Rote Fahne 12/2023

Rote Fahne 12/2023

„Wir arbeiten daran, dass die Proteste zusammenkommen“

Sanjay Singhvi ist ein führendes Mitglied der CPI–ML Revolutionary Initiative in Indien. Die Rote Fahne hatte Gelegenheit, mit ihm über die Proteste gegen die neuen Arbeitsgesetze in Indien zu sprechen

„Wir arbeiten daran, dass die Proteste zusammenkommen“
Den ganzen November 2022 über versammelten sich Arbeiterorganisationen in der Hauptstadt Delhi zum Protest gegen die volksfeindliche Politik der Modi-Regierung. Mit dabei auch die Gewerkschaft TUCI, Sanjay Singhvi (dritter von rechts) mittendrin. (foto: workersunity.com / screenshot)

Rote Fahne: Was kannst du uns über die neuen Arbeitsgesetze in Indien sagen?

Sanjay Singhvi: Die Definition von „Industrie“ wird durch diese Gesetze geändert. Das würde bedeuten, dass alle staatlichen Betriebe nicht mehr als Industriebetriebe gelten und entsprechend auch nicht mehr unter die bisherige Gesetzgebung fallen.Wir wissen noch nicht, was das alles für Folgen haben wird.

 

Der Schutz für Leiharbeiter wird reduziert. Das gleiche gilt für befristete Arbeiter und Gelegenheitsarbeiter. Das ist ein großer Angriff auf die Arbeiterklasse. Verschiedene Firmen versuchen aktuell, Zwölf-Stunden-Schichten durchzubringen. Aktuell ist es so, das alles, was über acht Stunden Arbeitszeit hinaus geht, als Überstunden gewertet wird. Diese werden doppelt bezahlt. Die Zahl der Überstunden im Quartal ist allerdings begrenzt.

 

Jetzt soll die Doppelbezahlung der Überstunden wegfallen. Es gibt verschiedene Begründungen dafür. Manchmal sagt die Regierung, dass man dann eine Vier-Tage-Woche einführen könnte. Das dient der Verwirrung der Arbeiterinnen und Arbeiter.

 

Seit 1946 gibt es in Indien ein Gesetz, das besagt, dass wenn deine Arbeit einen dauerhaften Charakter hat, du auch dauerhaft eingestellt werden musst. Jetzt versuchen sie, befristete Arbeitsverträge einzuführen. Damit wird das ganze Konzept der dauerhaften Anstellung infrage gestellt. Es soll nur noch befristete Arbeitsverträge geben. Diese befristeten Verträge können dann immer wieder verlängert werden – ohne Begrenzung.

 

Früher mussten alle Lohnfragen kollektiv ausgehandelt werden. Es gab keine Einzelverträge. Das haben sie jetzt geändert: Jetzt kann auch ein einzelner Arbeiter einen Tarifvertrag unterschreiben. Damit ist jetzt alles in der Hand des Managements. Das kann zum Beispiel bei einem Gewerkschaftsmitglied sagen: „Du bist Gewerkschaftsmitglied. Deinen Vertrag verlängern wir überhaupt nicht.“ Einem anderen können sie sagen: „Du bist kein Gewerkschaftsmitglied, hast aber auch nicht gut gearbeitet. Wir verlängern deinen Vertrag, aber du bekommst keine Lohnerhöhung.“ Zu einem Dritten können sie sagen: „Du warst loyal zu mir. Ich verlängere deinen Vertrag und gebe dir eine Lohnerhöhung.“

Gelten diese Gesetze denn bereits?

Sie wurden vom Parlament verabschiedet. Diese Gesetze beinhalten eine Klausel, dass sie dann inkrafttreten, wenn die Regierung sagt, dass sie gelten. Die Herrschenden in Indien wollten diese Gesetze eigentlich schon im letzten Jahr inkrafttreten lassen, aber es gab große Proteste dagegen – vor allem von der Gewerkschaft Trade Union Centre of India (TUCI). Aber auch die anderen Gewerkschaften haben große Demonstrationen dagegen auf die Straße gebracht.

 

Aufgrund dieser Proteste hat die Regierung damals gesagt: „Okay, wir setzen das jetzt noch nicht um.“ Da nächstes Jahr Wahlen sind, sind wir nicht sicher, ob sie es jetzt direkt umsetzen werden, da sie Angst davor haben müssen, die Stimmen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verlieren.

Welche Proteste gibt es aktuell?

Jede Gewerkschaft protestiert dagegen. Sie veröffentlichen Erklärungen, machen Sit-Ins und führen Demonstrationen und Kundgebungen durch. Es gibt Seminare etc. Außerdem gab es einen gesamtindischen Ein-Tages-Streik. In Indien sind die Gewerkschaften alle parteigebunden, und sogar die Gewerkschaft der Regierungspartei spricht sich gegen diese Gesetze aus.

 

Die Massen sind sich über diese Gesetze noch nicht richtig bewusst. Die TUCI hat jetzt eine Broschüre darüber herausgegeben. Sie macht deutlich, dass mit diesen Gesetzen jetzt das Heuern und Feuern wieder eingeführt werden soll. Die Arbeiterklasse ist in diesen aktuellen Protesten dabei, aber sie ist noch nicht vereinigt.

Wie arbeitet deine Organisation in diesen Protesten?

Wir haben den Kampf von Anfang an sehr ernsthaft unterstützt. Wir arbeiten in der TUCI, die ungefähr 150 000 bis 200 000 Mitglieder in ganz Indien hat. Wir haben die ersten Proteste organisiert. In meinem Heimatbundesstaat Maharashtra haben 35 Gewerkschaften zusammen protestiert. In Bengalen war es ähnlich. Aber es gibt noch keinen gemeinsamen landesweiten Protest. Wir arbeiten sehr hart daran, dass die Proteste zusammenkommen. Aber die TUCI ist von der Regierung noch nicht als zentrale Gewerkschaftsföderation anerkannt. Daran arbeiten wir noch.

 

Wenn es gelingt, die Kämpfe zusammenzuführen, dann bin ich ganz sicher, dass es gelingt, die Anwendung dieser Gesetze zu verhindern.

 

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg!