Rote Fahne 18/2023

Rote Fahne 18/2023

Der Kampf um die proletarische Einheitsfront und die „Arbeiterregierungen“ in Sachsen und Thüringen

Dem Hamburger Aufstand im Oktober des Revolutionsjahrs 1923 ging unter anderem auch die erstmalige Beteiligung der KPD an Landesregierungen in Sachsen und Thüringen voraus. Sie waren ein Ergebnis des rasch wachsenden Einflusses der Kommunisten, aber auch tiefer Widersprüche in der Sozialdemokratie.

Von fu/ms
Der Kampf um die proletarische Einheitsfront und die „Arbeiterregierungen“ in Sachsen und Thüringen
In Freiberg (Sachsen) ermordete die Reichswehr 34 demonstrierende Arbeiter (Bundesarchiv Bild 102-00189/Sachsen/"Vorgehen der Reichswehr gegen Kommunisten)

Der Aufschwung der Arbeiterkämpfe seit dem Frühjahr 1923 und die Angriffe des Monopolkapitals in Verbindung mit der galoppierenden Inflation lösten auch bei vielen sozialdemokratischen Arbeitern und Funktionären große Unzufriedenheit mit der Tolerierung der reaktionären Regierung unter Führung des parteilosen Monopolpolitikers Wilhelm Conu durch die rechten Parteiführer aus.

 

Die KPD verstärkte zugleich ihre Bemühungen um eine breite Einheitsfront – insbesondere mit der revolutionären Betriebsrätebewegung, der Bewegung der Kontroll- und Erwerbslosenausschüsse und der Bildung proletarischer Hundertschaften. In vielen Orten entstanden Erwerbslosenausschüsse, die für den gemeinsamen Kampf der Arbeitslosen mit den Betriebsbelegschaften eintraten. In den Kontrollausschüssen schlossen sich auch Angehörige kleinbürgerlicher Zwischenschichten und Kleinbauern mit Arbeitern und werktätigen Frauen gegen Preiswucher und Schwarzhandel zusammen.

 

Die proletarischen Hundertschaften waren örtliche Selbstschutzformationen gegen die wachsende faschistische und militaristische Gefahr. Die meisten wurden gegen den erbitterten Widerstand rechter VSPD-Führer¹ von kommunistischen, sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern gebildet. Die Einheitsfronttaktik sollte auch durch parlamentarische Bündnisse unterstützt werden.

KPD beschließt Eintritt in „Arbeiterregierungen“

Ein Höhepunkt der Herausbildung einer akut revolutionären Situation war der Generalstreik vom 11./12. August, der zum Sturz der Cuno-Regierung führte. Er ließ das Vertrauen der Massen in die KPD weiter wachsen. Die Mitgliederzahl der KPD erhöhte sich schnell. Im einem dreiviertel Jahr war sie um 50 Prozent auf fast 300 000 gestiegen. Der Kampfwille der Arbeiter war so groß, dass in vielen Orten die Arbeiterkämpfe auch nach dem Ende des Generalstreiks fortgesetzt wurden. Die Bergarbeiter streikten bis zum 25. August. Mit dem Aufbau der Aktionsausschüsse und der proletarischen Hundertschaften arbeitete die KPD ernsthaft auf den bewaffneten Aufstand und die Gewinnung der Massen für dieses Ziel hin.

 

Das war auch den Herrschenden nicht entgangen. Der Regierung Cuno folgte die nicht weniger reaktionäre Regierung unter Gustav Stresemann (DVP)¹. Präsident Friedrich Ebert (VSPD)² erklärte am 26. September den Ausnahmezustand und damit das Kriegsrecht. Gegen das Zurückweichen der linken sozialdemokratischen Landesregierungen in Sachsen und Thüringen vor dem Druck der reaktionären Kräfte forderten Kommunisten und viele sozialdemokratische Mitglieder und Funktionäre die Bildung entschlossener „Arbeiterregierungen“. Die Zentrale der KPD beschloss daraufhin Anfang Oktober den Eintritt kommunistischer Minister in beide Landesregierungen.

Unterordnung unter sozialdemokratische Kapitulation

Während die Regierungsbildung in Sachsen ohne bindende Abmachungen der beiden Parteien zustande kam, vereinbarten KPD und VSPD in Thüringen ein gemeinsames Regierungsprogramm. Es sah vor, dass die „Sicherstellung der Existenz der werktätigen Bevölkerung“³ Grundlage der Regierungspolitik sein sollte.

 

Geplant war der Aufbau gemeinsamer republikanischer Notwehren, die Unterstellung der gesamten Polizei unter zuverlässige Beamte, die Bekämpfung der faschistischen Organisationen und die staatliche Anerkennung der Kontrollausschüsse.

 

Doch dazu kam es nicht. Der Staatsapparat in beiden Ländern blieb unverändert. Die Polizei- und Justizorgane in Sachsen beteiligten sich an der Unterdrückung der kommunistischen Presse, während kommunistische Minister in der Regierung saßen.

 

Die linken sozialdemokratischen Führer beugten sich dem Druck ihres Parteivorstands und behinderten jede selbständige Aktion der Massen. Die kommunistischen Regierungsmitglieder ordneten sich dem ebenfalls unter, gefördert durch die rechtsopportunistische Konzeption der KPD-Führung, alle Massenbewegungen bis zum „Tag des Entscheidungskampfs“ abzubremsen“.⁴ Sie verzichteten darauf, ihre Regierungsposition im revolutionären Sinn auszunutzen.

 

Georgi Dimitroff, Generalsekretär des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, kritisierte diese Fehler auf dem VII. Weltkongress scharf: „... die Kommunisten, die sich an der Regierung beteiligten, hätten ihre Positionen vor allem zur Bewaffnung des Proletariats ausnützen müssen. Sie haben das nicht gemacht. Sie haben nicht einmal eine einzige Wohnung der Reichen beschlagnahmt. ... Sie unternahmen auch nichts, um die revolutionäre Massenbewegung der Arbeiter zu organisieren. Überhaupt verhielten sie sich wie gewöhnliche parlamentarische Minister im ‚Rahmen der bürgerlichen Demokratie‘.“⁵

 

Diese opportunistische Unterordnung war ein Hauptgrund dafür, warum die KPD-Führung unter Heinrich Brandler – zu dieser Zeit selbst Leiter der sächsischen Staatskanzlei – davor zurückwich, dem Hamburger Aufstand mit dem Aufruf zum bewaffneten Kampf auch in anderen Teilen Deutschlands zur Seite zu stehen. Auf Anweisung Eberts zerschlugen Reichswehrtruppen am 30. Oktober die „Arbeiterregierung“ in Sachsen und am 2. November die in Thüringen. Am 23. November wurde die KPD in ganz Deutschland verboten.