Rote Fahne 18/2023

Rote Fahne 18/2023

Hamburger Aufstand – Bedrohung der „ersten Demokratie“?

Die Deutung des Hamburger Aufstands 1923 ist umstritten. Gefördert von der Landeszentrale für Politische Bildung heißt es in einer aktuellen Ausstellung: „Die Weimarer Republik war erst wenige Jahre alt und wurde sowohl von rechten wie von linken Gegnern in Frage gestellt und bekämpft.“ In das gleiche Horn bläst das Bundesamt für Verfassungsschutz: „In Deutschland haben wir erlebt, wie mit der Weimarer Republik die erste Demokratie von den rechten und linken politischen Rändern verachtet und bekämpft wurde und letztlich an ihrer Wehrlosigkeit zugrunde ging.“

Von usc / nh
Hamburger Aufstand – Bedrohung der „ersten Demokratie“?
Es waren revolutionäre Arbeiter und Soldaten, die 1918 demokratische Rechte und Freiheiten in Deutschland erkämpften (foto: Bundesarchiv, Bild 183-J0908-0600-002/CC-BY-SA 3.0)

Linke Gegner der Demokratie?

„Die erste Demokratie“, damit werden Bilder erzeugt. Der deutsche Kaiser gestürzt, demokratische Rechte und Freiheiten, Koalitionsrecht und Betriebsräte, Frauenwahlrecht, der Achtstundentag und vieles mehr. Nichts davon fiel aber vom Himmel, es wurde im Gegenteil in der Novemberrevolution 1918 von revolutionären Arbeitern und Soldaten hart erkämpft.

 

1920 bildeten über hunderttausend bewaffnete Bergleute die Rote Ruhrarmee. Sie brachten nach nur fünf Tagen den sogenannten Kapp-Putsch zu Fall und verhinderten damit, dass schon 13 Jahre vor Hitler eine faschistische Militärdiktatur errichtet wurde. Die „linken Gegner der Demokratie“ haben also in Wirklichkeit all die demokratischen Rechte und Freiheiten überhaupt erst erkämpft und mit ihrem Leben verteidigt. Die bürgerliche Geschichtsschreibung verklärt bürgerliche Demokratien wie die damalige Weimarer Republik oder die heutige Bundesrepublik zur besten Staatsform, die die Menschheit kennt.

 

Tatsächlich sind sie nur eine Herrschaftsform der Diktatur der Monopole. Wenn das Monopolkapital seine Herrschaft durch eine Revolution bedroht sieht, errichtet es gegebenenfalls die Herrschaftsform der offen terroristischen Diktatur, den Faschismus. Im Unterschied dazu verwirklicht die Diktatur des Proletariats im Sozialismus erstmals wirklich breite Demokratie für die Massen.

 

Die herrschende Geschichtsschreibung verschleiert mit ihrer Verklärung der bürgerlichen Demokratie die kapitalistischen Machtverhältnisse und diskreditiert die Revolutionäre. Der Faschismus wird damit gleichzeitig verharmlost. Die wahren Gegensätze verlaufen nicht zwischen einer angeblich goldenen demokratischen Mitte und den Feinden von links und rechts. Sie verlaufen zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Und an dieser Konfliktlinie toben die Kämpfe 1923.

Verrat der SPD verarbeitet

Mitte 1923 hatte sich eine revolutionäre Krise herausgebildet. Tiefe Wirtschaftskrise, acht Millionen Arbeitslose, Höhepunkt der rasenden Inflation. Die Massen wollten so nicht mehr leben und die Herrschenden konnten nicht mehr so regieren wie bisher.

 

Unruhen waren an der Tagesordnung, Massendemonstrationen und -streiks entwickelten sich besonders in Mitteldeutschland und Hamburg (siehe auch S. 18/19). Die großen Landbesitzer sabotierten die Lieferungen von Lebensmitteln gegen das wertlose Papiergeld und beschworen eine Hungerkatastrophe (siehe auch S. 18 / 19). Hungerdemonstrationen dagegen wurden von der Polizei blutig niedergeschlagen. Eine tolle „erste Demokratie“.

 

Zunehmend schauten die Arbeiter nach Osten.In der Sowjetunion wurde nicht nur der Zar gestürzt, sondern wurden auch die Kapitalisten entmachtet und der sozialistische Aufbau erfolgreich in Angriff genommen. In Deutschland blieben dagegen alle Kapitalisten, die den Ersten Weltkrieg befeuert und an ihm verdient hatten, weiter an der Macht. Die Kohlebarone im Ruhrgebiet, die Reeder in Hamburg,die Stahlproduzenten wie Krupp. 1918 gelang es rechten SPD-Führern noch, die Revolution zu verraten, ihr Einfluss auf die Arbeiter war noch groß. 1923 hatten diese zunehmend verarbeitet, dass die SPD-Spitze nicht irgendeine­ Demokratie, sondern die kapitalistische Herrschaft der Monopole verteidigt. Nachdem ein Generalstreik im August 1923 die reaktionäre Cuno-Regierung gestürzt hatte, ging die neue Regierung unter Mitwirkung der SPD zur gewaltsamen Unterdrückung über, hunderte kommunistische Funktionäre wurden verhaftet. Im September 1923 verhängte Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) den militärischen Ausnahmezustand. Die „gesamte vollziehende Gewalt“ ging auf den Reichswehrminister und die Heeres­leitung über. Das waren Schritte zur Errichtung ­ einer nur noch parlamentarisch getarnten Militärdiktatur. Eine Ausstellung, in der Friedrich Ebert als Feind der Demokratie bezeichnet wird, sucht man übrigens vergebens.

 

Die KPD war zur stärksten kommunistischen Partei in Europa geworden. Allein in Hamburg wuchs sie auf 18 000 Mitglieder an.

Isolierter Aufstand?

Am 23. Oktober begann der Hamburger Aufstand. Unter Führung der KPD eroberten die Arbeiter Waffen beim Überraschungsangriff auf 17 Polizeistationen. Sie errichteten Barrikaden in den Arbeiterstadtteilen. Heute wird die Legende über einen kleinen isolierten KPD-Aufstand verbreitet. Der O-Ton von Gustav Gundelach über die Zustände in Barmbeck zeigt dagegen lebendig den Charakter als Massenaufstand. „Die Bevölkerung nahm an diesen Verteidigungsmaßnahmen ... regen Anteil. Männer, auch ältere, und ganz besonders die Frauen halfen, Bäume heranzuschaffen und Steine zu häufen. Arbeiterfrauen sorgten dafür, daß die an den Barrikaden stehenden bewaffneten Kämpfer zu trinken und zu essen bekamen.“¹

 

Der Hamburger Aufstand scheiterte jedoch daran, dass in Sachsen und Thüringen sowie anderen Teilen Deutschlands der geplante Aufstand ausblieb, weil rechte Kräfte in der KPD-Führung davor kapitulierten.

 

Schon Karl Marx mahnte ernsthaft, niemals mit einem Aufstand zu spielen. Die Führung der KPD versagte in der Organisierung und Führung des bundesweiten Aufstandes. Die wichtigste Lehre des Hamburger Aufstands, wie der spätere KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann sie zog, ist brandaktuell: Das „Bestehen einer klaren, eisern zusammengeschlossenen, unauflöslich mit den breitesten Massen verbundenen kommunistischen Partei“.²