Rote Fahne 23/2023

Rote Fahne 23/2023

Raubtier Inflation – kein Ende in Sicht

61 Prozent gaben in einer Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands an, wegen der sprunghaft steigenden Preise verzichten zu müssen. Gespart wird vor allem beim täglichen Einkauf oder beim Urlaub. Im letzten Jahr entfaltete sich darüber breite Empörung. Sie richtete sich insbesondere gegen die Monopole, die die Inflation in die Höhe trieben, um ihre Profite zu maximieren. So haben 95 Energie- und Lebensmittelkonzerne ihre offiziellen Gewinne 2022 mehr als verdoppelt.¹ Relativ hohe Lohnforderungen wurden aufgestellt, viele Arbeiterinnen und Arbeiter wurden in den Tarifrunden aktiv, die Kapitalismuskritik wuchs. Um die Folgen der Inflation abzudämpfen und eine selbständige Lohnnachschlagsbewegung zu verhindern, machte die Regierung etliche Zugeständnisse. Das reichte vom Neun-Euro-Ticket über die Gas- und Strompreisbremse bis zur Steuerfreiheit für betriebliche Ausgleichsprämien. Viele dieser Maßnahmen waren nur einmalig oder befristet und laufen nach und nach aus. Dann werden die gestiegenen Preise erst so richtig durchschlagen. Eine regelrechte Manipulations- und Beruhigungswelle soll davon ablenken. So preist EZB²-Präsidentin Christine Lagarde ihre „bisherigen Maßnahmen“ als „sehr erfolgreich“ und gibt sich zuversichtlich, dass die Inflationsrate weiter zurückgeht.³ Was ist davon zu halten?

Von gp / ms
Raubtier Inflation – kein Ende in Sicht
Aufgabe: Gemeinsamer Kampf für höhere Löhne - in den Tarifrunden und im selbständigen Kampf um Lohnnachschlag (rf-foto)

Die „Inflationsbekämpfung“ der EZB besteht vor allem in der Erhöhung der Leitzinsen. Das hat dazu beigetragen, die offizielle Preissteigerungsrate etwas nach unten zu drücken. Aber die Preise für die Verbraucher fallen deshalb nicht, sondern steigen weiter. Laut Statistik im Oktober um durchschnittlich 3,8 Prozent – das kommt auf den Sockel der Preissteigerungen von offiziell 3,1 Prozent 2021 und 6,9 Prozent 2022 noch oben drauf. Dabei lag die reale Inflation für Arbeiterfamilien letztes Jahr bei über 20 Prozent. Ein Stahlarbeiter ist empört: „Meine Familie hat jetzt jeden Monat über zwei Jahre real rund 500 Euro weniger in der Haushaltskasse. Daran haben weder die sogenannte Strompreisbremse der Regierung noch die Tariferhöhung etwas Wesentliches geändert.“

Steigende Leitzinsen sollen nach der klassischen Lehre der bürgerlichen Ökonomie die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen bremsen und dadurch den Preisanstieg verringern. Doch erstens sind Konsum und Investitionen während der anhaltenden Weltwirtschafts- und Finanzkrise schon stark zurückgegangen (siehe Randleiste). Zweitens ändern steigende Leitzinsen wenig an der Kapitalspekulation als Hauptursache der Superinflation. Das spekulative Kapital verlagerte sich 2021/2022 auf die Rohstoff-, Energie- und Nahrungsmittelbörsen und trieb dort die Preise hoch. Im Laufe von 2022 floss es wieder stärker in die Aktienbörsen. Dort konnte jetzt kräftig auf die in Folge der Inflation steigenden Konzerngewinne gewettet werden (mehr auf Seite 16/17).

Der Schwindel von der „Kerninflation“

Die Berechnung der „Kerninflation“ durch Herausrechnen der Preissteigerungen für Energie und Nahrungsmittel aus der Inflationsrate ist zwar nicht neu. In den offiziellen Mitteilungen des Statistischen Bundesamts wird sie jetzt aber stets prominent genannt. Der Schwindel mit der „Kerninflation“ soll verdecken, wie hoch die Inflation für Arbeiterfamilien, Hartz-IV-Bezieher, Rentner und Jugendliche weiterhin ist. Sie müssen einen erheblich höheren Anteil ihres Einkommens für den Grundbedarf aufwenden als Besserverdienende. So geht bei einem monatlichen Nettoeinkommen von unter 1250 Euro im Schnitt rund die Hälfte für Wohnen und Energie drauf, ein weiteres Fünftel für Nahrungsmittel.⁴ Selbst laut Statistischem Bundesamt stiegen die Nahrungsmittelpreise zwischen Juli 2021 und Juli 2023 um 27,2 Prozent, die Preise für Strom kletterten zwischen März 2020 und Juli 2023 um 35,6 Prozent hoch, die für leichtes Heizöl um 76 Prozent und die für Erdgas um 97 Prozent.⁵ All das bleibt bei der „Kerninflation“ unberücksichtigt.

Preistreiber „Klimaschutz“?

Die faschistoide AfD spielt sich als Anwalt der kleinen Leute gegen steigende Preise auf. In einem Antrag im Bundestag⁶ bezeichnet sie die Ausgaben der Bundesregierung zur „Klimarettung“ und „Energiewende“ als „grüne Inflation“ und stellt diese als Hauptpreistreiber hin. Tatsächlich haben CO2-Bepreisung und Handel mit Emissionszertifikaten mit Umweltschutz nicht das Geringste zu tun. Mit der CO2-Bepreisung werden die Folgen der begonnenen globalen Umweltkatastrophe auf die Massen abgewälzt. Die großartig versprochene Ausgleichszahlung des „Klimagelds“ hat die Ampel-Koalition einkassiert. Dagegen wurde der Zertifikatehandel für die Monopole längst zum Milliardengeschäft.

 

Die AfD setzt an der berechtigten Kritik am Abkassieren der Massen unter dem Vorwand des Klimaschutzes an und fordert die Abschaffung von CO2-Abgabe und Energiesteuer. Ihr Programm „Preisexplosion stoppen!“ enthält jedoch keine einzige Forderung auf Kosten der Monopolprofite. Im Gegenzug will die AfD ein Steuersystem mit wenigen Stufen, das den Steuersatz für viele Arbeiter und Angestellte massiv erhöhen würde. Wegfallen sollen vor allem Unternehmer- und Reichensteuern wie die Gewerbesteuer, die Grundsteuer, die Vermögenssteuer sowie die Erbschafts- und Schenkungssteuer. Mit ihrer Verteufelung des Klimaschutzes rechtfertigt die AfD zugleich die unbegrenzte Fortführung der Kohleverbrennung und Atomkraftnutzung. Das würde die Energiepreise erst recht steigen lassen und vor allem die globale Umweltkatastrophe enorm verschärfen (siehe Seite 19).

Erlösung durch „Regulierung“?

Sahra Wagenknecht attackiert mit ihrer geplanten neuen Partei zu Recht die Manipulation der Inflationsstatistik.⁷ Sie will die Preise staatlich „administrieren“ und „regulieren“. Tatsächlich ist der Staat der Monopole selbst einer der größten Preistreiber. Die Strom- und Gaspreisbremse zeigt, wozu eine Preisregulierung im staatsmonopolistischen Kapitalismus führt. Mit ihr wurden die Preissteigerungen für Verbraucher nur gedeckelt und unbegrenzte Erhöhungen durch die Konzerne auch noch staatlich sanktioniert und finanziert. Die Machtfrage erwähnt Wagenknecht mit keinem Wort und will stattdessen neue Hoffnungen in den Kapitalismus wecken. Bei der von ihr angestrebten Regierungsbeteiligung müsste auch sie sich den kapitalistischen „Sachzwängen“ beugen.

Wenn Inflation zum Fremdwort wird

Während der Zeit des Sozialismus in der Volksrepublik China wurde nicht nur die Inflation beseitigt, auch der Lebensstandard der Massen stieg stetig. Wie war das möglich? Die entscheidenden Produktionsmittel und Banken wurden nach der Revolution verstaatlicht und statt der kapitalistischen Konkurrenz eine einheitliche Planwirtschaft errichtet, die sich an der Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen orientierte. Die Preise legte der Staat fest. Auf dem IX. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas 1969, nach der Großen Proletarischen Kulturrevolution, konnte festgestellt werden: „Der Markt blüht auf, die Preise sind stabil.“⁸

 

Das war vor allem Ergebnis der erfolgreichen Mobilisierung der Arbeiter und breiten Massen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität, zur aktiven Beteiligung an der Leitung der Produktion und den Staatsgeschäften sowie zum Kampf gegen bürgerliche Einflüsse. So trat Liu Shaoqi als Vorsitzender des Nationalen Volkskongresses in den 1950er-Jahren für die Wiedereinführung eines freien Marktes und privates Unternehmertum ein. Dagegen entfaltete sich eine breite Kritikbewegung. Mao Zedong als Parteivorsitzender setzte vor allem dagegen auf den weltanschaulichen Kampf, um das sozialistische Bewusstsein des selbstlosen Einsatzes für die ganze Gesellschaft zu fördern. Die MLPD hat aus diesen Erfahrungen die Schlussfolgerung gezogen, dass der Parteiaufbau, der Klassenkampf und der Sozialismus nur auf Grundlage der proletarischen Denkweise erfolgreich aufgebaut werden kann.

Gemeinsamer Kampf für höhere Löhne

Die MLPD setzt sich tatkräftig für den Kampf um höhere Löhne in den laufenden beziehungsweise anstehenden Tarifrunden für rund 8,8 Millionen Tarifbeschäftigte, Beamte und Pensionäre (siehe Seite 22) ein, aber auch für selbstständige Kämpfe um Lohnnachschlag und für jeden Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Sie fördert diese Kämpfe als Schule des Klassenkampfs und macht dabei deutlich, dass noch so viele Einzelgefechte um höhere Löhne nichts an der kapitalistischen Ausbeutung und der Gesetzmäßigkeit der Inflation ändern. Statt nur gegen die Folgen der Ausbeutung von Mensch und Natur anzukämpfen, braucht es einen gesellschaftsverändernden Kampf zur Rettung der Menschheit im echten Sozialismus.