Rote Fahne 09/2023

Rote Fahne 09/2023

Bessere medizinische Versorgung durch Datenfreigabe?

Ein Beitrag zur elektronischen Patientenakte und Karl Lauterbachs Digitalisierungsstrategie

Von Dr. Willi Mast, Gelsenkirchen
Bessere medizinische Versorgung durch Datenfreigabe?
Allseitige und weitgehend kostenlose gesundheitliche Versorgung für die Massen erfordert eine wissenschaftliche Medizin im Sozialismus, Foto: Pixnio / CC0

Seit 2021 können Patienten von ihrer Krankenkasse eine elektronische Patientenakte (ePA) anfordern – und über eine App per smartphone verwalten. Die Nachfrage war bisher gering. Viele Patienten und Ärzte sehen den Schutz sensibler Gesundheitsdaten gefährdet.

 

Mit einem Konzept zur Digitalisierungsstrategie versucht Gesundheitsminister Karl Lauterbach jetzt mit der Brechstange, die Datenfreigabe für die ePA durchzusetzen. Die Dienstleister müssen die ePA mit Daten „befüllen“. Patienten haben nur noch Widerspruchsrecht. In einem „europäischen Gesundheits-Datenraum“ sind die Daten dann für „Akteure“ zu Forschungszwecke aufrufbar.

 

„Digitales Gesundheits Ökosystem“

 

Als Ziele einer „Vision 2030“ werden genannt: Patienten-Souveränität, Verbesserung der Versorgungsqualität, Steigerung der Wirtschaftlichkeit – und ein „digitales Gesundheits-Ökosystem“.

 

Nach Meinung von kritischen Datenschützern werden damit die Anbieter von Gesundheitsleistungen, Krankenkassen, staatliche Behörden, Pharma-, Internet- und Technologie-Monopole und auch Geheimdienste über kurz oder lang Zugriff auf alle persönlichen Gesundheitsdaten bekommen. Es bleibt die Frage: Wie viel Grundvertrauen muss man in diese ­„Akteure“ haben, um seine Daten preiszugeben?

 

Wirtschaftlichkeit – für wen?

 

Wirtschaftlich rechnen wird sich diese Digitalisierungsstrategie für diese Monopole. Für Ärzte und Krankenhäuser ist die wirtschaftliche Bilanz widersprüchlich: Die Digitalisierung kann zwar zahlreiche Abläufe vereinfachen, beschleunigen und verbessern. Sie ist aber auch mit einem großen finanziellen und personellen Mehraufwand verbunden.

 

Das erklärt auch den jahrelangen ­Widerstand der Kassenärzte gegen die störanfällige Anbindung an die „Telematik-Infrastruktur“ und gegen immer höhere Anforderungen an die digitale Ausstattung.

 

Wenn zig Milliarden Gelder und immer größere Ressourcen des Gesundheitssystems für eine Digitalisierungsstrategie im Profitinteresse der Monopol fließen, dann verbessert sich damit auch nicht automatisch die Versorgungsqualität. Im Gegenteil: Diese Gelder fehlen in der medizinischen und pflegerischen Versorgung.

 

Mit Begriffen wie „digitale Medizin“ und „künstliche Intelligenz“ soll der Eindruck erweckt werden, als könnten die Anhäufung und mathematische Verarbeitung von unendlichen Datenmengen eine bessere Medizin hervorbringen.

 

Digitalisierung als „Monster“ der bürgerlichen Medizin …

 

Die bürgerliche Ideologie des Pragmatismus und Positivismus, die unter anderem zu einer Flut von Daten, Einzelerkenntnissen und Statistiken führt, hat die bürgerliche Medizin in eine tiefe Krise manövriert.

 

Das wird auch von Vertretern der Mediziner-Elite eingeräumt, wie dem führenden Epidemiologen J. Ioannidis in einem Offenen Brief: „Was für Monster haben wir da erschaffen? ... Wir bejubeln Leute, die gelernt haben, Geld aufzusaugen, ihre Arbeit mit der besten PR aufzublasen, immer bombastischer und weniger selbstkritisch zu werden. Das sind die wissenschaft­lichen Helden des 21. Jahrhunderts.“1

 

Das Desaster dieser tiefen Krise der bürgerlichen Medizin wird in dem neu erschienenen Buch „Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft“ von Stefan Engel zutreffend analysiert. Es liefert auch gute Argumente für die Diskussion um die ­Digitalisierung der Medizin.

 

… und als Baustein einer sozialistischen Medizin

 

Unter den herrschenden Bedingungen muss man eine digitale Patientenakte und Lauterbachs Digitalisierungs-Stra­tegie ablehnen – ohne aber die positiven Potenziale der Digitalisierung zu verleugnen – in einer künftigen Medizin und einer künftigen sozialistischen Gesellschaft.

 

Wenn digitalisierte Patientendaten ausgetauscht und im Sinne einer besseren Therapie und Forschung verwendet werden, werden sie zu einem Baustein einer neuen Medizin und einer allseitigen medizinischen Humanwissenschaft.