Rote Fahne 04/2024

Rote Fahne 04/2024

Tarrafal nunca mais! Tarrafal nie wieder!

Das war die Losung einer Massendemonstration im Januar 1978, als die toten Körper der politischen Gefangenen aus dem Konzentrationslager in Tarrafal nach Portugal gebracht wurden

Von einer Korrespondentin aus Frankfurt/M. (Urlaubskorrespondenz)
Tarrafal nunca mais! Tarrafal nie wieder!
Eingang zum KZ Tarrafal auf den Kapverden

Tarrafal ist heute ein Fischer- und Tourismusort mit 18 000 Einwohnern auf der Insel Santiago der Kapverdischen Inseln. Mit einem wunderschönen Sandstrand und mit überwiegend stolzen, kulturvollen, solidarischen und offenen Menschen, trotz großer Armut. Bekannt sind die Kapverden dafür, dass von dort aus afrikanische Sklaven jahrhundertelang in die westlichen Staaten, vor allem nach Europa, verkauft wurden. Bis zur Unabhängigkeit 1975 gehörten die Kapverden zum Staat Portugal.

Faschistischer Terror

Weniger bekannt ist, dass es in Tarrafal eine KZ Gedenkstätte gibt. Das KZ, genannt auch „Campo de morte lenta – Lager des langsamen Sterbens“, wurde 1936 unter der Herrschaft des portugiesischen Faschisten Salazar errichtet. Dafür wurden die Leitung und die Offiziere nach Nazi-Deutschland geschickt, um sich für die Errichtung und den Betrieb ausbilden zu lassen. Das KZ existierte bis zum 1. Mai 1974 in zwei Phasen:

 

Von 1936 bis 1954 mit insgesamt 340 politischen Gefangenen. Darunter alle Mitglieder des Sekretariats der Kommunistischen Partei Portugals, Gewerkschaftsführer und Matrosen, die am antifaschistischen Generalstreik und Aufstand teilnahmen. Ebenso Mitglieder der internationalen Brigaden aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Auch der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Portugals, Bento Gonçalves, war 1936 bis 1942 dort inhaftiert. Er ist unter bestialischen Bedingungen dort umgekommen. 1954 wurde das Lager geschlossen.

 

In Zusammenhang mit dem Krieg des Salazar-Regimes gegen die Befreiungsbewegungen in den Kolonien wurde das KZ neu eröffnet. 230 Mitglieder von Befreiungsbewegungen aus den Kapverden, Guinea-Bissau und Angola wurden von 1961 bis 1974, meist ohne Gerichtsurteile, unter abscheulichen Bedingungen inhaftiert. 1974, als das Militär gegen die faschistische Diktatur in Portugal putschte, weigerte sich die Lagerleitung, die Gefangenen freizulassen. Daraufhin hat die Bevölkerung der Insel Santiago am 1. Mai 1974 durch eine Großdemonstration das Lager selbst befreit.

Besuch der KZ-Gedenkstätte

Seit 2016 ist das Gelände eine Gedenkstätte. Bei unserem Besuch haben wir den Schwur von Buchenwald mit dem Bild vom ersten Kongress der United Front vom letzten Jahr in portugiesisch und englisch mitgebracht.

 

Wir alle hatten schon mehrere Konzentrationslager des Nazi-Faschismus gesehen. Die mörderische Brutalität und der Sadismus der faschistischen Schergen ist erdrückend. Folter, Erniedrigung, Krankheiten, Hunger waren alltäglich. Eine besondere Strafe war es, bis zu 17 Menschen in einer minikleinen Zelle aus Beton ohne Fenster, ohne Wasser bei brütender Hitze stunden-, ja tagelang einzusperren. Dieser Kerker wurde Bratpfanne genannt. Leider konnten wir, auch aufgrund von Sprachproblemen, nicht das ganze Ausmaß des Widerstands und der illegalen Lagerorganisation erfahren.

 

Erstaunlich ist, dass laut offiziellen Angaben „nur“ 32 Gefangene unter diesen Bedingungen umgekommen sind. Was man mitbekommt ist, dass die politischen Gefangenen klassenbewusste und organisationserfahrene Menschen waren und dass die gegenseitige Solidarität und Hilfe groß waren. Zwei Gefangene, von Beruf Arzt und Krankenschwester, haben mit wenigen Mitteln und Möglichkeiten die Menschen versorgt. Der offizielle Lagerarzt hatte die Aufgabe, Totenscheine auszustellen, und nicht zu heilen.

Einfallsreichtum zum Überleben

Die Gefangenen kamen aus vielen sozialen Schichten. Jene, die Bildung hatten, haben den anderen lesen und schreiben beigebracht. Sie haben sich eine Lagerbiblio­thek erkämpft. Ausdrücklich waren Schriften von Marxismus-Leninismus und Mao Zedong verboten.

 

Das Papier von Zementsäcken wurde ins Lager geschmuggelt, um es als Schreibmaterial zu verwenden und sich heimlich Nachrichten zukommen zu lassen. Den Faschisten ist es nicht gelungen, der Mehrheit der Häftlinge ihren Lebenswillen und Lebensmut zu zerstören. Sehr beeindruckend ist der Einfallsreichtum zum Überleben: Das Wasser, das sie bekamen, war fürchterlich verunreinigt. Sie filterten es über Lavasteine beziehungsweise kochten es heimlich ab. Das Essen war ungenießbar, verfault und stank bestialisch. Sie haben sich Brot vor die Nase gehalten, um die Nahrung herunterschlucken zu können. Denn ohne Nahrung hätten sie nicht überleben können.

 

Letztlich war es dieser Kampfwille, das wachsende antifaschistische und antikoloniale Bewusstsein und Widerstandsbewegung, die den Faschismus zu Fall brachte und das KZ schließlich befreien konnte.