Rote Fahne 15/2023

Rote Fahne 15/2023

Wie die Digitalisierung die Welt verändert

Digitalisierung – ein heiß diskutiertes Thema. Die Rote Fahne wird in loser Folge als Gastbeitrag die Artikelserie eines Korrespondenten veröffentlichen: Von den Anfängen der Digitalisierung bis zu ihrer heutigen Entwicklung. Hier die erste Folge

Von mz
Wie die Digitalisierung die Welt verändert
Die Digitalisierung ist ein enormer Sprung in der materiellen Vorbereitung des Sozialismus. Von allein und unter der Herrschaft des Kapitalismus Ausbeutung und Armut überwinden wird sie dagegen nicht: Bettler nehmen milde Gaben per Smartphone-App entgegen. (fotos: Foto: Shutterstock Free/1498571810pvproductions/Freepik; Twitter/Screenshot)

Wenn die Uber¹-Fahrerin Sudha Kara ihre Taxi-Fahrgäste durch die Häuserschluchten von Delhi fährt, geht ohne ihr Smartphone nichts mehr: Die Vermittlung von Fahrgästen läuft genauso über die Uber-App wie die Zahlungsabwicklung. Auch Google Maps ist im Verkehrschaos von Delhi für die 29-jährige unverzichtbar, weil es sie um die ständigen Staus herumlotst. Die App basiert auf der Auswertung der Position und Bewegung von Milliarden Smartphones, woraus in Echtzeit die weltweite aktuelle Verkehrssituation berechnet wird. Das machen die Hosentaschencomputer eigenständig, ohne direkte menschliche Beteiligung. Diese Kommunikation von Maschine zu Maschine (M2M), ein Gradmesser für die Automatisierung bisheriger menschlicher Kopfarbeit und Entscheidungen, überschreitet im Internet längst bei weitem die der Menschen untereinander. Die Maschinen berechnen sogar die voraussichtlichen Folgen ihrer Empfehlungen auf das Verhalten der Menschen mit ein, um möglichst keine neuen Staus zu produzieren.

 

Auf ihren Wegen durch die Metropole denkt Sudha in letzter Zeit öfter über die wachsende digitale Massenüberwachung nach. Die indische Regierung arbeitet an einem System computergesteuerter Gesichtserkennung über Millionen von Kameras im öffentlichen Raum. Im Identifizierungsprogramm Aadhaar sind bereits digitale Fingerabdrücke und Irisscans von über einer Milliarde ihrer Landsleute gespeichert – die größte biometrische Datensammlung der Welt.

 

Uber, der Konzern, für den die junge Fahrerin arbeitet, hat in wenigen Jahren ein Weltmonopol in der Taxi-Branche geschaffen, die noch vor kurzem rund um den Globus von örtlichen Familienunternehmen geprägt war. Über drei Millionen „Uber-Kollegen“ sind sie inzwischen weltweit, die 2020 auch schon über Ländergrenzen hinweg gemeinsame Kämpfe geführt haben.

 

Ihr Bruder Ranjid, einer von Indiens fünf Millionen IT-Beschäftigten, kennt gar nichts anderes als die weltweite Zusammenarbeit. Schon oft hatte er in ihren Gesprächen berichtet, wie er und seine Kollegen tagtäglich über Länder- und Konzerngrenzen hinweg auf Plattformen wie GitHub oder Stack Overflow die besten Lösungen für ihre Arbeitsaufgaben austauschen und gemeinsam ihre Werkzeuge verbessern. „Stell dir vor, die ganze Gesellschaft wäre so organisiert. In einer Welt, in der die Völker befreit und zum gegenseitigen Nutzen lebten“, hatte er neulich hinzugefügt.

Sorge um den Arbeitsplatz

Doch die heutige Anwendung im Kapitalismus, macht ihnen auch große Sorgen – über die Überwachung hinaus. Fasziniert hatten sie mit ChatGPT experimentiert, der auf maschinellem Lernen basierenden Software von Microsoft. Doch seit Ranjid sah, wie die Maschine die äußerst komplexen Abschlussprüfungen für Ärzte in den USA bestand oder in Sekunden Programmieraufgaben löste, für die er Jahre an Berufserfahrung benötigte, macht er sich auch Sorgen um seine Zukunft. Der Konzern, für den er arbeitet, würde sicher einige von ihnen durch eine solche „KI“ einsparen, wenn sich das rechnete. Gleiches würde auch für weitere Berufe stark formalisierter Kopfarbeit gelten – vom Radiologen bis zum Rechtsanwalt.

 

Unsere fiktive Geschichte reißt lediglich einen kleinen Teil der Fragen an, in denen die Digitalisierung die Welt verändert. Diese Serie will diese wissenschaftlich-technische Revolution lebendig aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten.

 

Wie funktioniert die Massenmanipulation durch Social Media und was machen Suchmaschinen mit unserem Denken? Was ist „künstliche Intelligenz“ und worin unterscheidet sie sich von der mensch­lichen? Welche Quantensprünge hat die Massenüberwachung und -manipulation durch Regierungen und Internetkonzerne gemacht und wohin führt das? Und vor allem: Was bedeutet die Digitalisierung für die materielle Vorbereitung der weltweiten sozialistischen Gesellschaft?

 

Die nächste Folge wird behandeln, was Digitalisierung eigentlich ist und wie sie entstanden ist. Wie sind wir in eine Welt gekommen, in der Mikrochips und Software einen immer größeren Einfluss auf die Weltwirtschaft haben? Oder mithilfe von KI-Algorithmen Gesetzmäßigkeiten der Proteinfaltung aufgedeckt werden, die aufgrund ihrer Komplexität für Menschen bisher unerreichbar waren? In der nächsten Folge werden wir diese Reise zur Zeit von Karl Marx beginnen, als Computer noch aus Fleisch und Blut waren – und meistens weiblich.

Wird fortgesetzt