Rote Fahne 02/2023

Rote Fahne 02/2023

Das Kommunistische Manifest auf Arabisch – ideologiefreies Übersetzen?

Eine Leserin deckt verfälschende Übersetzungen in einer arabischen Ausgabe des Kommunistischen Manifests auf

Von Erfurt (Korrespondenz)
Das Kommunistische Manifest auf Arabisch – ideologiefreies Übersetzen?
Statue von Karl Marx und Friedrich Engels, den Verfassern des Kommunistischem Manifests (Berlin), links. Fremdsprachige Ausgaben des Kommunistischen Manifests, unten eine tunesische Ausgabe und deutsche Ausgabe, rechts

Das Manifest der Kommunistischen Partei wurde 1848 von Marx und Engels geschrieben und war ihr erstes Werk überhaupt, das ins Arabische übersetzt wurde. Angefertigt wurde die erste Übersetzung 1933 (85 Jahre nach der Ersterscheinung!) von Khaled Bakdash, dem wohl berühmtesten arabischen Kommunisten (damals Vorsitzender der „Kommunistischen Partei in Syrien und Libanon“).


Es folgten weitere Übersetzungen, unter anderem vom russischen Fortschrittsverlag aus Moskau 1968 und 1975 in Beirut / Libanon. Letztere ist besonders auffällig. Ihr Autor, der Tunesier Al-Afif Al-Akhdar, behauptet, „die erste nicht verfälschte“ Übersetzung zu liefern! In seinem Vorwort entwickelt er tatsächlich einige wertvolle Kritiken an den vorhandenen Übersetzungen und deckt auf, wo seine Vorgänger falsch übersetzt haben. Er wirft ihnen „unverzeihliche Verfälschungen aus boshafter Absicht“ vor. Und trotzdem finden sich auch bei Al-Akhdar solche Verfälschungen.


Im Vorwort des Kommunistischen Manifests zitiert Engels Marx und schreibt im Original: „Namentlich hat die (Pariser) Kommune den Beweis geliefert, daß die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann.“1


Diese Stelle übersetzt Al-Akhdar rückübersetzt ins Deutsche folgendermaßen: „…die Arbeiterklasse kann sich nicht damit zufrieden geben, nur den bestehenden Staatsapparat in Besitz zu nehmen, um ihn für die eigenen Ziele in Bewegung zu setzen.“ Marx und Engels sagen, es ist nicht möglich, die fertige Staatsmaschine in Besitz zu nehmen, dass man sie zerschlagen muss. Al-Akhdar sagt, damit kann man sich nicht zufrieden geben.

 

Was auf den ersten Blick nach einer Formulierungsfrage aussieht, hat weitreichende Folgen: Laut Al-Akhdar müsste die Arbeiterklasse zuerst den bürgerlichen Staat erobern, stärkste parlamentarische Kraft werden und dann „weiter kämpfen“.


Das ist eine Verfälschung der marxistisch-leninistischen Position, die zwar die bürgerlich-parlamentarische Bühne nutzt, aber niemals Illusionen in den parlamentarischen Weg zur Erringung des Sozialismus schürt! Zufall? Unwahrscheinlich, denn es gibt weitere solcher scheinbar kleinen Übersetzungsfehler. Außerdem bekommen wir über seine teils sehr langen Fußnoten (die längste ist sechs Seiten!) Einblick in seine Gedanken. Darin „erklärt“ er, warum Marx und Engels an dieser oder jener Stelle falsch lägen. Beispielsweise haben seiner Meinung nach Marx und Engels „den zentralistischen Staat angebetet“ und die Pariser Kommune habe bewiesen, dass dieser Zentralismus nicht notwendig sei. Das ist eine anarchistische Position. Im Sozialismus verschärft sich der Klassenkampf und braucht die Arbeiterklasse ihren Staat, die Diktatur des Proletariats, um die noch vorhandene Kapitalistenklasse niederhalten zu können, damit sie zielstrebig den Sozialismus aufbauen kann. Das ist keine „Anbetung eines zentralistischen Staates“, sondern ein realitätsgetreuer Plan zum Aufbau des Sozialismus / Kommunismus. Mit einer kleinbürgerlich-antiautoritären Denkweise kann man keine marxistisch-leninistische Übersetzung anfertigen!