Rote Fahne 11/2023

Rote Fahne 11/2023

Inflation: Kein Ende in Sicht

War‘s das mit der Inflation?

Von (wb / ms)
Inflation: Kein Ende in Sicht

Discounter wie Aldi oder Lidl haben eine Preissenkungsoffensive gestartet. Gemüse kostete dadurch im April im Schnitt 7,5 Prozent weniger als noch im März. Die Preise für Butter sanken um 3,6 Prozent, die für Speiseöle um 3,0 Prozent.1 Das Kartellamt ermittelt jetzt sogar gegen Energieversorger, ob sie die „Energiepreisbremsen“ ausgenützt haben, um den Kunden zu viel Geld abzuknöpfen. Es heißt, die Preise purzeln. Wirklich?

 

Dass Strom-, Gas- und Spritpreise wieder sinken und teilweise auch die von Lebensmitteln, bringt spürbare Entlastung.  Den Herrschenden ist nicht entgangen, dass viele Menschen stinksauer über die Super-Inflation waren – und noch mehr darüber, dass zuletzt immer mehr Fakten bekannt wurden, wie die Konzerne ihre Gewinne mit Preiserhöhungen gigantisch in die Höhe trieben. Nachdem die MLPD die „Raubpreise“ der Monopole von Anfang an attackierte, schlugen im Februar dann die Verbraucherzentralen anlässlich der „Energiepreisbremsen“ Alarm, „dass mancher Anbieter offensichtlich versucht, abzukassieren und völlig überhöhte Abschläge durchzudrücken“.2 Ein Branchenexperte des Kreditversicherers Allianz Trade meldet im April: „Wir beobachten, dass … Lebensmittelhersteller hungrig nach Profiten sind. Sie haben die Preise wesentlich stärker erhöht als Einzelhändler.“3 Die breite Empörung darüber und die wachsende Kapitalismuskritik sind auch der Hauptgrund, warum das Kartellamt gegen die Energieversorger aktiv wird. Kartellamtspräsident Andreas Mundt sieht immerhin „Anhaltspunkte dafür, dass die zugrundeliegenden Preise gegenüber den Endkunden sachlich nicht gerechtfertigt sein könnten“.4 Seine leise Vermutung lässt nicht gerade ein entschlossenes Ermittlungsverfahren erwarten. Das „gewaltige“ Sinken der Inflationsrate von 8,8 Prozent im letzten Oktober auf 7,2 Prozent im April ist auch nur ein relativer Rückgang im weiteren Anstieg der Inflation. Gegenüber 2020 summiert sich allein der offizielle – wenn auch geschönte – Preiszuwachs auf mindestens 18 Prozent.5 Und bei vielen Waren, die man tagtäglich kaufen muss, liegt die Inflationsrate noch weit über dem statistischen Durchschnitt. Für Zucker zahlt man bei Aldi immer noch 1,49 Euro für ein Kilogramm statt 79 Cent wie noch im letzten September. Käse und Quark waren im April um 39,7 Prozent teurer als im Vorjahr, Margerine und Pflanzenfett um 37,3 Prozent.6

 

Nach einer Forsa-Umfrage hat etwa jeder siebte Verbraucher (14 Prozent) bereits von Anfang September bis Anfang Dezember 2022 einen Dispokredit genutzt oder das Konto überzogen. Der Dachverband „Tafel Deutschland“ verzeichnete von Januar bis Ende Oktober 2022 einen Anstieg der bedürftigen Menschen um 50 Prozent auf etwa zwei Millionen.7

 

Der Trick mit der offiziellen Inflationsrate

 

Allerdings verfälscht die offizielle Statistik die tatsächliche Lage eines großen Teils der Verbraucher (siehe auch Seite 21). Die Gesellschaft zur Förderung wissenschaftlicher Studien zur Arbeiterbewegung (GSA e.V.) kam bei eigenen Berechnungen im letzten Jahr auf eine reale Jahresinflationsrate für eine vierköpfige Arbeiterfamilie mit Auto von über 20 Prozent. Das ganze ist ein Lehrstück über bürgerliche Meinungsmanipulation. 

 

Aber auch dafür liefert die Theorie von der „gefühlten Inflation“ eine Erklärung: „Im Gegensatz zur gemessenen Inflationsrate, der die Preise für einen allgemeinen Warenkorb zugrunde liegen, basiert die gefühlte Inflation auf etwas anderem: der vom Konsumenten subjektiv wahrgenommenen Preisveränderung der bevorzugt erworbenen Güter oder Leistungen.“8 Allerdings ist die Ebbe in unserem Geldbeutel alles andere als „gefühlt“, sondern sehr real.

 

„Lohn-Preis-Spirale“ oder „Preis-Lohn-Spirale“?

 

Auch die Behauptung, „Löhne und Preise treiben sich … gegenseitig immer weiter in die Höhe“, wird durch ständige Wiederholung nicht glaubhafter. Dass die „Gewerkschaften … lieber von einer Preis-Lohn-Spirale“ sprechen, „um klarzumachen, dass ihre Lohnforderungen nicht der Auslöser“9 sind, trifft die Realität allerdings auch nicht. Von einer „Spirale“ kann überhaupt keine Rede sein. Vielmehr hinken die Löhne den Preisen hoffungslos hinterher. Während die Preise 2022 in Deutschland offiziell um 7,9 Prozent stiegen, nahmen die Nominallöhne im Jahresdurchschnitt gerade mal um 2,6 Prozent zu. Nach Karl Marx
„erfüllen  die Arbeiter bloß eine Pflicht gegen sich selbst und ihren Nachwuchs“, wenn sie den Kampf gegen „die erhöhten Werte der Lebensmittel“ mit dem Kampf um höheren Lohn „kompensieren“ würden.10 Recht hat er!

 

Bürgerliche Ökonomen entdecken die „Gierinflation“

 

Weil das Märchen von der „Lohn-Preis-Spirale“ immer weniger zieht, ist jetzt von einer „Gierflation“ die Rede: „Die Unternehmen würden sich an den aktuellen Gegebenheiten bereichern und die Preise künstlich anheben, mehr als nötig, um ihre Gewinne zu optimieren.“11 Die Analyse von der „Bereicherung“ trifft den Nagel auf den Kopf. Allerdings ist das Streben nach maximalem Profit keine Spezialität besonders „gieriger“ Konzerne oder der aktuellen Situation, sondern eine Gesetzmäßigkeit im heutigen staatsmonopolistischen Kapitalismus. 

 

Haupttreiber für die Inflation ist heute die Kapitalspekulation. Die chronisch gewordene Überakkumulation des Kapitals macht es für die Konzerne immer schwieriger, ihr Kapital maximalprofitbringend anzulegen. Weil  die Hoffnungen auf einen Wirtschaftsaufschwung schwanden, erlebten die Börsenkurse seit Beginn 2022 einen rasanten Rückgang. Mit Wucht drängte das spekulative Kapital immer mehr in den außerbörslichen Handel mit Rohstoffen, Energie und Lebensmitteln beziehungsweise davon abgeleiteten Derivaten. Deren Nominalwert stieg von 510 Billionen Euro im ersten Halbjahr 2018 auf 607 Billionen Euro im ersten Halbjahr 2022. So wurden 2019 in den USA und Europa Termingeschäfte über fünf Milliarden Tonnen Weizen abgeschlossen, während die gesamte Weizenernte nur ein Siebtel dieser Menge betrug.

 

Mit solchen Geschäften ist die Spekulation zum dauerhaften Treiber der weltweiten Inflation geworden. Dagegen sind auch die Zinserhöhungen der EZB relativ wirkungslos. Ein Ende ist nicht abzusehen. Das ist zugleich eine wesentliche Ursache für Verwerfungen in zahlreichen Ländern der Welt, sprunghafte soziale Verarmung und gesamtgesellschaftliche Krisen. Die Ursachen der Inflation können genauso wie die der Umweltzerstörung und imperialistischen Kriegstreiberei erst im Sozialismus abgeschafft werden. Dann können Preise bei wachsender Arbeitsproduktivität sogar gesenkt werden, kann die Produktion aller notwendigen Güter proportional und planmäßig im Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen und der Natur entwickelt werden.