Rote Fahne 19/2023
„Wer weiß, ob der Explorer überhaupt kommt“
Am 14. August gab die Ford-Geschäftsleitung bekannt, dass der ursprünglich für September geplante Produktionsbeginn des ersten E-Modells in Deutschland erst mal bis Mitte nächsten Jahres verschoben wird. Das zeigt, zu welchen tiefen und abrupten Einschnitten die Vertiefung der Weltwirtschafts- und Finanzkrise führt. In anderen Konzernen ist bereits vom Übergang zu betriebsbedingten Kündigungen und Massenentlassungen die Rede. Das setzt selbständige Streiks für den Erhalt der Arbeitsplätze auf die Tagesordnung.
Bei Ford war das neue „Electric Vehicle Center“, in dem das neue E-Modell Explorer produziert werden soll, erst am 13. Juni feierlich eingeweiht worden. Mit dabei Bundeskanzler Olaf Scholz und William Clay Ford, Urenkel des Konzerngründers aus den USA. Scholz sprach von einer „neuen Ära“ und gab sich arbeiterfreundlich: „Diejenigen, die am Band stehen, wollen, dass die Zukunft mit uns und mit ihnen ist.“1 Jetzt zeigt sich wieder einmal, dass man sich nicht auf die Zukunftspläne eines Automobilkonzerns wie Ford verlassen sollte, dem es nur um Maximalprofit und Weltmarktanteile geht. Und genausowenig auf die salbungsvollen Worte eines Kanzlers, der immer mal wieder „vergisst“, was er gestern noch gesagt hat.
Als Grund für die Verzögerung gab Ford an, dass das Elektroauto einem neuen Batteriestandard entsprechen soll. Das ist mehr als fragwürdig, da diese Norm schon länger bekannt ist und Ford Zeit gehabt hätte, sich darauf einzustellen. Tatsächlich riskiert Ford, dadurch weitere Marktanteile an die Hauptkonkurrenten Tesla und VW sowie chinesische Konzerne zu verlieren.
3500 direkt betroffene Kolleginnen und Kollegen stehen aktuell ohne Arbeit da. Keiner weiß bisher, wie die „Überbrückung“ finanziert werden soll.
Immer mehr Kolleginnen und Kollegen zweifeln daran, dass der Explorer überhaupt noch kommt und gehen davon aus, dass Ford das Ende der Fahrzeugfertigung am Kölner Standort eingeleitet hat. Sie verarbeiten ihre Erfahrungen mit der für Sommer 2024 geplanten Werkschließung des Ford-Werks Saarlouis. Dort fährt die Geschäftsleitung aus Angst vor einem unbefristeten selbständigen Streik seit Monaten eine Hinhaltetaktik: laufend neue Versprechen, es gäbe angebliche Investoren für das Werk. Immer wieder durchbricht die Belegschaft in Saarlouis die Abwartehaltung. Zuletzt wurde im Juni acht Tage kein Auto produziert aufgrund selbständiger Streikaktionen in einer Halle.
In Köln stellen sich viele die Frage, was die Zusage zum „Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2032“ wert ist. Die von Ford geplante Vernichtung von 2300 Arbeitsplätzen in der Entwicklung und Admin-Bereichen soll bis Ende 2023 „freiwillig“ über die Bühne gehen – doch nur eine Minderheit gibt bisher „freiwillig“ den Arbeitsplatz auf. Statt weiter abzuwarten, ist jetzt die Zeit, in die Offensive zu gehen und dazu die Verbindung zu anderen Belegschaften des Ford-Konzerns und der gesamten Automobilindustrie zu intensivieren. Die MLPD-Betriebsgruppe Ford tritt aktiv für die Vorbereitung eines selbständigen Streiks ein und schlägt als Forderungen vor: Kampf um jeden Arbeits- und Ausbildungsplatz – für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich als Konzernvereinbarung! Für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht.
In der Belegschaft wird darüber diskutiert. Viele Kolleginnen und Kollegen wissen, dass die MLPD das maßgebliche Know-how für solche Kämpfe hat. Alle selbständigen Streiks mit gesellschaftlicher Wirkung – sei es der große Bergarbeiterstreik 1997 oder der Kampf bei Opel in Bochum 2004 – waren und sind mit ihrer Tätigkeit verknüpft.
Dass rechte Funktionäre in der IG Metall genau jetzt zu einem Seminar „Linksradikale, antidemokratische Organisationen“ einladen, richtet sich vor allem gegen die Auslösung und Höherentwicklung eines solchen selbständigen Streiks und seine Verbindung mit der Perspektive des Sozialismus. Referent soll ausgerechnet ein Ex-Verfassungsschützer, der bekannte MLPD-Hasser Rudolf van Hüllen, sein. Dieses Seminar ist nur dazu da, die Belegschaft einzuschüchtern und zu spalten. Es soll gerade verhindern, dass sie in die Offensive geht und muss abgesagt werden.