Rote Fahne 08/2023

Rote Fahne 08/2023

Griechenland: Das Volk in Aufruhr

Seit dem verheerenden Zugunglück am 1. März in Mittelgriechenland (Tembi) mit 57 Todesopfern und vielen Verletzten reißen die Massenproteste nicht ab. Ein Korrespondent berichtet

Von Gelsenkirchen (Korrespondenz)
Griechenland:  Das Volk in Aufruhr
Kein Traum bleibt halb, steht auf diesem Grafito – und das griechische Volk steht auf für seinen Traum von einem Leben in Freiheit und Würde

Die Tragödie von Tembi hat alle ­Herzen in Griechenland zum Bluten gebracht, schockierte und schockiert immer noch das ganze griechische Volk. Die Menschen prangern die regierenden Parteien der letzten zehn Jahre, ihre Politik der Privatisierung und des Verzichts auf den Schutz der Bevölkerung, als die Hauptschuldigen an.

 

Das spürt man in jedem Gespräch. Selbst die Kinder, die sich an den Demon­strationen beteiligten, trugen Transparente mit den Losungen „Ihr tötet Kinder und Jugendliche, Mörder.“ Als Eltern merkten, dass die Direktoren die Schul­streiks verbieten wollten, gingen die Eltern in die Schulen und holten ihre Kinder raus.

 

Brutale Gewalt gegen das eigene Volk und gegen die Arbeiterklasse: Mit Schlägen, Chemikalien und Feuerwerkskörpern ging die Regierung gegen die Massenstreiks und Demonstrationen vor. Es ist eine neue Qualität, wenn die reaktionären Kettenhunde auf einer Demonstration mit Zehntausenden in Arbeiterblocks reinstürmen und zuschlagen.

Die Hauptschuldigen sitzen in der Regierung

Als Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis anfing, die Schuld auf die Arbeiter abzuschieben, löste er eine Welle der Abrechnung mit dieser rechten Regierung aus. Es entfachten sich die größten Proteste seit zwölf Jahren. 30 Prozent der Bevölkerung, also 2,5 Millionen Menschen – ohne die Demonstrierenden unter 17 Jahren – haben seit dem Verbrechen in Tembi an den Protesten und Streiks teilgenommen. Gewerkschaften zahlen kein Streikgeld. Jeder Tag Streik bedeutet einen Tag ohne Lohn. Das zeigt die Entschlossenheit der Kolleginnen und Kollegen.

 

64 Prozent der Bevölkerung geben den Parteien SYRIZA und PASOK die Schuld am derzeitigen Zustand der Eisenbahn. 58 Prozent glauben, dass die Privatisierung der Eisenbahngesellschaft OSE „sehr“ und „ziemlich“ für den Unfall verantwortlich ist.1

 

Zusätzlich zu den politischen Forderungen der Massen gegen die Privatisierung und die Vertuschungsversuche griechischer Politiker prangern die Arbeiter die Missstände bei der Arbeitssicherheit und die vielen tödlichen Arbeitsunfälle im ganzen Land an.

 

Die Menschen leiden unter der Inflation. Die Preise für Gas sind um 37,1 Prozent gestiegen. Milchprodukte und Eier sind um 25,2 Prozent, Öl und Fette um 22,9 Prozent, Fleisch um 22 Prozent und Brot und Getreide um 16,8 Prozent teurer geworden. 624 545 Steuerzahler mit überfälligen Schulden beim Staat laufen Gefahr, dass ihre Löhne, Renten, sonstigen Einkünfte und Bankguthaben gepfändet werden.

Milliarden für den Krieg

Gleichzeitig sehen die Menschen, wohin das Geld geht. Griechenland hat im imperialistischen Krieg in der Ukraine eigene imperialistische Interessen. Das griechische Finanzkapital hat großen Einfluss auf die Banken im Balkan und auch in der Ukraine und bestimmt mit die kriegerische Politik Selenskyjs.

 

Griechenland ist Spitzenreiter bei den Militärausgaben für euro-atlantische Projekte. 7,4 Milliarden Euro für NATO-Ausrüstung, aber keine 50 Millionen für die Instandhaltung der Eisenbahn. Griechenland steckt tief in diesem imperialistischen Krieg in der Ukraine:

 

Panzerabwehrgeschütze in Bulgarien gesteuert durch die griechische Armee; Nachrichten-, Überwachungs- und Aufklärungsmissionen, zum Beispiel mit den acht MQ-9 Reaper-Drohnen der USAFE in Larissa. US-Marine-Kooperationsflugzeuge starten von Souda aus. Griechische Radarflugzeuge patroullieren häufig die Achse Varna-Burgas in Bulgarien und überwachsen das Schwarze Meer. Griechenland ist Drehscheibe für den Krieg. Das bereitet dem griechischen Volk große Sorgen.

 

Das alles sind die Ursachen, die diese Proteste auslösten und zur Arbeiteroffensive führten. Im Mai, bei den anstehenden Wahlen, dürften Mitsotakis und Co. vor allem bei den jungen Wählern ein historisches Debakel erleben, zumal erstmals auch 17-Jährige daran teilnehmen dürfen.