Rote Fahne 25/2022
„Das Positive ist, dass die Hafenarbeiter eine Einheit geworden sind“
Im Sommer 2022 streikten 12 000 Hafenarbeiter zum ersten Mal seit 44 Jahren in einem gewerkschaftlichen Tarifstreik. Er hatte von Beginn an auch politischen Charakter. So erwirkte der Unternehmerverband in Hamburg, dass über viele Wochen zu keinen weiteren Warnstreiks in Hamburg aufgerufen werden durfte. Und die Kämpfe und Streiks hatten bedeutende selbstständige Elemente. Auf einer von Kollegen, Gewerkschaftern und Marxisten-Leninisten organisierten Dockers Street Party in Hamburg-Wilhelmsburg am 24. September gaben Hafenarbeiter ein ausführliches Interview.* Wir dokumentieren Auszüge.
Rote Fahne: Wie habt ihr den Streik organisiert?
Bobby: Wir haben schnell Warnstreikgruppen (im Netz) erstellt, wo wir mehrere tausend Hafenarbeiter hier in Hamburg organisiert haben. So konnten wir innerhalb kürzester Zeit die Leute informieren.
Die Gruppen wurden so aufgebaut, dass nur die Admins da reinschreiben konnten.
Jana: Der Organisationsgrad in der Gewerkschaft ist seit vielen Jahrzehnten sehr hoch. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Aber wie organisiert man das, in einem Betrieb, bei dem die Menschen keine Pausen mehr gemeinsam haben? Wie kommt man überhaupt dazu, dass sie das Thema verstehen und dass sie für ihre Forderungen auch gemeinsam antreten?
Also haben wir uns überlegt, wir machen so was wie Pausenversammlungen … Je mehr Pausenversammlung wir gemacht haben, desto mehr Leute wurden das. Und desto größer wurde auch innerhalb des Hafens der Bedarf so was zu machen.
Wie war die Stimmung im Streik?
Bobby: Der Hafen ist immer schon eine Familie gewesen. Aber jeder, der Geschwister hat, weiß, es ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen.
Aber wenn jemand von außen kommt und meinen kleinen Bruder anmacht, den ich gerade noch zusammengehauen habe, kann er sich warm anziehen! Und dieses Gefühl ist jetzt bei uns entstanden.
Deniz: Ich hab mir ein Megafon gekauft. Das war neu für mich. Wir hatten den Vier-Stunden-Streik.
Da kamen meine Leute zu mir und meinten, ,Deniz, wir haben keinen Bock, doof rumzustehen, lass uns mal loslaufen!‘ Dann bin ich zur Polizei und hab ‘ne Spontandemo angemeldet, die nur bis zur Brücke gehen soll, dass wir den Verkehr nicht aufhalten. Aber dann sind wir doch ein bisschen weiter gelaufen (lacht). Was ich so krass fand, dass 99 Prozent aus dem Hafen noch nie auf einer Demo waren und als dann die Polizei da stand und ihr Reizgas und ihre Schlagstöcke zückte, ist keiner abgehauen. Die haben sich eingehakt, und sind wie ‘ne Wand marschiert und die Polizei ist zwei Kilometer rückwärts gelaufen. Das hat das Eis gebrochen für die ganzen anderen Sachen.
Wie seid ihr mit der Hetze in der Zeitung umgegangen?
Jana: Diese mediale Hetze geht schon seit ungefähr zwei Jahren. Die großen Betriebe in Hamburg haben richtig mediale Kader, und die beliefern Schundblätter wie die BILD mit Informationen. „Gier am Pier“ war das Netteste, was wir noch hatten. Wir haben den höchsten Verdienst der „Mittelklasse“, was auch immer das sein soll. Aber nur wenn wir ungefähr das, was wir an normaler Arbeitszeit haben, nochmal an Überstunden machen.
Bobby: Ich bin auf die Presse zugegangen. Ich hab einen Text an jede Email-Adresse von Zeitung, Radio, Fernsehen geschickt. Zwei Stunden später hatte ich den ersten Radiotermin und dann haben die uns die Tür eingerannt.
Wie kann man Solidarität organisieren?
Jana: Andere Betriebe haben sich solidarisiert, wie die Hochbahn. Sie sind zu uns gekommen, haben einen supersüßen Beitrag gehabt, ein Transparent mit allem drum und dran. Wir standen da und waren völlig überfordert: Wieso kommt uns denn jetzt hier jemand besuchen? Das war herzzerreißend! Und dann haben wir auch Parteien zu Besuch bekommen, unter anderem auch die MLPD.
Gab es Support von anderen Parteien?
Jana: Support nein, null – weder von der SPD, von der Linken oder FDP sowieso nicht. Nach der letzten Wahl haben wir alle Hafenpolitischen Sprecher eingeladen. Dann kam die Hafenpolitische Sprecherin der Grünen, die hat festgestellt, dass sie keine Ahnung hat. Und Norbert Hackbusch (die Linke), der war ernsthaft interessiert an unserer Lage.
Wie bewertet ihr das Tarifergebnis?
Bobby: Das Ergebnis1, was ich gut bewerten will, ist, was daraus entstanden ist. Von den Leuten, vom Zusammenhalt, der Kommunikation her. Das ist großartig. Was wir in den paar Monaten aufgebaut haben, ist fantastisch und wird uns in den nächsten Jahren ganz, ganz viel bringen.
Deniz: Ja, der Abschluss ist für mich ein Schlag ins Gesicht. Aber man muss ja nicht immer nur das Negative daraus ziehen. Die Einheit, die einstanden ist, die Kommunikation zwischen den Terminals. Es gibt jetzt keine Klamottenfarbe mehr – bist du HHLA, Eurogate oder GHB. Das gibt’s nicht mehr. Das ist das Positive, dass die Leute eine Einheit geworden sind. Und bereit sind, zusammen zu kämpfen für die nächsten Schritte, denn wir haben noch viele andere Themen. Es kommt noch Digitalisierung, Automatisierung, Personal sparen …
* Das Interview wurde zusammengestellt von Joachim Griesbaum, Mitglied der deutschen Koordinierungsgruppe des internationalen Hafenarbeiter Erfahrungsaustauschs. Infos unter: www.dockers-international.or