Rote Fahne 03/2024
Rainer Dulgers Traum von „fairen Streiks“
Wenn Monopolvertreter entscheiden wollen, wer wann wie streiken darf ...
Der sechstägige Streik der Lokführer war ein neuer Höhepunkt der kämpferischen gewerkschaftlichen Streiks der letzten Monate und hat wiederum Ausstrahlung auf andere aktuelle Tarifauseinandersetzungen. So hat sich die Pilotenvereinigung Cockpit mit der GDL solidarisch erklärt. Auch bei der Lufthansa stehen die Zeichen auf Streik: Bei ihrer Tochter Discover Airlines haben 96 Prozent der Cockpit-Mitglieder in einer Urabstimmung für eine Arbeitsniederlegung zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen gestimmt. Beim Bodenpersonal, für dessen 25.000 Beschäftigte die Gewerkschaft Ver.di Verhandlungen führt, wird ebenfalls über Streik diskutiert.
Die Tarifverhandlungen für die fünf Millionen Beschäftigen im Handel ziehen sich seit neun Monaten hin. Trotz zahlreicher Warnstreiks halten die Handels- und Lebensmittelkonzerne an ihren völlig unzureichenden Angeboten fest. Im nordrhein-westfälischen Speditions- und Logistikgewerbe blockiert der Unternehmerverband die geforderten Verbesserungen des Manteltarifvertrags für die 176.000 Beschäftigten.
Monopole wollen härtere Gangart
Offensichtlich setzen die Deutsche Bahn, die Handels-, Lebensmittel- und Logistikkonzerne die von den Monopolverbänden geforderte härtere Gangart gegenüber den Beschäftigten um. Bahn-Chef Richard Lutz findet den Streik der GDL „gerade in diesen Zeiten zutiefst besorgniserregend“.1 Der Chef des Monopolverbandes BDA2, Rainer Dulger, fordert unverblümt eine weitere Beschneidung des Streikrechts: „Regellose Streiks schaden dem Land. Es ist richtig, dass die Politik beginnt, über Regeln für faire Streiks nachzudenken. Insbesondere in der Infrastruktur ist das dringend geboten.“3 Von was träumt Dulger nachts? „Faire“ und von der Regierung „geregelte“ Streiks sind für ihn vermutlich solche, die den Kapitalisten nicht wehtun. Was soll ein solcher „Streik“ aber bringen? Die Lokführer liegen genau richtig damit, entschlossen für ihre berechtigten Forderungen zu kämpfen.
Würde das in Deutschland ohnehin auf Tariffragen eingeschränkte Streikrecht für „Infrastruktur“-Betriebe noch weiter kastriert, wie Dulger es fordert, würden bald weitere Bereiche folgen. Zumal unter „Infrastruktur“ alles Mögliche verstanden werden kann.
Richtiges Streikrecht muss her
Solche Vorstöße setzen stattdessen die Diskussion über die offensive Forderung nach einem vollständigen und allseitigen gesetzlichen Streikrecht auf die Tagesordnung. Zugleich kommt es darauf an, sich das fehlende Streikrecht mit selbständigen Streiks zu nehmen – sei es für Lohnnachschlag außerhalb von Tarifrunden, sei es für politische Anliegen wie den Kampf gegen die wachsende faschistische Gefahr oder für ein umfassendes gesetzliches Streikrecht.