Rote Fahne 10/2024

Rote Fahne 10/2024

Monopole wollen Generalangriff auf soziale Rechte und Umweltschutz

Der FDP-Parteitag hat am 17. April das 12-Punkte-Papier des Präsidiums für eine sogenannte „Wirtschaftswende“ gebilligt. Parteichef Christian Lindner will damit eine „Offensive zur Entfesselung von Innovationskräften“ starten. Doch wirklich „innovativ“ sind seine Pläne nicht. Unionsparteien und AfD blasen längst ins gleiche Horn. In der Schule hätte Lindner für sein Papier eine glatte „Sechs“ bekommen – wegen Abschreiben!

Von fh/ms
Monopole wollen Generalangriff auf soziale Rechte und Umweltschutz
Der geplante Kahlschlag von mehr als 10 000 Arbeitsplätzen in der Stahlsparte von Thyssenkrupp fordert die Richtungsentscheidung heraus: Auf weitere Verhandlungen setzen oder entschlossen den selbständigen Kampf um jeden Arbeitsplatz aufnehmen (Aktionstag, Duisburg, 30.04.2024)

Die meisten Forderungen sind fast wörtlich von den Monopolverbänden übernommen. Und „entfesseln“ könnte sich darüber ein weiterer handfester Koalitionsstreit. Den möchte die FDP zwar vermeiden, doch die Spitzen von SPD und Grünen bemängeln an den rigorosen Kürzungsplänen fehlendes „Fingerspitzengefühl“. Sie fürchten einen Sturm der Entrüstung – vor allem in den Betrieben, sozialen Bewegungen und der Umweltbewegung.

 

In einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz forderten BDI, BDA, DIHK und ZDH1 Ende Januar unter anderem Steuersenkungen für die Unternehmen, „mehr Anreiz zum Arbeiten“ für Bürgergeldempfänger, die Senkung der Beiträge zu den Sozialversicherungen sowie Rentenkürzungen und eine weitere Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Das war die Blaupause für die fast gleichlautenden 12-Punkte-Pläne von FDP und CDU. So ist bei der FDP zu lesen:

 

  • „Vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags“, der mittlerweile nur noch von Spitzenverdienern gezahlt wird. Das würde bei diesen mit 14,5 Milliarden Euro Entlastung zu Buche schlagen.
  • Die „steuerliche Belastung von Unternehmensgewinnen“ soll auf „maximal 25 Prozent“ gesenkt werden – ein Steuersatz, von dem Arbeiterinnen und Arbeiter nur träumen können.
  • Mit der Forderung nach „Bürokratieabbau“ ist vor allem die Kappung von Auflagen für Umweltschutz und lästiger „Bürgerbeteiligung“ gemeint. Und wenn die FDP „die Nutzung der heimischen Energiereserven ausweiten“ will, meint sie damit auch Kohleverbrennung und Atomkraft. Deshalb will sie die „Förderung Erneuerbarer Energien schnellstmöglich beenden“.
  • Ein „Moratorium für Sozialleistungen“ für „mindestens drei Jahre“ würde die geplanten minimalen Verbesserungen bei der Kindergrundsicherung canceln und Bürgergeld-Empfängern 2025 eine Nullrunde bescheren.
  • Bei Verschlechterungen soll es dagegen kein Moratorium geben. So will die FDP beim Bürgergeld verschärfte Sanktionen (siehe Seite 16). Ihr „Anreiz zum Arbeiten“ besteht in massivem Druck „bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen“. Der Zwang zur Annahme jeder Arbeit – einschließlich Ein-Euro-Jobs – soll das Lohnniveau weiter nach unten drücken.
  • Die FDP will Überstunden durch Steuerbefreiung fördern (siehe Seite 22) und einen „flexiblen Renteneintritt“ möglich machen. „Flexibel“ vor allem nach oben, wie aus dem 12-Punkte-Plan klar hervorgeht.

„Wirtschaftswende“ wohin?

Die Unternehmerverbände mahnen in ihrem Offenen Brief an die Regierung „wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen“ an. Als ob die Ampelregierung bisher nicht „wirtschaftsfreundlich“ gewesen wäre. Sie hat zuletzt zusätzliche Investitionsanreize für Konzerne von rund 7 Milliarden Euro pro Jahr beschlossen, plus 3 Milliarden Euro für die Entlastung bei der Stromsteuer. Auch die 49 Milliarden Euro, die dem Klima- und Transformationsfonds für 2024 zur Verfügung stehen, fließen zu einem großen Teil in Investitionen der Konzerne. Doch den Monopolverbänden geht das nicht weit genug.

 

Die Ampelregierung hat es sich zugleich viel kosten lassen, die Klassenwidersprüche abzudämpfen. Sie steckte Milliardensummen in Coronahilfen, Strom- und Gaspreisbremsen oder steuerfreie Einmalzahlungen für den Inflationsausgleich, die vor allem in Monopolbetrieben ausgezahlt wurden. Das wirkte einem sprunghaften Anstieg der Verarmung in Deutschland entgegen. Abgefedert hat es die Folgen insbesondere für die Industriearbeiter – um zu verhindern, dass sie sich an die Spitze wachsender Massenproteste stellen.

 

Die führenden Monopole können und wollen – zumindest in diesem Umfang – darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Vor dem Hintergrund eines mörderischen Konkurrenzkampfs um höhere Subventionen und Entlastungen für die Konzerne, wie etwa in den USA und China, drängen sie auch hier auf eine rigorose staatliche Umverteilung zu ihren Gunsten.  Der Konkurrenzkampf gipfelt in der Vorbereitung eines neuen Weltkriegs. In die Hochrüstung dafür sollen zukünftig Summen in Höhe von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen. Stand 2023 wären das 82,4 Milliarden Euro und 18 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) will sogar 36,6 Prozent des Haushalts dafür aufbringen.

 

Da kann man doch beim besten Willen nicht auch noch auf eine auskömmliche Rente oder den Kohleausstieg pochen! „Wir brauchen weniger Klimbim bei neuen Sozialausgaben und mehr Konzentration auf das Wesentliche“, so brachte es der FDP-Haushaltspolitiker Frank Schäffler auf den Punkt.² Was für ihn „Klimbim“ ist, bedeutet für Bürger­geldempfänger eine minimale Erhöhung ihrer kargen Existenzgrundlage, und für Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, dass sie auch noch was von ihrer kleinen Rente haben. Schäffler kennt als Geschäftsführer einer Berliner „Denkfabrik“ solche Sorgen freilich nicht.

„Alternative“ SPD und Grüne?

Ein FDP-Projekt ist die „Wirtschaftswende“ allerdings nicht. Die CDU hat im Bundestag bereits einen Antrag für eine „echte Wirtschaftswende“ gestellt. Enrico Komning von der AfD findet den Unionsantrag „gar nicht so schlecht“, weil „die Hälfte von uns abgeschrieben“ sei. Die andere Hälfte enthält noch weitergehende Angriffe auf soziale Rechte und Umweltschutz.

 

Die Spitzenpolitiker von SPD und Grünen sind durchaus einverstanden mit Hochrüstung und mehr Subventionen für die Monopole. Sie wollen vor allem den Ausbruch einer offenen politischen Krise vermeiden, wie es 2004/2005 der Fall war, als sich konzernweite Streiks gegen Entlassungspläne und Massenproteste gegen die Hartz-Gesetze der Schröder-Regierung entfalteten. Deshalb setzen sie an Stelle von solch weitgehenden Angriffen auf eine Reform der „Schuldenbremse“. Für den Rückgriff auf höhere Staatsschulden müssen allerdings früher oder später ebenfalls die Massen aufkommen.

„Arbeiter in die Offensive“

Die Monopole selbst stecken in einer tiefen Defensive und haben alles andere als einen klaren Plan, wie ihre Forderungen durchgesetzt werden sollen. Eine andere Regierungskoalition, die dazu besser in der Lage wäre, ist nicht in Sicht (siehe Seite 18). Die Ampelkoalition ist bei den Leuten so untendurch wie seit langem keine Regierung. Die Industriearbeiter sind derzeit mit einer neuen Welle der Arbeitsplatzvernichtung konfrontiert.

 

Das fordert zusammen mit den geplanten Angriffen auf soziale und ökologische Zugeständnisse heraus, dass die Arbeiterklasse in die Offensive geht. Dafür gibt es kämpferische Ansätze wie bei den Aktionstagen der Bosch- und Thyssenkrupp-Belegschaften (siehe Seite 26). Die MLPD setzt sich dafür ein, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre führende Rolle in der begonnenen politischen Gärung wahrnehmen. Nur so wird der Kampf gegen den Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen, gegen soziale Demontage, Umweltzerstörung und rechte Tendenz zusammenwachsen.

 

Das fördert die MLPD mit ihrer Beteiligung an der Europawahl als Teil der Internationalistischen Liste/MLPD. Sie nützt die Wahlkampagne, um das Buch „Die globale Umweltkatastrophe hat begonnen!“ breit bekanntzumachen und dafür viele neue Leser zu gewinnen. Das wird der Strategiedebatte über den echten Sozialismus als einziger Perspektive für die Zukunft der Menschheit einen weiteren Schub geben.