Rote Fahne 19/2023

Rote Fahne 19/2023

Kapitalistische Weltwirtschaft: Düstere Wolken am Horizont

Die Weltwirtschaft kommt nicht aus der Überproduktions- und Finanzkrise heraus, Deutschland wird dabei immer mehr zum Schlusslicht. Im März träumte Kanzler Olaf Scholz noch von einem „Wirtschaftswachstum … wie zuletzt in der 1950er- und 1960er-Jahren“¹. Davon blieb nicht viel übrig. Jetzt gehen bürgerliche Ökonomen bereits „von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts ... in Höhe von 0,6 Prozent“ aus.² Eine Reihe von Konzernen planen neue Krisenprogramme auf dem Rücken der Belegschaften mit schönen Namen wie Strukturanpassungs-, Transformations- oder Performanceprogramm. Dabei werden „betriebsbedingte Kündigungen“ – sprich: Mssenentlassungen – in vielen Fällen nicht mehr ausgeschlossen. Mit einem Zehn-Punkte-Plan zur „grundlegenden Modernisierung“ will die Regierung den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ retten.³

Von rj
Kapitalistische Weltwirtschaft: Düstere Wolken am Horizont
Kämpferische Kolleginnen beim Stahlaktionstag in Duisburg

In der aktuellen Umfrage des ARD-Deutschlandtrend löste die Wirtschaftsfrage im August sogar die Umweltfrage in der Einschätzung als derzeit wichtigstes Problem ab. Gleichzeitig ist das Vertrauen in die Bundesregierung, diese Probleme lösen zu können, auf einen Tiefpunkt gesunken!⁴ Daran können auch schöne Worte wie „Modernisierung“, „Klimaneutralität“ und „Digitalisierung“ wenig ändern. Wollen Scholz und Co. uns ernsthaft weismachen, dass die deutsche Industrieproduktion nur deshalb bei gerade einmal 91 Prozent des Stands von vor fünf Jahren liegt, weil Deutschland nicht „modern“ genug ist? Immerhin stiegen die Bruttoanlageinvestitionen in den letzten 15 Jahren um 74 Prozent auf 872 Milliarden Euro.⁵

 

Was die Monopolverbände stört: In anderen Ländern wird die staatliche Umverteilung von unten nach oben noch unverfrorener forciert, um die Konzerne mit Milliardensummen zu subventionieren. So hat der „Inflation Reduction Act“ in den USA eine Höhe von 780 Milliarden US-Dollar ⁶. Die Bundesregierung reagierte darauf mit einem „Klima- und Transformationsfonds“, der die Investitionssumme von 211 Milliarden Euro umfasst. Es findet ein Hauen und Stechen statt, welcher Staat die führenden internationalen Konzerne noch besser puscht als der andere. „Modern“ ist demnach, den Konzernen gigantische Summen hinterherzutragen, auf Kosten eines verstärkten Abbaus sozialer Errungenschaften und eines beispiellosen umweltpolitischen Kahlschlags.

Ablenkung von den gesetzmäßigen Ursachen

Für das Andauern der Weltwirtschafts- und Finanzkrise und den tiefen Einbruch gerade in Deutschland gibt es viele Erklärungsmuster. „Russlands Angriffskrieg treibt auch in Deutschland die Preise nach oben“ und trifft damit „Konsumenten und Unternehmer“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Vernebelt werden so die widersprüchlichen Entwicklungen wie etwa zwischen der höchsten Inflation seit 70 Jahren für die breiten Massen und traumhaften Supergewinnen für die Öl- und Gasmonopole. Die westliche Sanktionspolitik gegen Russland erfolgte vor allem zu Lasten der deutschen Monopole. Während US-Konzerne davon meist profitierten, mussten deutsche Konzerne das billigere Gas aus Russland durch teures und extrem umweltschädigendes Frackinggas aus den USA ersetzen.

 

Die Verschiebungen untereinander erklären aber nicht, warum sich die Weltwirtschaft bereits seit fünf Jahren – seit Mitte 2018 – in einer Krise befindet, von der spätestens 2019 die überwältigende Mehrheit der imperialistischen und kapitalistischen Länder erfasst wurde. Ursache ist nicht irgendein äußerer Anlass, auch wenn ein solcher natürlich zur Vertiefung beitragen kann. Die tatsächliche Ursache liegt im kapitalistischen Wirtschaftssystem selbst. Hier treten gesetzmäßig immer wieder Überproduktionskrisen auf – so zuletzt 1991–1993, 2001–2003, 2008–2014. Sie sind Ausdruck des Grundwiderspruchs im Kapitalismus zwischen der gesellschaftlichen – und inzwischen hauptsächlich internationalisierten – Produktion und der privaten Aneignung durch das allein herrschende internationale Finanzkapital. Das Ergebnis sind Reallohnabbau und Entlassungen, aber auch wachsendes Elend auf der einen Seite und gigantische Berge überschüssigen Kapitals, das immer schwerer maximalprofitable Anlagemöglichkeiten findet, auf der anderen Seite. Das seit der Krise 2008–2014 zur Dauererscheinung gewordene staatliche Krisenmanagement konnte zwar zeitweise den tiefen Kriseneinbruch hinauszögern, aber nur um den Preis der Verlängerung der Krisendauer.

 

Da die in einer Überproduktionskrise typische Kapitalvernichtung so weitgehend ausbleibt, hat sich die Weltwirtschafts- und Finanzkrise seit Ende 2022 erneut vertieft. In fast zwei Dritteln der OECD-Länder ging die Industrieproduktion in mindestens zwei der drei letzten Quartale zurück. Dabei liegen die in den G7 zusammengefassten wichtigsten alten imperialistischen Länder im zweiten Quartal 2023 immer noch bei nur 97,2 Prozent des Vorkrisenstands der Industrieproduktion.

„Deindustrialisierung“ Deutschlands?

Während die USA sich im internationalen Konkurrenzkampf stärken konnte und 2022 China bei der Anzahl der internationalen Übermonopole wieder überholt hat⁷, ist Deutschland im Verlauf der Weltwirtschafts- und Finanzkrise im internationalen Konkurrenzkampf hinter andere imperialistische Länder zurückgefallen. Im Gleichklang mit CDU und AfD warnt der Monopolverband BDI vor einer „Deindustrialisierung“ Deutschlands.⁸ Tatsächlich ist Deutschland mit einem Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung von 27 Prozent aber weiterhin führend vor den USA und Großbritannien mit 18 Prozent.⁹ Die über die „Deindustrialisierung“ jammernden Monopole selbst sind es, die zur Steigerung der Ausbeutung und zur Eroberung neuer Märkte ihre Produktion ins Ausland verlagern. Bereits 2019 wurden etwa 70 Prozent der Pkw deutscher Hersteller im Ausland produziert.¹⁰ Zusammen mit den Folgen der Strukturkrisen in Verbindung mit der Digitalisierung und der Umstellung der Produktion auf E-Mobilität hat das schwerwiegende Folgen für die Industriearbeitsplätze in Deutschland.

Wem hilft der „Abbau der Bürokratie“?

Der jetzt veröffentlichte Zehn-Punkte-Plan von Scholz, Habeck und Lindner folgt in wesentlichen Fragen direkt den Forderungen der in Deutschland ansässigen internationalen Übermonopole und soll ihnen Vorteile im internationalen Konkurrenzkampf verschaffen – auf Kosten der Arbeiter und der Massen. Zu den 211 Milliarden Euro des „Klima- und Transformationsfonds“ kommen weitere Investitionsprämien und Steuererleichterungen im Umfang von mindestens 32 Milliarden Euro sowie gewaltige Aufrüstungsprogramme, die den Konzernen sichere Profite garantieren.

Mit dem „Abbau von Bürokratie“ ist nicht etwa die Entlastung der Arbeiter und Massen von seitenlangen Antragsformularen oder Wartezeiten bei Behörden gemeint, sondern der „Abbau von Investitionshemmnissen“ – sprich: Abbau von demokratischen Rechten, Datenschutz und Umweltschutzauflagen. Entsprechend lobt der Monopolverband BDA¹¹: „Der 10-Punkte-Plan der Bundesregierung ist überfällig und richtig.“¹²

Unsere eigene Rechnung aufmachen!

Die bürgerliche Ökonomie behauptet, dass wir in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise „alle in einem Boot sitzen“. Die „Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ Deutschland sei auch im Interesse der Arbeiter und der Massen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Ausspielen der Arbeiterinnen und Arbeiter der verschiedenen Ländern gegeneinander führt zu einer Spirale nach unten. Während die Kindergrundsicherung zusammengestrichen wird, werden die Subventionen für die Monopole in „Sondervermögen“ versteckt. Wir müssen mit der proletarischen politischen Ökonomie unsere eigene Rechnung aufmachen: Der Kampf um jeden Arbeitsplatz, um Lohnnachschlag, für die Verbesserung der sozialen Lage der Massen und notwendige Umweltschutzmaßnahmen muss auf Kosten der Profite in aller Härte geführt werden. Notwendig ist die länderübergreifende Förderung der Arbeiteroffensive. Um zukünftige Wirtschaftskrisen zu verhindern, gibt es nur ein wirksames Mittel: Die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der Aufbau der vereinigten sozialistischen Staaten der Welt.