Rote Fahne 02/2023
Von wegen „Gas- und Strompreisbremse“ – Vollgas für höhere Preise und Profite
Mit offiziell 7,9 Prozent lag die durchschnittliche Inflationsrate 2022 so hoch wie nie seit den 1920er-Jahren. Dabei liegen die realen Preissteigerungen für Arbeiterfamilien schon jetzt weit darüber. Wie soll man sich da noch das Leben leisten können? Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater vertröstet darauf, dass „von März an ... die Gas- und Strompreisbremse die Preise ... dämpfen“ werde.1 Was ist davon zu halten?
Schon der Begriff „Preisbremse“ ist völlig irreführend. Die Regierungsbeschlüsse sind ein Freifahrtschein für die willkürliche Erhöhung der Energiepreise. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach bei der Vorstellung der Beschlüsse: „Die Preisbremsen kommen jetzt für Bürgerinnen und Bürger und das ist gut, dass wir dafür jetzt den Rahmen gesetzt haben.“2 Wenn hier etwas einen Rahmen bekam, dann die staatliche Absicherung von Raubpreisen und Raubprofiten der Energiekonzerne. Bei Erdgas erstattet die Regierung den Konzernen die Differenz zwischen einer Obergrenze von 12 Cent pro Kilowattstunde für die Verbraucher und dem, was sie von den Gaskunden verlangen – ohne dass es dafür irgendeine Grenze gäbe. Bei Fernwärme kassieren die Konzerne die Differenz zwischen 9,5 Cent pro Kilowattstunde und ihrem Monopolpreis, bei Strom die Differenz zu 40 Cent pro Kilowattstunde. Allerdings gelten die Obergrenzen nur für jeweils 80 Prozent des Verbrauchs. Für den Rest zahlen Privatkunden den vollen Preis. Die Preistreiberei kann also auf Staatskosten munter weitergehen – und die Rechnung dafür zahlt früher oder später die Masse der Werktätigen.
Das Zugeständnis der Regierung an die Massen besteht lediglich darin, die Folgen des rasanten Anstiegs der Energiepreise abzumildern. Allerdings zahlen die Haushalte im Schnitt trotz der Gasbremse mehr als das Doppelte für Erdgas im Vergleich zu 2021, als der durchschnittliche Gaspreis für Neuverträge noch bei 7,1 Cent pro Kilowattstunde lag.
Börsenpreise stark gesunken – fallen deshalb die Verbraucherpreise?
Wirtschaftsminister Robert Habeck beruhigt: „Erst mal gehe ich davon aus, dass alle natürlich sich an das Gesetz halten und in der Notsituation, in der wir uns befinden, nur die wirklich notwendigen Preise an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben.“3 Herr Habeck glaubt wohl noch an den Weihnachtsmann? Tatsächlich sind die Großhandelspreise an der Börse schon längst wieder unter das Niveau vor dem Ukrainekrieg gesunken. Lag der Preis der Sorte „Day Ahead“ auf dem Höhepunkt der Spekulationswelle Ende August 2022 kurzzeitig bei bis zu 316 Euro pro Megawattstunde, betrug er am 12.1.2023 67 Euro, weniger als am 23.2.2022 – am Tag vor Kriegsbeginn – mit 89 Euro (siehe Grafik).4 Nach dem Versprechen des Wirtschaftsministers müssten jetzt auch die Gaspreise für Verbraucher wieder um die gleiche Größenordnung fallen. Davon ist nichts zu spüren. Für Verbraucher betrug der durchschnittliche Gaspreis im Januar 18,3 Cent pro Kilowattstunde und war damit immer noch dreimal höher als ein Jahr zuvor.5 Beim Strompreis sieht es ähnlich aus – ist er doch an den Gaspreis gekoppelt. Lagen die Einkaufspreise der Stromversorger Anfang September noch bei bis zu 59 Cent pro Kilowattstunde, sind es inzwischen unter 10 Cent.6 Die Haushalte erleben dennoch zum Jahresbeginn eine Preiserhöhungswelle für Strom von im Schnitt 60,2 Prozent. Nicht selten steigen die Preise um das Doppelte oder mehr.7 Nicht wenige Kommunen, die an Versorgungsbetrieben beteiligt sind, stoßen sich dabei gleich mit gesund und denken nicht daran, die sprunghaft höhere Gewinnspanne an die Gas- und Stromkunden weiterzugeben.
Die Energiekonzerne führen nun alle möglichen Ausreden an, doch vor allem haben sie damit ihre Profite in Rekordhöhen getrieben. Dank der hohen Gas- und Strompreise konnte RWE seinen offiziellen Gewinn 2022 auf über 5 Milliarden Euro erhöhen – eine Steigerung um 37 Prozent. Um Regierungspläne, „Übergewinne“ abzuschöpfen, ist es inzwischen recht ruhig geworden.
Manipulative Gashysterie
Der Ukrainekrieg diente als Vorwand, um die Preisexplosion zu begründen. Von einer wirklichen „Energieknappheit“ konnte nie die Rede sein (siehe auch Seite 20). Mitten im Winter sind die Gasspeicher in Deutschland trotz Lieferstopp des russischen Erdgases mit 91 Prozent gut gefüllt, obwohl sie üblicherweise während der Heizperiode kontinuierlich abnehmen. Bei einem „normalen“ Temperaturverlauf werden die Speicher Ende März und Ende April zu 65 Prozent voll sein. 2022 waren es Ende März 26 Prozent und Ende April 35 Prozent.8
Immer deutlicher wird, dass bürgerliche Politiker und Medien mit Warnungen vor kalten Wohnungen und Sparappellen eine massive Hysterie erzeugt haben. Es ging ihnen vor allem darum, die Leute für die Ziele der NATO im Ukrainekrieg und die Akzeptanz sprunghafter Preissteigerungen zu gewinnen. Und nicht zuletzt dafür, die fossile und atomare Energiegewinnung auf Jahre und Jahrzehnte hin erneut auszubauen und regenerative Energien auszubremsen. Ganz so, wie es die Unternehmerverbände seit langem forderten. So sollen bis 2030 noch mindestens 280 Millionen Tonnen Braunkohle aus dem Fördergebiet Garzweiler II herausgeholt werden. Ihre Verbrennung wird 909 Millionen Tonnen CO2 freisetzen. Der Gasliefervertrag mit Katar beginnt erst 2026 und läuft bis 2041, der Frackinggasvertrag mit den USA beginnt 2027 und ist bis mindestens 2042 terminiert. Auch die neuen LNG-Terminals sollen bis mindestens 2046 betrieben werden. Beteiligt sind die großen Energiekonzerne wie RWE und EnBW, die auf diese Weise ihr weiteres Festhalten an der fossilen Energiegewinnung durchsetzen wollen – auf Kosten der Zukunft der Menschheit.
Das Schlimmste überstanden?
Bürgerliche Ökonomen wie Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding beschwichtigen: „Das Schlimmste bei der Inflation haben wir wohl überstanden.“9 Fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben praktisch keine Ersparnisse – und zudem meist geringe Einkommen –, um höhere Kosten für Gas oder Strom stemmen zu können. Die Belastung für Menschen mit geringen Einkommen ist durch höhere Energiekosten drei- bis viermal höher. Die horrenden Preissteigerungen machen vor allem Arbeiterfamilien zu schaffen. Da ist es nicht verwunderlich, dass unter Frauen die Zustimmung zur Regierung am Geringsten ist.
Aber auch 68 Prozent der Jugendlichen treibt die Sorge um, wegen der Inflation künftig in Armut leben zu müssen.10
Die „grundsätzliche Lösung“ der AfD
Die faschistoide AfD fordert, AKW, Kohlekraftwerke und Nordstream 2 wieder in Betrieb zu nehmen. Das würde das „Problem des Energiemangels grundsätzlich lösen“. Mit der Propaganda vom „Energiemangel“ liegt die AfD voll auf der Linie der anderen bürgerlichen Parteien. Statt aus den USA und Katar will sie Russland wieder zum führenden Gaslieferant befördern. Und was soll am Ausbau der menschheitsgefährdenden fossilen Energie und Atomkraft eine „grundsätzliche Lösung“ sein? Damit geht es nur noch schneller voran in der Entfaltung der globalen Umweltkatastrophe. Die grundsätzliche Lösung besteht im Gegenteil im vollständigen und schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien, einer damit verbundenen Kreislaufwirtschaft und der dazu notwendigen revolutionären Überwindung des Kapitalismus durch vereinigte sozialistische Staaten der Welt. Wer von der AfD irgendwelche Forderungen nach höheren Löhnen und Gehältern zum Ausgleich der Inflation erwartet, wird sie ebenfalls nicht finden.
Statt „bremsen“ – umsteuern, und zwar grundsätzlich!
Mit ihren Parteigruppen organisiert die MLPD in Betrieben und Wohngebieten den Widerstand. In einer Arbeitersiedlung in Gelsenkirchen wurden gemeinsam Forderungen gegen die gestiegenen Nebenkostenrechungen aufgestellt und Unterschriften dafür gesammelt. In Herne-Holsterhausen fordern Mieter gemeinsam, dass Vonovia die einbehaltenen Ausgleichszahlungen für den Dezember-Gasabschlag auszahlt (siehe Berichte auf Seite 18 und 22).
Das Versprechen der Regierung, alles mögliche zu „bremsen“ und zu dämpfen, lenkt davon ab, dass sie in Wahrheit die Preistreiberei und Profitmacherei befeuert und absichert. Es zeigt aber auch ihre Defensive und die Furcht der Herrschenden vor dem Protest der Massen. Statt zu „bremsen“, muss es in eine ganz andere Richtung gehen. Statt für den Kriegskurs zu verzichten, müssen die Arbeiterfamilien von ihren Interessen ausgehen, den Kampf um höhere Löhne und Lohnnachschlag sowie für Forderungen an die Regierung aufnehmen und sich in den aktiven Widerstand gegen die Weltkriegsvorbereitung einreihen. Im Sozialismus wird die wachsende Arbeitsproduktivität den breiten Massen zugute kommen, durch stabile oder sinkende Preise, Arbeitszeitverkürzung, bezahlbaren und umweltgerechten Wohnraum und natürlich indem konsequent auf erneuerbare Energien umgestellt und sparsam mit den Ressourcen umgegangen wird.