Rote Fahne 07/2023

Rote Fahne 07/2023

„Schutzsuchende zu kriminalisieren, ist unsäglich“

Birgit Naujoks ist Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW. Die Rote Fahne sprach mit ihr über die reaktionäre Verschärfung der Asylpolitik der Regierung

„Schutzsuchende zu kriminalisieren, ist unsäglich“
Stimme erheben gegen rechte Hetze und reaktionäre Flüchtlingspolitik – ein Markenzeichen von MLPD und REBELL (Antikriegstag 2017 in Gelsenkirchen)

Rote Fahne: Wir erleben aktuell eine reaktionäre Kampagne gegen Geflüchtete. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

 

Birgit Naujoks: Die in vielen Bereichen restriktiver werdende Gesetzgebung sowie die politische Ausrichtung hin zu immer weiterer Abschottung und Externalisierung halte ich für sehr gefährlich. In erster Linie haben die Betroffenen, nämlich die Schutzsuchenden, darunter zu leiden, indem sie in ihren Rechten beschränkt werden, Diskriminierungen und teilweise Rassismus ausgesetzt sind und ihnen ein wirkliches Ankommen hier sehr erschwert wird. Eine solche Entwicklung ist aber auch gesamtgesellschaftlich extrem problematisch. Die Beschaffenheit und Haltung einer Gesellschaft zeigt sich am Umgang mit den „schwächsten“ Mitgliedern - und dazu gehören Schutzsuchende, insbesondere jene mit einem prekären Aufenthaltsstatus.

 

Es gibt für die meisten Geflüchteten kaum noch legale Möglichkeiten, nach Europa zu kommen. Gleichzeitig heißt es, dass „illegale Einreisen“ verhindert werden sollen.

 

Der Versuch, Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen und Schutzsuchende zu kriminalisieren, ist unsäglich. Eine Aussage, die darauf zielt, dass „irreguläre Migration stärker bekämpft werden müsse, damit sich die hiesigen Strukturen auf die Integration ukrainischer Flüchtlinge konzentrieren können“, geht inhaltlich fehl und dient der Stimmungsmache gegenüber Asylsuchenden. Unter anderem aufgrund der Visumspflicht für Staatsangehörige der meisten Länder haben Asylsuchende zumeist nicht die Möglichkeit, legal nach Deutschland einzureisen. Gleichwohl ist Deutschland verpflichtet, sie aufzunehmen und ihnen ein Prüfverfahren zu ermöglichen. Die unerlaubte Einreise ist keine Straftat, sondern die einzige Möglichkeit, den notwendigen Schutz zu bekommen. Die Abschottungsmaßnahmen auf EU- und nationaler Ebene gefährden den völkerrechtlich verbindlichen Flüchtlingsschutz.

 

Welche Möglichkeiten seht ihr, die Kräfte gegen die reaktionäre Kampagne zu bündeln?

 

Es ist aufgrund vieler Faktoren nicht einfach, große Bündnisse zu bilden, die im besten Fall auch noch Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen könnten. Immer wieder bilden sich Bündnisse, zum Beispiel im Rahmen gemeinsamer Appelle, um Forderungen aufzustellen beziehungsweise auf Missstände hinzuweisen. Durchaus sind auch Vertreterinnen der Flüchtlingsbewegung in Medien vertreten, auch immer wieder mit Statements, Interviews und so weiter im Rahmen von Talkshows allerdings eher selten. Anfang März war Tareq Alaows, Flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, bei „Hart aber fair“ zu Gast. Es ist wichtig, dass jeder in seinem Umkreis die Stimme gegenüber rechter Hetze und Stimmungsmache gegenüber Schutzsuchenden erhebt. Auch dies zeigt, dass die Solidarität mit Schutzsuchenden in unserer Gesellschaft groß ist. Ansonsten ist es gut, wenn Initiativen vor Ort aktiv werden, um beispielsweise Ratsbeschlüsse zu einem klaren Bekenntnis für die Aufnahme von Schutzsuchenden und ähnliches zu erwirken.

 

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für eure Arbeit!