Rote Fahne 01/2024
Eine neue Ära der Vaterlandsverteidigung?
Vor dem Ersten Weltkrieg fassten die sozialistischen Arbeiterparteien auf ihrem Kongress in Basel 1912 den Beschluss, im Kriegsfall „für dessen rasche Beendigung einzutreten“ und die „Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen“. Keine zwei Jahre später beim Ausbruch des Weltkriegs verrieten die Führer der allermeisten sozialdemokratischen Parteien diese Linien und gingen zur Vaterlandsverteidigung über, auch die SPD. Nur die Bolschewiki unter Lenin in Russland hielten eisern an der internationalen Solidarität fest und setzten sie mit der Oktoberrevolution glänzend um.
Die üble Rolle der Kriegsunterstützer übernehmen heute eine ganze Reihe Parteien aus dem Lager der Revisionisten. Revisionismus, das ist kurz gesagt Sozialismus in Worten – Kapitalismus in Taten. Das spiegelt sich in einer furchtbaren phrasenhaften Sprache wider. Die dialektische Methode des wissenschaftlichen Sozialismus wurde ersetzt durch die metaphysische, positivistische Methode. Unter Nikita Chruschtschow in der Sowjetunion und Deng Xiaoping in China wurde der Sozialismus von innen zerstört, der Kapitalismus wieder hergestellt und eine neue Kapitalistenklasse bereicherte sich. Unter diesen Revisionisten bildet sich eine neue Achse der Vaterlandsverteidigung. Ganz vorne dran die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): „Unsere Soldaten kämpfen, ohne sich zu schonen, nicht für ein bürgerliches Russland, sondern für das russische Volk. Das ist der Grund, warum die KPRF beschlossen hat, die militärische Spezialoperation zu unterstützen.“¹ Was aber hat das russische Volk davon? Hunderttausende werden in der Ukraine verheizt, Milliarden fließen in den Krieg – allein 2022 geschätzte 80 Milliarden Euro und jegliche Opposition und Protest werden unterdrückt. Dieser Krieg kann nicht durch ein „Volksinteresse“ gerechtfertigt werden, denn allein die russische Herrscherklasse aus Putin-Regime und Monopolen profitieren davon.
Besonders übel ist, dass sich die modernen Vaterlandsverteidiger selbst als Antiimperialisten bezeichnen, was viele Menschen verunsichert. Sie gehen sogar so weit, den Dritten Weltkrieg als einen globalen antiimperialistischen Krieg zu bezeichnen, bei dem Russland, China und Nordkorea eine antiimperialistische Weltfront bilden würden. Das wurde allen Ernstes von einer Organisation auf der Konferenz „Über Imperialismus und Krieg“ am 14./15. Oktober 2023 in Amsterdam vertreten. Damit versuchen sie, einer antiimperialistischen Stimmung Rechnung zu tragen und sich selbst als fortschrittlich in Szene zu setzen.
Dieser äußerst simplen Logik nach ist zum Beispiel jedes Land, welches sich gegen den US-Imperialismus und die NATO stellt, antiimperialistisch. Demnach ist auch keinerlei Analyse der Produktionsverhältnisse, der Klassenstruktur oder der Macht- und Außenpolitik notwendig. So werden die verbrecherischsten Regimes wie die des Iran oder Syriens zu Bündnispartnern. Diese Theorie richtet sich ganz besonders gegen die von der MLPD ausgearbeitete Analyse von der Entstehung zahlreicher neuimperialistischer Länder. Die Analyse der Herausbildung und Entwicklung einer Reihe neuimperialistischer Länder wurde notwendig, weil diese neue Erscheinung das bisherige Gefüge des imperialistischen Weltsystems dramatisch infrage stellt. Sie ist die schöpferische Anwendung von Lenins Imperialismustheorie auf die heutige Zeit und unverzichtbar im Prozess der Neuformierung und Neuorientierung der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung.
Natürlich sind die USA eine Supermacht und der Hauptaggressor in der Welt, aber Russland hat seine Aggressivität in der Welt vielfach in den letzten Jahren unter Beweis gestellt. Und das imperialistische China ist bestrebt, nachdem es eine wirtschaftliche Supermacht geworden ist, dies auch auf politischem und militärischem Gebiet zu werden. Was wäre gewonnen, wenn China die USA ersetzt? Hunderte Millionen Arbeiter in China können von extremer Ausbeutung berichten.
Der antiimperialistische Kampf muss heute, wo es kein sozialistisches Land auf der Welt mehr gibt, im Vertrauen auf die eigene Kraft von den Arbeitern und den breiten Volksmassen geführt werden. Die Marxisten-Leninisten können sich nicht nostalgisch einem Lager anhängen, sondern müssen ihre eigene Strategie und Taktik der internationalen sozialistischen Revolution verfolgen.
Einige Revisionisten sagen sogar schon, dass ein Krieg gegen den US-Imperialismus unvermeidlich sei. Ein atomarer Dritter Weltkrieg muss verhindert werden, sonst bleibt womöglich nicht einmal Asche übrig, aus der eine sozialistische Gesellschaft aufsteigen könnte. Auch deshalb muss dieser Kampf gegen alle imperialistischen Kriegstreiber geführt werden.