Rote Fahne 09/2024
Sozialismus, aber echt?! Wie kann ein neuer Anlauf gelingen?
Am 18. Juli 1889 traten in Paris die Delegierten der sozialistischen Arbeiterorganisationen der ganzen Welt zum Gründungskongress der II. Sozialistischen Internationale¹ zusammen. Unter anderem beschlossen sie, dass 1890 der 1. Mai zum ersten Mal „gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten“ als internationaler Kampftag der Arbeiterklasse durchgeführt wird. Bei diesem Gedanken war der Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, wie mit der gemeinsamen Forderung des Acht-Stunden-Arbeitstags, von Anfang an eng verbunden mit dem revolutionären Ziel der Befreiung der Arbeiterklasse im Sozialismus. Die Diskussion darüber wird angesichts der Gefahren für die Existenz der ganzen Menschheit zur drängenden Notwendigkeit. Aber ist der Sozialismus nicht gescheitert? Kann er wirklich all die Probleme lösen, die sich heute weltweit auftürmen?
Wenn ein Gesellschaftssystem die für die Menschheit bedrohlichen Krisen garantiert nicht lösen kann, dann der real existierende Kapitalismus. Er schafft es vielmehr, den Gegensatz zwischen Arm und Reich auf neue Rekordhöhen zu treiben. So sind alle Milliardäre zusammen seit 2020 um 3,3 Billionen US-Dollar (34 Prozent) reicher geworden. Fast fünf Milliarden Menschen, die ärmsten 60 Prozent der Menschheit, sind seitdem um 20 Milliarden US-Dollar ärmer geworden.² Als Folge der anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise wächst der Klassenwiderspruch zwischen dem allein herrschenden internationalen Finanzkapital und der internationalen Arbeiterklasse.
Die UNO zählt aktuell 50 Kriege und Kriegsbrandherde, so viele wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Als Folge des Kampfs um die Neuaufteilung der Welt zwischen den alten und neuen Imperialisten wächst die akute Gefahr eines atomaren, die Menschheit vernichtenden Weltkriegs.
Die auf den Weltklimakonferenzen verhandelte Begrenzung der Erderwärmung ist ein Mythos. Die MLPD hat den Beginn einer globalen Umweltkatastrophe analysiert. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, ob es gelingt, dem menschheitsbedrohenden imperialistischen System die Welt zu entreißen.
Was bleibt von der „sozial- ökologischen Transformation“?
Mit ihrem Versprechen von der „Transformation zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“ gelang es der Ampelregierung, die in eine tiefe Krise geratenen Illusionen in eine Reformierung des Kapitalismus noch einmal zu beleben. Viel ist davon nicht mehr davon übrig geblieben.
So überschlagen sich Meldungen über massenhafte Arbeitsplatzvernichtung gerade in Monopolbetrieben. Bei Thyssenkrupp sind über 10 000 Arbeitsplätze bedroht, Tesla hat die Vernichtung von 14 000 Stellen weltweit angekündigt, Daimler Trucks will 1000 Leiharbeiter entlassen. Mit ihrer „Transformation“ in Beschäftigungsgesellschaften und Arbeitslosigkeit werden sich die betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter kaum kampflos abfinden. Gleichzeitig rühren die Monopolverbände die Trommel für das Weiterlaufen von Kohlekraftwerken – getarnt als „Reserve“. Eine „Transformation“ nicht zu mehr Ökologie, sondern zu ihrer vollständigen Unterordnung unter die Monopolinteressen.
Der Kapitalismus kann nicht „sozial-ökologisch transformiert“ werden. Es ist die schrankenlose Ausdehnung der Produktion auf der Jagd nach Maximalprofiten bei gleichzeitiger Einschränkung des Massenkaufkraft, die gesetzmäßig zu Überproduktionskrisen und einer chronischen Überakkumulation von Kapital führen. Mit der Neuorganisation der internationalen Produktion ist die Zerstörung der Umwelt zu einem Zwang für die Übermonopole geworden, um Maximalprofite zu erzielen. Damit erweist sich der Reformismus ein weiteres Mal als Utopie, während seine Vertreter genau das dem Sozialismus vorwerfen.
Sozialismus: Von der Utopie zur Wissenschaft
Für den Zusammenschluss der Arbeiterinnen und Arbeiter mit der Umweltbewegung empfiehlt der Autor des Buchs „Die Utopie des Sozialismus“, Klaus Dörre³, als „verbindendes ideologisch-politisches Element … die Bezugnahme auf die Utopie eines ökologisch inspirierten Sozialismus“. Als Grund nennt er: „Der Anspruch, von der Utopie zur Wissenschaft geworden zu sein, hat zur Verknöcherung des Sozialismus … und letztlich zu dessen Zusammenbruch geführt.“
Damit verbreitet Dörre das übliche bürgerliche Narrativ, das den Verrat am Sozialismus und seine Folgen mit dem wissenschaftlichen Sozialismus in einen Topf wirft. Nicht der wissenschaftliche Sozialismus hat zur „Verknöcherung“ und zum „Zusammenbruch“ geführt, sondern der Verrat an seinen grundlegenden Lehren. Mit dem 20. Parteitag der KPdSU⁴ 1956 haben kleinbürgerliche Bürokraten die Macht an sich gerissen. Möglich war dies, weil die Frage der Denkweise beim Aufbau der Sozialismus noch nicht gelöst wurde. Diese verhängnisvolle Entwicklung unterstreicht doch nur, dass der Versuch, den Sozialismus mit dem Kapitalismus zu versöhnen – wovon auch Dörre träumt –, in Wirklichkeit illusionär und utopisch ist. Aus dem Verrat am Sozialismus entstand gesetzmäßig eine neue Bourgeoisie und ein bürokratischer Kapitalismus.
Während Dörre den Sozialismus wieder zu einer Utopie herabstufen will, haben Karl Marx und Friedrich Engels bereits vor 150 Jahren den damals verbreiteten utopischen Sozialismus einer schöpferischen Kritik unterzogen. Sie deckten auf, dass die Geschichte das Ergebnis von Klassenkämpfen und Revolutionen ist. Sie fanden heraus, dass sich in der gesellschaftlichen Produktion der kapitalistischen Industrie die Aufhebung der privaten Aneignung der Ergebnisse dieser Produktion materiell vorbereitet – und dass sich mit der modernen Arbeiterklasse die „Totengräber“ jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung entwickeln.
Sie konnten den Sozialismus zur dialektisch-materialistischen Wissenschaft entwickeln, weil sie erkannten, dass dialektische Gesetze in der Wirklichkeit existieren, in ihr bewusst aufgefunden und zu ihrer Umgestaltung angewendet werden können.
Aus den ersten Anläufen lernen
Die MLPD hat die Ursachen, dass es heute kein sozialistisches Land mehr gibt, gründlich untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen: Parteiaufbau, Klassenkampf und Aufbau des Sozialismus können nur auf Grundlage der proletarischen Denkweise erfolgreich sein.
In der MLPD sind durch den demokratischen Zentralismus die Mitglieder die Herren in der Partei. Auch die Diktatur des Proletariats wird danach aufgebaut sein und echte Demokratie für die breiten Massen verwirklichen. Unterdrückt werden die alten Ausbeuter und alle, die wieder kapitalistische Verhältnisse herstellen wollen.
Es wird vor allem darum gehen, mit bürgerlichen und kleinbürgerlichen Einflüssen und Prägungen aus der Zeit des Kapitalismus fertig zu werden und die Widersprüche innerhalb der sozialistischen Gesellschaft richtig zu lösen. Die Leitungen in Wirtschaft, Staat und Partei sind im Sozialismus zu regelmäßiger Rechenschaft verpflichtet. Die freigestellten Funktionäre haben keinerlei Privilegien und werden regelmäßig in der Produktion mitarbeiten – für heutige bürgerliche Politiker undenkbar! Werktätige Menschen an der Basis und solche mit Leitungsfunktionen begegnen sich auf Augenhöhe. Anwandlungen zu Funktionärsdünkel werden entschieden bekämpft. Wer das nicht ändern will, wird abgesetzt. Auch die Massen müssen sich befähigen, die leitenden Organe tatsächlich kontrollieren zu können. Das die revolutionäre Wachsamkeit von unten ungenügend entwickelt war, hat den Verrat am Sozialismus mit ermöglicht. Dazu wird es Bewegungen zur Erlernung der dialektischen Methode, zur immer besseren selbständigen Orientierung gerade der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Betrieben geben.
Mit Fehlern der revolutionären Partei oder Einzelner wird offen umgegangen, nichts wird unter den Teppich gekehrt, Probleme und Widersprüche werden durch Kritik und Selbstkritik gelöst. Die MLPD hat daraus insbesondere die Schlussfolgerung gezogen, dass ein ganzes System der Selbstkontrolle, bestehend aus der Kontrolle von unten, der Kontrolle von oben und der Selbstkontrolle die Überlegenheit der proletarischen Denkweise organisieren muss.
Wie der Sozialismus in der Lage ist, die heute drängenden Probleme der Menschheit erfolgreich zu lösen, wird auf den folgenden Seiten ausführlicher behandelt.