Rote Fahne 24/2023

Rote Fahne 24/2023

Jean Ziegler: „Sofortiger Waffenstillstand und Abbruch der Bombardements von Gaza“

Gastkommentar von Professor Jean Ziegler, Schweizer Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrats und Autor.

Jean Ziegler: „Sofortiger Waffenstillstand und Abbruch der Bombardements von Gaza“
Verwundet Palästinenser im Al-Shifa-Hospital (foto: Wafa in Contract with APAimages (CC BY-SA 3.0 Deed))

Gaza ist der am dichtesten besiedelte Landstrich der Welt. Auf einer Fläche von nur 365 Quadratkilometern drängen sich mehr als 2,8 Millionen Menschen. Als Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung besuchte ich Gaza mehrmals. Ich erinnere mich an ein Gewirr von Hochhäusern, Baracken und Hütten. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sind Flüchtlinge von 1948, als die israelische Armee mehr als zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung vertrieb. 1967 besetzten die Israelis den schmalen Küstenstreifen. 2006 zog Israel die Truppen wieder ab.


Wahlen fanden statt: die islamistische Hamas gewann gegen die laizistische¹ Befreiungsorganisation Fatah. Auf die Wahl der Hamas reagierte Israel mit einer totalen Wirtschaftsblockade gegen Gaza. Ein hoher Grenzzaun schließt Gaza noch heute ein. Bloß zwei befestigte Grenzübergänge gibt es für die UNO-Lastwagen, die in normalen Zeiten Hilfsgüter, Nahrung, Medikamente, Treibstoff und so weiter bringen. Mehr als vier Fünftel der Eingeschlossenen überleben nur dank der internationalen humanitären Hilfe.


Samstag, 7. Oktober 2023: Im Morgengrauen durchbrechen rund 1500 Kämpfer der Hamas den Grenzzaun. In den benachbarten israelischen Kibbuzim und in der Stadt Aschkelon töten sie 1200 Menschen und entführen über 200 Geiseln. Wer Frauen, Kinder und unschuldige Zivilisten tötet, wer Geiseln entführt, ist ein
Terrorist. Es gibt keine Entschuldigung für diese Taten – weder politisch noch religiös.


Auf den Hamas-Terror folgte am Abend des 7. Oktober der israelische Staatsterror. Die Bezeichnung stammt von Richard Falk, Völkerrechtsprofessor in Princeton, vormals UNO-Sonderberichterstatter für die besetzten palästinensischen Gebiete und zusammen mit Noam Chomsky der wohl einflussreichste jüdische Intellektuelle Nordamerikas.

 

In den letzte drei Wochen hat die israelische Luftwaffe über 10 000 Menschen getötet und Zehntausende Kinder, Frauen und Männer schwer verletzt. Ganze  Wohnquartiere wurden dem Erdboden gleichgemacht. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Nethanjahu legitimiert die Massaker mit einem einzigen  Wort: „Rache“.² Das ist letztlich auch für Israel selbstmörderisch.


Laut UNO-Dokumenten³ testet Israel seit 2008 regelmäßig bei den Angriffen auf den Gazastreifen neue Waffen. So auch beim gegenwärtigen Angriff. Die Schweiz hat zusammen mit dem israelischen Waffenfabrikanten Elbit eine hochmoderne, hocheffiziente neue Kampfdrohne entwickelt, die seit sechs Monaten von Israels Luftwaffe im Einsatz ist. Es ist eine Schande für unser Land.


Ich will nicht, dass meine Steuern die Ermordung palästinensischer Kinder finanzieren. Die Militärkooperation mit Israel muss sofort gestoppt werden. Stattdessen muss der Forderung von UNO-Generalsekretär António Guterres zum Durchbruch verholfen werden: Sofortiger Waffenstillstand und Abbruch
der mörderischen Bombardements von Gaza!