Rote Fahne 26/2022
Die globale chemische Verseuchung von Mensch und Natur
Seit den 1950er-Jahren kam es zu einem qualitativen Sprung in der massenhaften, unkontrollierten Freisetzung chemischer Substanzen in die Umwelt – mit verheerenden Folgen
Seit 1950 hat sich die Menge der produzierten Stoffe verfünfzigfacht. Dazu führt ein Artikel auf ZEIT Online aus: „Weltweit sind mehr als 350 000 Chemikalien zugelassen. … Bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts soll … sich (das) noch einmal verdreifachen. Künstlich hergestellte Substanzen werden für immer mehr Zwecke eingesetzt, als Dünger oder Insektengift, als Beschichtung bei Lebensmittelverpackungen und Wandfarben oder als Weichmacher in Plastik oder Spielzeug.“1
Eine der größten Plagen dieser Entwicklung ist die Vermüllung des gesamten Planeten mit Plastik, die verheerende Auswirkungen auf Umwelt, Gesundheit, Nahrungsketten und Biodiversität hat.
Hinzu kommen die Segnungen der Chlorchemie, die nach wie vor Ultragifte wie Dioxine, Furane, Polychlorierte Biphenyle (PCB) in die Umwelt einträgt und nichts zu ihrer Vermeidung und Beseitigung unternimmt.
Fluororganische Verbindungen „besonders besorgniserregend“
Mit der weltweiten Verbreitung von fluororganischen Verbindungen ist in den letzten Jahrzehnten ein weiteres Problem der globalen chemischen Verseuchung entstanden. Per- und polyfluorierte Kohlenwasserstoffe (PFAS), die mit Untergruppen (wie zum Beispiel den Perfluoroktansäuren – PFOA) über 4000 verschiedene Chemikalien umfassen, sind in zahlreichen Dingen des täglichen Gebrauchs enthalten: in Teflonpfannen, Funktionskleidung, Beschichtung von Nahrungsmittelverpackungen und Papier und vielem mehr. Sie sind äußerst langlebig und biologisch nicht abbaubar. In der normalen Hausmüllverbrennung werden sie nicht zerstört und haben sich innerhalb weniger Jahrzehnte in allen Bereichen der Biosphäre weltweit verbreitet.
Selbst die EU stuft die PFOA als „besonders besorgniserregend: fortpflanzungsgefährdend, persistent, bioakkumulativ und toxisch“ ein.2
Pervertierung der materiellen Möglichkeiten
Die moderne Chemie hat eigentlich das Potenzial, zur Lösung vieler Probleme der Menschheit beizutragen, die der Kapitalismus mit seiner mutwilligen Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur geschaffen hat.
Heute ist es möglich, gezielt Chemikalien am Computer zu designen, die vorherbestimmte Eigenschaften haben. Diese Möglichkeiten werden jedoch unter dem Diktat der Profitmaximierung pervertiert und in ihr Gegenteil verkehrt. So entwickeln Pharmakonzerne ständig leicht abgewandelte Varianten von besonders profitablen Arzneimitteln, deren Patentschutz abgelaufen ist, um auf diese Weise neue Kassenschlager mit Patentschutz zu generieren. Das gleiche geschieht auch bei den PFOA.
Nach dem „Verbot“ kündigte der Hersteller, der amerikanische Chemiekonzern Chemours, sofort einen angeblich ungefährlichen Ersatzstoff namens GenX an, der nach bisherigen Erkenntnissen nicht weniger gefährlich ist als das Original und von der EU 2019 ebenfalls als „besonders besorgniserregend“ eingestuft wurde, ohne dass das praktische Konsequenzen hat.3
Ausdruck der Krise der bürgerlichen Chemie
Der ungebremste Kurs einer weiteren Freisetzung von hunderttausenden neuen Chemikalien ist konzentrierter Ausdruck der Krise der bürgerlichen Chemie, die mit einer tiefen Vertrauenskrise der Massen in die Chemie einhergeht. Die Vergiftung von Mensch und Umwelt mit hunderttausenden von Chemikalien, von denen weder die Wirkungen und vor allem nicht die Wechselwirkungen erforscht sind, ist im Kapitalismus nicht mehr zu stoppen.
„Beim gegenwärtigen Tempo der Untersuchung „brauchen wir noch Jahrhunderte, bis wir alle Substanzen getestet haben“.4 Die Belastungsgrenze für diesen Faktor der globalen Umweltkatastrophe ist längst überschritten. Trotzdem und gerade deshalb ist es auch heute schon notwendig, für das Verbot von Substanzen wie PFAS / PFOA, Glyphosat und anderen, sowie für ihre Beseitigung aus der Umwelt auf Kosten der Profite zu kämpfen. Selbst für eine sozialistische Gesellschaft ist allein der Kampf gegen dieses globale Problem eine Jahrhundertaufgabe, die nur durch vereinigte sozialistische Staaten der Welt gelöst werden kann.