Rote Fahne 05/2023

Rote Fahne 05/2023

Arbeiterwiderstand gegen Ruhrbesetzung und deutsche Reaktion

100 Jahre ist es her, dass sich in Deutschland nach den Revolutionsjahren 1918 – 1920 im Jahr 1923 erneut eine akut revolutionäre Situation herausbildete. Die Rote Fahne wird wichtige Etappen dieses historischen Jahres näher beleuchten – in dieser Ausgabe die Besetzung Westdeutschlands durch französische und bel­gische Truppen

Von (fu)
Arbeiterwiderstand gegen Ruhrbesetzung und deutsche Reaktion
Kundgebung gegen die Ruhrbesetzung auf dem Berliner Königsplatz am 25. März 1923. Foto: Bundesarchiv / Bild 102-00022 / CC-BY-SA 3.0

Infolge des Ersten Weltkriegs wurde Deutschland von den Siegermächten von einem imperialistischen zeitweilig zu einem halbkolonialen Land herabgedrückt. Die reaktionäre Regierung von Reichskanzler Wilhelm Cuno sabotierte ab 1922 die vereinbarten Repara­tionsleistungen an die Siegermächte im Auftrag der deutschen Monopole, die ihren imperialistischen Status wiedererlangen wollten. Die Regierung stellte sich als zahlungsunfähig dar und rechtfertigte das ausgerechnet mit den erbärmlichen Lebensbedingungen der Massen. Für diese trugen die deutschen Monopole mit dem von ihnen mitangezettelten Weltkrieg aber selbst hauptsächliche Verantwortung.

 

Der rechte französische Ministerpräsident Raymond Poincaré ließ sich davon freilich nicht beeindrucken. Als die Reparationskommission der Besatzungsmächte am 9. Januar 1923 feststellte, dass Deutschland absichtlich Lieferungen zurückhielt, ließ er zwischen dem 11. und 16. Januar erst 60 000, dann 100 000 Soldaten in das Rheinland, das Ruhrgebiet und die Pfalz einmarschieren. Ihnen folgten belgische Truppen.

 

Proletarischer Widerstand und „passiver Widerstand“ der Cuno-Regierung

 

Bereits am 7. Januar hatte die KPD in mehreren Großstädten Kundgebungen gegen die angekündigte Besatzung organisiert, bei denen auch französische Kommunisten sprachen und zum Widerstand aufriefen. Das Zentralkomitee rief direkt am 11. Januar dazu auf, in der Einheitsfront gleichermaßen gegen die Ruhrbesetzung der französischen Imperialisten und die reaktionäre Cuno-Regierung zu kämpfen. Die SPD lehnte ab und legte ihre „Burgfriedenspolitik“ neu auf, indem sie zu einer „Einheitsfront“ mit dem Großbürgertum für die „Vaterlandsverteidigung“ aufrief.

 

Die Cuno-Regierung musste auf die Empörung unter den Massen und die Initiative der Kommunisten reagieren. Am 13. Januar rief sie zum „passiven Widerstand“ auf: Es erging der strikte Befehl an alle Beamten, Anordnungen der französischen Besatzungsmacht nicht zu folgen. Die Besatzungsmacht reagierte mit Ausweisungen unerwünschter Personen aus den besetzten Gebieten, die meistens binnen 24 Stunden zu befolgen waren. Die deutschen Reparationszahlungen wurden eingestellt.

 

Während das klare Bekenntnis zum Interna­tionalismus die Politik der KPD prägte, entfalteten Faschisten und Militaristen eine nationalistische, antifranzösische Hetze. Bürgerliche Historiker behaupten dreist: „Nationalisten und Kommunisten verübten gemeinsam Sabotage- und Sprengstoffanschläge gegen die feindlichen Besatzer.“1 Davon konnte keine Rede sein. Die KPD grenzte sich klar von faschistischen Aktionen ab. Diese missbrauchten die Widersprüche gegen die Besatzer, um im Interesse der deutschen Monopole den Hass gegen „die Franzosen“ anzustacheln und den nächsten Weltkrieg vorzubereiten.

 

Katastrophale Inflation

 

Um die Kriegsfolgen auf die Massen abzuwälzen, hatten die deutschen Regierungen schon die Jahre zuvor immer mehr Geld drucken lassen und damit die Inflation angefeuert. Luise Dickhut berichtet in ihrem biogra­phischen Werk „Die Horbachs“: „Die Industriebosse ließen in der Hauptsache für den Export arbeiten, kassierten wertvolle ausländische Valuta, die sie gleich im Ausland investierten. … Sie … zahlten Schulden und neuaufgenommene Kredite, zum Beispiel für die Auszahlung von Löhnen, mit wertlosem Geld zurück.“ (Seite 99/100)

 

Das wurde mit der Ruhrbesetzung weiter verschärft. Die Inflation stieg sprunghaft an, so dass viele Arbeiterfamilien in bittere Armut gerieten und Hunger leiden mussten.

 

„Schlagt Poincaré an der Ruhr und Cuno an der Spree!“

 

Am 22. Januar gab die KPD diese Losung gegen alle Imperialisten aus. Wie richtig das war, zeigte schon die enge Zusammenarbeit von deutscher Regierung und französischer Besatzung gegen die Arbeiteraktionen. So bat der Bürgermeister von Düsseldorf, Dr. Lutterbeck, den Oberbefehlshaber der französischen Besatzung, General Degouette, Reichswehr und Polizei zur Niederschlagung der Arbeiter in das Ruhrgebiet zu lassen. Reichswehr, Polizei und französische Besatzer gingen dabei in trauter Eintracht vor. Bis zum Ende der Besatzung 1925 wurden Dutzende Arbeiter ermordet, 150 000 Haft- und Geldstrafen verhängt.

 

In ganz Deutschland kam es zu Demonstra­tionen, Hungerunruhen und Massenstreiks. Im Ruhrgebiet forderten die Arbeiter von Thyssen und Stinnes die Festsetzung eines Reallohns nach dem Goldstandard – unabhängig von der Inflation des Papiergelds, – die Absetzung der Regierung Cuno und das Ende der Besatzung. Ihre Forderungen wurden im ganzen Land übernommen. Auf Druck der USA und Großbritanniens musste Frankreich bis Juli/August 1925 die Besatzungstruppen wieder abziehen.