlegenheit an Waffen und Soldaten im Verhältnis drei zueins. Nach Angaben des NATO-Oberkommandierenden in Europa, General Christopher Cavoli, hat Russland seine Streitkräfte in der Ukraine im vergangenen Jahr von 360.000 auf 470.000 Mann aufgestockt.³
Erklärtes Ziel des NATO-Generalsekretärs ist nach wie vor der Sieg über Russland, was eine Illusion ist. Aber auch Russland kann in diesem mörderischen Ringen nicht siegen oder sich die ganze Ukraine einverleiben.
Defensive vermindert nicht die Aggressivität
Schon seit Oktober letzten Jahres hat die Ukraine weit in russisches Gebiet und in die Krim reichende US-amerikanische ATACMS-Raketen eingesetzt, die klammheimlich geliefert worden waren. Das bedeutet, dass die Defensive der Ukraine keineswegs eine Verminderung ihrer Aggressivität bedeutet. Im Gegenteil – die Angriffe direkt auf russisches Territorium sind eine Provokation der russischen Atommacht und steigern die akute Weltkriegsgefahr. Sie zielen auf den russischen Nachschub – zuletzt wurden mit Drohnen und Raketen Raffinerien und Öldepots getroffen und in Brand gesetzt.
Was den Kriegstreibern auf beiden Seiten im Wege steht – das ist die wachsende Kriegsmüdigkeit der Massen, die sich aller Medienzensur und Repression zum Trotz in bislang noch einzelnen Aktionen des aktiven Widerstands äußert.
Auch wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ins Kreuzfeuer der Kriegstreiber geriet und schnell zurückruderte, als er von einem „Einfrieren“ des Krieges und Verhandlungen sprach – bis zum Papst und zum UN-Generalsekretär mehren sich die Stimmen, die eine Beendigung des Krieges, einen Waffenstillstand und Verhandlungen fordern. Das entspricht auch der Meinung der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Nur jede oder jeder Vierte hält den Sieg der Ukraine noch für realistisch. 43 Prozent wollen keine weiteren Waffenlieferungen.⁴
Sogar unabhängig vom konkreten Kriegsverlauf in der Ukraine wollen die europäischen Imperialisten sich aus der Abhängigkeit des US-Imperialismus lösen. Der französische Präsident Emmanuel Macron sieht Europa vom Untergang bedroht und pocht auf mehr Eigenständigkeit: „Europa kann sterben.“⁵ Bundeskanzler Olaf Scholz verfolgt gemeinsame Rüstungspläne mit dem faschistoiden, rassistischen britischen Regierungschef Rishi Sunak.⁶
Proteste gegen „Veteranentag“ geplant
Auch wenn das mehr als unwahrscheinlich ist: der deutsche Kriegsminister Boris Pistorius weiß es schon besser und malt Angstszenarien vor einem russischen Angriff auf das Baltikum, Polen und schließlich Deutschland. Weil aber alle Angstmache und Propaganda immer noch nicht reicht, um mehr Rekrutinnen und Rekruten zu gewinnen, ist mittlerweile jeder zehnte neue Bundeswehrsoldat minderjährig. Von der Unerfahrenheit und Technikbegeisterung – aber auch Perspektivlosigkeit – dieser Jugendlichen versprechen sich die Militaristen gefügiges Personal.⁷
Mit großer Mehrheit von Ampel bis CDU/CSU hat der Bundestag die Einführung eines „Veteranentags“ beschlossen. Nur die Linkspartei stimmte dagegen. Den für den „Ehrentag“ am 15. Juni geplanten Protest sollte die neue Friedensbewegung und die antimilitaristische Jugendbewegung zu ihrer Sache machen.