Rote Fahne 26/2022
Wie die Kapitalspekulation die Inflation treibt
Eine solch rasante Inflation, wie wir sie gerade erleben, war jahrzehntelang in Deutschland unbekannt. Offiziell sind 10 Prozent erreicht, bei Lebensmitteln des täglichen Bedarfs sind es mittlerweile 25 Prozent. Für Arbeiterfamilien liegt die Verteuerung ihrer gesamten Ausgaben längst in dieser Größenordnung, während die Gewichtung des statistischen „Warenkorb“ diese beschönigt
Kein Mensch weiß, was bei Heizungs- und Stromkosten tatsächlich auf uns zukommt. Hier und da ein „Deckel“ oder eine Einmalzahlung kann nicht wirklich beruhigen. Aber wer und was treibt die Inflation? Dass allein Putin und der Ukrainekrieg Verursacher sein sollen – an dieser Version der offiziellen Berichterstattung der NATO-Länder gibt es berechtigte Zweifel. Schon lange vor dem Ukrainekrieg nahm die Inflation in Deutschland Fahrt auf, von offiziellen 0 Prozent im Oktober 2020 auf 4,3 Prozent im Oktober 2021.1 Grundlegend gilt: „Die Inflation ist einerseits auf die Wirkung der Monopolpreise, andererseits auf die Geldvermehrung infolge der Verschuldung des Staates zurückzuführen.“2 Monopolpreise können vor allem die internationalen Übermonopole aufgrund ihrer Marktmacht durchsetzen. Das sind Raubpreise zu Lasten der ganzen übrigen Gesellschaft.
Marx und Engels stellten schon im Kommunistischen Manifest fest: Die Mittel, mit denen die eine Krise momentan bewältigt wird, bereiten neue und tiefere Krisen vor. Das bewahrheitete sich erneut bei der letzten Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008 bis 2014. Damals setzten die zeitweise gemeinsam agierenden imperialistischen Mächte eine Flutung der Märkte mit billigem Geld in nie gekanntem Ausmaß zur Krisenbewältigung ein.
Dominierende Rolle der Kapitalspekulation
Stefan Engel schrieb 2009 über eine neue Rolle der Kapitalspekulation: „Die gigantische Aufblähung der Spekulation hat spätestens mit der Neuorganisation der internationalen Produktion eine dominierende Rolle in der Weltwirtschaft eingenommen. Sie ist zu einem notwendigen, das heißt allgemeingültigen Bestandteil der Maximalprofit erheischenden Kapitalverwertung geworden. In den letzten Jahren ist das spekulative Kapital geradezu explodiert.“3
Das hat sich besonders durch die Geldpolitik der Zentralbanken weiter gesteigert. 2009 lag die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank (EZB) bei 1,8 Billionen Euro, 2018 schon bei 4,7 Billionen.4 Die Kreditgelder landeten statt in Investitionen für die Produktion immer mehr in der Spekulation mit Aktien und anderen Geldanlagen, weil hier Aussicht auf die höchsten Profite besteht. 2018 betrug der Wert des weltweiten Aktienbestands bereits 76,8 Billionen, Ende 2020 waren es schon rund 105,9 Billionen US-Dollar.5 Und bis Ende 2021 stiegen die Börsenwerte noch einmal um etwa 25 Prozent an.6
Mitte 2018 brach eine neue weltweite Überproduktionskrise aus. Sie vertiefte sich massiv durch die Coronakrise. In der trügerischen Hoffnung, aus der Krise schnell wieder herauszukommen beziehungsweise einem noch tieferen Einbruch entgegenzuwirken, gaben die Zentralbanken weiter massenhaft Billigstkredite aus und kauften immer mehr Staatsanleihen auf. Dabei verdoppelten die EZB und die FED7 ihre Bilanzen nahezu auf jeweils über 8,8 Billionen Euro beziehungsweise Dollar.8
Über den Verkauf von Staatsanleihen stieg weltweit die Staatsverschuldung und diese wurde selbst zum Inflationstreiber. Die Regierungen finanzierten damit „Rettungsschirme“ für Konzerne und krisendämpfende Maßnahmen. Außerdem steigerten die meisten imperialistischen Staaten schon lange vor dem jetzigen Krieg ihre Rüstungsproduktion.
Spekulationskapital drängt in Rohstoff-, Energie- und Nahrungsmittelbereich
Verstärkt floss das überschüssige Kapital seit Mitte 2020 auch in den Nicht-Banken-Finanzsektor – landläufig „Schattenbanken“ genannt. Das lag vor allem daran, dass die Börsenkurse seit Beginn 2022 einen rasanten Abflug und ein zunehmendes Auf und Ab erlebten, weil die Hoffnungen auf einen Wirtschaftsaufschwung schwanden. Mit Wucht drängte jetzt das spekulative Kapital in die Bereiche der Warenproduktion. Die Erzeugerpreise in Industrie und Landwirtschaft und besonders die Energiepreise wurden nach oben getrieben. Im ersten Quartal 2022 betrugen die Kredite in diesem Bereich weltweit fast 230 Billionen US-Dollar.9 Vor allem konzentrierte sich die Spekulation auf Rohstoffe, Energie, Halbfertigwaren, Nahrungsgrundstoffe. An den damit handelnden Börsen wurden schon gegen Ende 2020 die Preise spekulativ um bis zu 20 Prozent erhöht. Zudem nahm die Immobilienspekulation sprunghaft zu.
Die Inflation beschleunigte sich immer rasanter. Das hatte auch mit der ungeheuren Spekulationswelle angesichts des weltweiten Wirtschaftskriegs nach Beginn des Ukrainekriegs zu tun.
Bis August 2022 ließen die Energieproduzenten und Spekulanten den Gaspreis von 75 Euro pro Megawattstunde am 1.2.2022 auf über 300 Euro Ende August explodieren und verdienten daran ähnlich „traumhafte“ Maximalprofite wie die Rüstungskonzerne. Mittlerweile liegt der Gaspreis im Großhandel zwar wieder bei rund 150 Euro pro Megawattstunde, die Verbraucherpreise sind aber keineswegs entsprechend gesunken. Die überbordende Spekulation wurde zum maßgeblichen Treiber der Inflation.