Rote Fahne 17/2023

Rote Fahne 17/2023

Was bleibt vom grünen Image der Ampel-Regierung?

Am 24. September 2021 gingen beim Aktionstag von „Fridays for Future“ (FFF) 620.000 Menschen in 470 Städten auf die Straße, zwei Tage vor der Bundestagswahl. Viele hofften, damit die Wahl im Sinne einer „ökologischen Wende“ zu beeinflussen. Und viele wählten aus dieser Hoffnung die Ampel-Parteien, oft gerade auch die Grünen. Doch statt „mehr Fortschritt zu wagen“, wie die neue Regierung es im Koalitionsvertrag versprach, sorgte sie für eine für den Planeten geradezu lebensgefährliche „Zeitenwende“ auch in der Umweltpolitik.

Von dr / ms
Was bleibt vom grünen Image der Ampel-Regierung?

Zum Kohleausstieg stand im Koalitionsvertrag: „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030.“¹ Schon mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges wurde das gecancelt. Plötzlich musste das vor den „Sicherheitsinteressen“ des Landes zurückstehen.


Mit dem Wechsel zu einem offenen Kriegskurs hat die Regierung alles der aggressiven NATO-Politik untergeordnet. Aus dem „beschleunigten Ausstieg“ wurde ein zeitweiliges Wiederhochfahren der Kohlekraftwerke und ein neuer Boom der Erdgasverbrennung. LNG-Terminals werden durchgepeitscht und schmutziges Frackinggas wird importiert, was die Grünen früher zu Recht heftig bekämpft hatten. Um das zu rechtfertigen, erteilte die „Ampel“ den LNG²-Terminals eine grüne Weihe, angeblich später für Wasserstoffimporte zu dienen. Inzwischen wächst der Widerstand vor allem im Ostseebereich (siehe Seite 17).

„Aufbruch“ beim Autobahnausbau


Große Worte auch zur Verkehrspolitik: „Wir wollen die 2020er-Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen.“³ Doch wie schon sein Vorgänger Andreas Scheuer von der CSU reißt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) in guter Tradition die für den Verkehrsbereich vereinbarten Klimaziele und weigert sich, irgendwelche konkreten Maßnahmen dagegen festzulegen. Im Gegenteil: Sein Fokus liegt auf Autobahnausbau und damit auf Förderung des Individualverkehrs.


Der größte Skandal: Im Klimaschutzgesetz wurde die Pflicht zur Einhaltung der Emissionsziele jedes einzelnen Sektors wie Industrie, Verkehr oder Gebäude kurzerhand aus dem Gesetz gestrichen. Dazu gehörte, bei Nichteinhaltung aus dem entsprechenden Sektor Sofortprogramme vorzulegen. Weg damit! Und das wird dann auch noch als edle Kollektivverantwortung verkauft. Mit 145 neuen Autobahnprojekten will man „jederzeit in der Lage sein, militärisch notwendige Transporte mit erhöhten Lasten“ aufzunehmen.⁴ Nichts bleibt damit von der geplanten Priorität auf dem Bahnausbau, der dringend forciert werden müsste, um die Umwelt zu schützen und das Bahnchaos zu beenden.

Artenschutz – von „Nachhaltigkeit“ keine Spur

Zum Artenschutz tönte die „Ampel“: „Wir wollen die biologische Vielfalt schützen und verbessern, ihre nachhaltige Nutzung sichern …“.⁵ Für internationalen Artenschutz stellt die Bundesregierung 1,25 Milliarden Euro bis 2025 zur Verfügung – angesichts der noch bescheidenen Forderung neokolonial abhängiger Länder von jährlich mindestens 100 Milliarden ein Tropfen auf den heißen Stein.


Statt das giftige und gesundheitschädliche Totalherbizid Glyphosat sofort zu verbieten, wurde die Nutzung bis 1.1.2024 erlaubt. Noch sind nicht alle Neonicotinoide, Insektizide, die Insekten, Bienen und Feldvögel töten, verboten. Angesichts des dramatischen Rückgangs der Insektenbestände unverantwortlich.

Umweltpolitischer Kahlschlag im Auftrag der Monopole

Das sind nur drei von vielen Beispielen, wie die mit grünen Versprechungen angetretene Bundesregierung auf breiter Front einen umweltpolitischen Kahlschlag organisiert. Dahinter stehen die internationalen Monopole, denen umweltpolitische Zugeständnisse angesichts des verschärften zwischenimperialistischen Konkurrenzkampfs längst viel zu weit gehen. Reibungslos hat die „Ampel“ den Wunsch der Chemie-, Gas- und Ölkonzerne nach „Energiesicherheit“ erfüllt und Einspruchsrechte von Naturschutzverbänden mit dem Energiesicherungs- und LNG-Beschleunigungsgesetz beschnitten.


Sie kommt damit auch der Hetze der „Klimaskeptiker“ und der faschistoiden AfD entgegen. Unter dem demagogischen Stichwort „Energiesicherheit und Preisstabilität herstellen“ forderte die AfD-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier vom 4.11.2022 unter anderem, „sämtliche stillgelegten, aber verfügbaren Kohlekraftwerke nebst inländischen Kohlebezugsquellen … wieder in Betrieb zu nehmen“, den „Weiterbetrieb … auch früher abgeschalteter Kernkraftwerke“ und den „Bezug von Gas in langfristigen, stabilen Verträgen“.


Für die Massen bedeutet dieses Festhalten an extrem umweltschädlichen Technologien alles andere als „Preisstabilität“. Sie mussten und müssen für den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke und den Ausbau der Erdgasverbrennung zeitweise horrende, aber immer noch extrem hohe Strom- und Gaspreise bezahlen. Die Monopole werden dagegen mit Steuergeschenken und billigem Strom versorgt (siehe Seite 18).

Das werden wir im Sozialismus anders machen

Im Gegensatz zum Imperialismus haben die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten das grundlegende Interesse, die gesellschaftliche Produktion, die Konsumtion und Lebensweise in Einklang mit der Natur zu gestalten. Jeden Tag liefert die Sonne das 5000-Fache des weltweiten Energiebedarfs und die Technologien für erneuerbare Energien sind heute weit entwickelt.


Doch der sozialistische Aufbau steht zukünftig auch vor der großen Herausforderung, mit den Schäden und der Bürde der globalen Umweltkatastrophe fertig zu werden. Bereits das Buch der MLPD „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“ kam 2014 zu der Schlussfolgerung: „Das strategische Ziel der Arbeiterbewegung, eine befreite Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, wird ohne Lösung der Umweltfrage nicht zu verwirklichen sein. Angesichts der drohenden globalen Umweltkatastrophe muss die Strategie zur Vorbereitung der internationalen Revolution erweitert werden.“⁶


Diese notwendige Strategierweiterung muss heute unter den Revolutionären der Welt dringlich entwickelt, diskutiert und umgesetzt werden.

Die Strategiedebatte weiter entfalten

Welche Schlussfolgerungen sollen aus der wachsenden Enttäuschung über den umweltpolitischen Kahlschlag der Ampel-Regierung und ihre gesamte Politik gezogen werden? Die ganze Entwicklung zur globalen Umweltkatastrophe ist vor allem ein höchst gewichtiges Argument, zielstrebig den echten Sozialismus zu erkämpfen. Seine Leitlinie wird der Aufbau einer neuen Gesellschaft in Einheit von Mensch und Natur sein.


Die wesentliche Schule dafür ist, den aktiven Widerstand für wirksame Sofortmaßnahmen zu verstärken, sich zu organisieren und dabei bewusstseinsbildend dem Sozialismus neues Ansehen zu verschaffen. Dafür sind gerade auch die bevorstehenden internationalistischen Highlights, die dritte Internationale Bergarbeiterkonferenz und der erste Weltkongress der antiimperialistischen Einheitsfront, hervorragend geeignet (siehe Seite 26/27).