Rote Fahne 24/2023

Rote Fahne 24/2023

„Langfristig würde uns am meisten helfen, wenn ihr den Kapitalismus abschafft!“

Dariush Beigui, Binnenschiffer aus Hamburg, ist seit Jahren im Mittelmeer als Seenotretter mit der Iuventa-Crew aktiv.Ihm drohen in Italien bis zu 20 Jahre Haft und hohe Geldstrafen. Die Rote Fahne sprach am Rande des Hafenarbeiterratschlags mit ihm.

„Langfristig würde uns am meisten helfen, wenn ihr den Kapitalismus abschafft!“
Dariush Beigui im Jahr 2018 auf der Iuventa (foto: privat)

Rote Fahne: Du bist vor Gericht in Sizilien angeklagt, – wie ist es dazu gekommen?

Dariush Beigui: Ich glaube, weil eine fa­schistische Entwicklung in Italien schon im September 2016 angefangen hat. Wir sind 21 Menschen, die angeklagt sind als Personen, plus „Save the Children“ und „Ärzte ohne Grenzen“ und eine Reederei. Der Vorwurf lautet „Beihilfe zur illegalen Einreise“.


Gegen uns haben fünf verschiedene Polizeieinheiten, Inlands-geheimdienst, Auslandsgeheimdienst und weitere er­mittelt. Es wurden Wohnungen verwanzt,  Telefone abgehört.


Wir haben jetzt Akten von 30 000 Sei­ten und 400 DVDs mit Audio-aufnahmen. Die Vorverhandlungen laufen seit andert­halb Jahren. Wir gehen davon aus, dass es im nächsten Januar zur Hauptverhand­lung kommt. Die wird nochmal so drei bis acht Jahre dauern.


Du hast Tausende Leute vor dem Ertrinken gerettet. Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Wir fahren mit spendenbasierten Schif­fen runter zum Mittelmeer. Ein Großteil der Mann­schaft sind Freiwillige. Wir suchen nach Booten, die in Seenot sind oder die uns gemeldet wer­den. Zu meiner Zeit 2017 auf der Iuventa haben wir wenig Boote selbst gesehen, fast alle Boote wurden uns von der Ret­tungsleitstelle in Rom gemeldet.


Siehst du einen Unterschied zwischen der Regierung mit Innenminister Salvini und der jetzigen faschistischen Regierung?


Salvini ist einfach sehr sehr plump die populistische Schiene gefahren. Die Re­gierung von Meloni ist anders drauf. Die haben zum Beispiel ganz viele Gesetze sehr perfide geändert, so dass es den See­notrettungschiffen gar nicht möglich ist, effektiv zu arbeiten.


Sobald aktive Seenotretter „Fehler“ machen, bekommen sie eine Geldstrafe. Beim ersten Mal 10 000 Euro und das Schiff ist für 20 Tage festgesetzt. Das  steigert sich dann von Mal zu Mal und beim dritten Mal können sie dann das Schiff komplett beschlagnahmen. Dadurch wirkt das Ganze nicht so plump und aggressiv ...


... aber sogar noch rechtsstaatlich ...
... Ja, genau, aber es führt natürlich zum selben Effekt, dass noch mehr Menschen auf dem Mittelmeer sterben.


Habt ihr Solidarität bekommen?

Also in Deutschland hat sich das schon ge­ändert. Vor zwei, drei Jahren gab es noch Gegenstimmen, wenn die AfD mal wieder gesagt hat, „dass die Leute doch ertrinken sollen“. Doch die werden immer leiser und immer weniger. Selbst die Grünen fahren inzwi­schen einen offen migrationsfeindlichen Kurs. Es ist aber klar – innerhalb der linken Szene und unter progressiven Leuten wird viel Solidarität geübt.

 

Was siehst du als Ursache, dass wir diese gravierende Politik der Abschottung, aber auch immer mehr Fluchtgründe haben?

Das ist ein ganz großes Brett! Der Kapitalis­mus hat jetzt seit 150 Jahren darauf hinge­arbeitet, da zu landen, wo wir jetzt sind. Und ich glaube, bei der Migration spielen verschiedene Faktoren rein.


So vor 100 Jahren sind die Menschen in alle Welt migriert. Mit riesigen Flucht­bewegungen nach Amerika zum Beispiel. Und die haben sich meistens nicht sehr nett benommen. Sie haben Afrika ausge­beutet, unterjocht, die indigene Bevöl­kerung in Amerika ausgerottet. Also manchmal habe ich den Eindruck, die Leute haben Angst, dass sich Menschen, die zu uns kommen, so benehmen, wie sich die Weißen benommen haben, als sie den „Rest der Welt erobert“ haben.


Es ist auch ein gängiges System, Feindbilder zu schaffen. „Teile und herr­sche“ ist ein altes Sprichwort. Und so­lange die Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland den fliehenden Menschen als Feind ansehen anstatt die obere Klasse, läuft für das System alles gut so.


Diese Grünen/SPD-Politik der Abschottung und Abschiebung sehen wir als eine Vorbereitung auf einen härteren Kurs.

Seit Jahren wird es immer härter. Es pas­sieren inzwischen Sachen an Europas Grenzen, die vor zwei oder drei Jahren noch einen Aufschrei der Bevölkerung ausgelöst hätten.


Es gibt inzwischen täglich Berichte von Menschen, die mit gefesselten Hän­den ins Wasser geschmissen wurden, da­mit sie ertrinken. Von Kleinkindern, die auf Rettungsinseln ausgesetzt werden, mitten auf dem Meer.


Was kann man jetzt konkret tun zur Solidarität?
Also langfristig würde uns am meisten helfen, wenn ihr den Kapitalismus ab­schafft!


Wir arbeiten dran – mit aller Kraft!

Denn dann würde der Prozess auch nicht stattfinden. Aber natürlich brauchen wir Geld. Wir rechnen damit, dass uns dieser Prozess eine Million Euro kosten wird.


Aber noch wichtiger ist, dass ihr das zu eurem Thema macht. Und dass alle Linken wissen, dass es viele verschiedene Kämpfe gibt, die zusammenhalten müssen – Ar­beitskämpfe, Migrationskämpfe, Klima­kämpfe, Antifa. Zeigt euch solidarisch mit uns! Zeigt euch solidarisch mit den Menschen auf der Flucht! Wenn ihr Geld übrig habt, spendet was und geht auf unsere Internetseite: www.iuventa­-crew.org.


Danke für das Gespräch