Rote Fahne 06/2023

Rote Fahne 06/2023

Kontinuierliche und diskontinuierliche Materie

Beim Studium des neuen Buchs von Stefan Engel „Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft“ sorgen unter anderem die Ausführungen zur kontinuierlichen und diskontinuierlichen Materie1 für Diskussionsstoff. Damit hat sich auch Willi Dickhut2 bereits in seinem 1987 veröffentlichten und Anfang der 1940er-Jahre verfassten Buch „Materialistische Dialektik und bürgerliche Naturwissenschaft“ befasst. Seine Ausführungen sind eine Hilfe für das Verständnis – hier ein Auszug3

Kontinuierliche und diskontinuierliche Materie
„Unser“ Spiralnebel Milchstraße: für uns unermesslich groß, aber messbar – diskontinuierliche Materie, Foto: Lukas Schlangenhauf / CC BY-ND 2.0

„Die Welt ist die gesetzmäßige Bewegung der Materie“, sagt Lenin, „und unsere Erkenntnis als höchstes Produkt der Natur ist nur imstande, diese Gesetzmäßigkeit widerzuspiegeln.“ (Lenin, Werke, Bd. 14, S. 165)

 

Energie, Licht und Elektrizität sind Erscheinungsformen dieser gesetzmäßigen Bewegung der Materie. Die ganze objektive Wirklichkeit ist Materie, und alle Formen der objektiven Welt sind aus Materie entstanden; alle Dinge dieser Welt sind materielle Dinge. Die Elementarteilchen sind Entwicklungsprodukte aus der kontinuierlichen Allmaterie. Es sind Konzentrationspunkte, abgezirkelt, begrenzt, erkennbar und meßbar, abgeschlossene, doch entsprechend den Energiezuständen relative Größen, die Umwandlungsprozessen unterworfen sind. Wie die Luft alle Zwischenräume zwischen den wirbelnden Staubteilchen ausfüllt, die Staubkörnchen gewissermaßen in der Luft eingebettet sind, so füllt eine unvorstellbar feine, alles durchdringende Materie alle Zwischenräume, sowohl zwischen den Molekülen wie auch innerhalb des Atoms. Wie die Sterne Konzentrationspunkte im Makrokosmos sind, so sind die Elementarteilchen im Mikrokosmos Konzentrationspunkte innerhalb einer Substanz, die unvorstellbar ist, unendlich, kontinuierlich: Das ist der Weltäther.

 

Unendlich? Kontinuierlich? Nur Unterschiede können wir wahrnehmen, können wir messen. Nur für uns erkennbare Unterschiede geben Form, Gestalt, sind meßbar. Nur in bezug auf andere Dinge können bestimmte Dinge festgestellt werden. Die Materie, obwohl in der universellen Einheit absolut, tritt in ihren verschiedenen Formen, wie wir sie kennen, relativ auf. Gleichförmigkeit ist unseren Sinnen verschlossen. Woran sollten wir sie auch erkennen? Es gibt nichts, wo wir anknüpfen können, nichts zum Vergleichen. … Ohne erkennbare Gestalt, ohne feststellbare Grenzen, ohne allen wahrnehmbaren Wechsel, nur Gleichförmigkeit, das ist die Allmaterie, die Ursubstanz aller Dinge – kontinuierliche Materie. Das ganze Universum erfüllend, unendlich an Ausdehnung, in der die Spiralnebelwelt nur eine winzige Etappe darstellt, unvorstellbar, unfaßbar – das ist eine Richtung der Unendlichkeit, Unendlichkeit zum Makrokosmos!

 

Alles durchdringend, alle Zwischenräume erfüllend – eine unvorstellbar feine Materie! Fein? Wie fein? Etwa wie ein Stern im Verhältnis zum Elektron, so vom Elektron zur Allmaterie? Das wäre unsinnig, das würde ja Grenzen voraussetzen, erkennbare und meßbare. … Äther als Allsubstanz ist ohne fertige Teilchen, und darum ist „fein“ nicht der richtige Ausdruck, jede Anschaulichkeit versagt hier. Erkennbare Teilchen heißt Unterbrechung, der Weltäther ist jedoch ein ununterbrochener Fluß – kontinuierlich. Ohne erkennbare Teilchen, das heißt ohne erkennbare Form, ohne feststellbare Grenzen. Fein und sollte es noch so klein, so über alle Begriffe winzig sein, hat irgendwie eine Grenze. Kontinuierlich, ohne erkennbare Gestalt und Grenzen, das ist Unendlichkeit, ebenfalls unvorstellbar – eine zweite Richtung der Unendlichkeit, Unendlichkeit zum Mikrokosmos.

 

Was ist Äther?

 

Dazu heißt es im Buch „Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft“ (S. 25/26):

 

„Der Gedanke einer unendlichen, ,kontinuierlich‘ genannten Materie kam unter Naturforschern schon früh auf ... Man vermutete eine Art feinsten Mediums, den Äther, in dem sich die Lichtwellen vergleichbar den Wasser- oder Schallwellen ausbreiten. Die mechanische Vorstellung, der Äther wäre selbst eine bewegungslose, ruhende Wolke im Raum, wurde durch ein berühmtes Experiment von Michelson und Morley in den Jahren 1881 und 1887 widerlegt.

 

In der Folge wurde die physikalische Vorstellung vom Äther verworfen.

 

Diese Vorstellung vom Äther hatte aber einen weltanschaulich bedeutsamen Kern! Er bestand darin, die idealistische Auffassung von der »Leere« als Abwesenheit von Materie zu bestreiten.

 

Statt nur die widerlegten konkreten physikalischen Annahmen zum Äther zu verwerfen, verbannte jedoch die Mehrzahl der Physiker den Ätherbegriff nicht nur aus der Physik, sondern auch aus der Weltanschauung.

 

Damit bestritten sie die Existenz der unendlichen, der kontinuierlichen Materie und beschränkten sich auf ihre messbaren, diskreten, diskontinuierlichen Formen.