Rote Fahne 19/2023

Rote Fahne 19/2023

Krieg, Vertreibung, Widerstand – ein Blick in die Geschichte von Helgoland

Rote Felsen im Meer, kleine Häuschen, Fischbrötchen und Meeresrauschen – das alles ist Helgoland, die einzige deutsche Hochseeinsel.

Von einem Korrespondenten aus Magdeburg
Krieg, Vertreibung, Widerstand – ein Blick in die Geschichte von Helgoland
Helgoland - nur der rote frühere Flakturm überstand die Bombardierung

Im Frühjahr brüten die Seevögel, die Robben haben Junge. Wir waren mit der Familie dort für ein Wochenende. Unbedingt sehenswert! Das gilt auch für die unterirdischen Bunkeranlagen. Die funzeligen Lampen in den Stollen werfen ein grelles Licht darauf, wie Kriege systematisch über Jahrzehnte vorbereitet werden. „Soweit wird es nicht wieder kommen“ – so denken noch viele Menschen. Aber steigen wir hinab in den Bunker und hören dem alten Helgoländer zu, der die Führung unserer Besuchergruppe übernommen hat.

 

Durch Treppen ging es abwärts. Der rote Sandsteinfelsen ist komplett durchzogen durch 14 Kilometer Stollen in mehreren Ebenen, mit großen Hohlräumen, und es gab früher auch eine unterirdische Lorenbahn. Das alles diente der Versorgung großer Kanonen, die eine Reichweite bis zu 50 km hatten. Helgoland war das Gibraltar der Nordsee.

 

Die Insel gehörte früher zu Großbritannien. Mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag von 1890 zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien kam es zum Deal: Aufgabe von kolonialen Besitzungen und Ansprüchen in Afrika im Tausch gegen Helgoland. Bereits 1891 begann der Ausbau als Seefestung.

 

Der Nord-Ostsee Kanal wurde von 1887 bis 1895 vor allem deshalb gebaut, um unbeobachtet und unbehelligt deutsche Kriegsschiffe von der Ostsee in die Nordsee verlegen zu können, ohne Dänemark umfahren zu müssen. Die deutsche Marine wurde hochgerüstet. Im August 1914 mussten die Einwohner Helgoland verlassen. Der Erste Weltkrieg begann, aber der eigentliche Kriegsgrund war nicht das Attentat auf den österreichischen Thronfolger. Es war nur der Anlass, denn alles war akribisch vorbereitet worden. Die Reichstagsabgeordneten der SPD, mit Ausnahme von Karl Liebknecht, unterstützten die Kriegshetze und waren der treue Gehilfe der Militärs. 70 Millionen Tote forderte der Krieg. Das siegreiche Großbritannien verplombte die Tunnel.

Verheerende Bombardements

Der Hitler-Faschismus rüstete Helgoland wieder auf und wollte dort einen gigantischen Hafen bauen, der die gesamte Flotte aufnehmen sollte – das Projekt „Hummerschere“. Die Alliierten bombardierten Helgoland in verheerenden Angriffen. Die Zivilbevölkerung hat weitgehend überlebt, weil die Bunker Schutz boten. „Auch mein Vater hat hier unten gesessen“ berichtete der Helgoländer. „Wer oben war, die Soldaten und Flakhelfer, die Zwangsarbeiter, die sind fast alle gestorben. Die Bunker wurden verschüttet, es dauerte zwei Tage, die Eingänge wieder freizumachen. Die Zustände waren unbeschreiblich.“ Im April 1945 wollten mutige Einwohner eine friedliche Übergabe der Insel erreichen. Sie wurden von der Gestapo verhaftet und die meisten hingerichtet. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Bevölkerung zum zweiten Mal vertrieben. Die Insel war unbewohnbar.

 

Die britische Armee sprengte 1947 die Südspitze des roten Felsens mit 6700 Tonnen Sprengstoff weg. Das nannten sie „Big Bang“, es war die größte nicht-atomare Explosion in der Geschichte. Flugzeuge der Royal Air Force bombardierten Helgoland von 1947 bis 1952 aus der Luft, zu Übungszwecken. Die Helgoländer waren auf dem Festland verstreut und verzweifelt. Sie protestierten 1948 bei der UNO. Zwei Studenten fuhren mit Unterstützung von Fischern im Dezember 1950 zur Insel, um die Bombardierung zu beenden. Die Presse berichtete international.

Antimilitaristischer Widerstand

Dem Widerstand der Jugend schlossen sich viele an. Auch der in ganz Deutschland aktive Jugendverband der KPD, die Freie Deutsche Jugend, die wegen ihres Widerstands gegen die Remilitarisierung 1951 in Westdeutschland verboten wurde. Der Protest hatte Erfolg. Voller Anerkennung sprach unser Guide über die Studenten und den antimilitaristischen Widerstand, der die schöne Insel gerettet hat. „1952 endete dann die Kriegstreiberei“, so sah er das. Die Helgoländer konnten zurückkehren und ihre Heimat wieder aufbauen.

 

Das ging allen an der Führung Beteiligten unter die Haut. Der Schrecken des imperialistischen Krieges wurde deutlich und war Thema der Gespräche. Der alte Helgoländer sprach über die Natur, über die Seehunde und Kegelrobben auf der Düne, der flachen Nachbarinsel. Dass es weltfremde „Naturschützer“ gibt, die sich hier nicht auskennen und die Einwohner belehren wollen, wie man mit den Robben umzugehen hat. Er sagte „Wir wurden zweimal vertrieben und werden keinen Meter Strand freiwillig aufgeben. Wir haben die Kanonen schon aufgestellt.“ Damit meinte er zwei kleine historische Kanonen auf der Düne. Einen rebellischen Geist konnte man ihm nicht absprechen.