Rote Fahne 22/2022

Rote Fahne 22/2022

Besuch in einem fernen sozialistischen Land

Im September 1976, wenige Wochen nach dem Tod von Mao Zedong, wechselte das rote China die Farbe. Führende Bürokraten in Staat und Partei nutzten den Schock und die Trauer im Volk über seinen Tod und rissen mit einem hinterlistig eingefädelten Putsch die Macht an sich. China wandelte sich von einem Vorbild des sozialistischen Aufbaus zu einem Hort des Antikommunismus.Ein Jahr zuvor besuchten zwei Mitglieder des Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschlands (1), Martin Kasprik und Siggi Renz, auf Einladung des Verlags Guozi Shudian und der KP Chinas die Volksrepublik China

Besuch in einem fernen sozialistischen Land
Siggi Renz (links) im Gespräch mit dem Bürgermeister (rechts) in der Kaderschule Nanivan in der Stadt Wuhan

Martin Kasprik, der am 19. Januar 2022 mit 79 Jahren verstorben ist, und Siggi Renz wurden so zu Zeit­zeugen des sozialistischen Aufbaus. Sie berichteten:

 

„Wir besuchten in vier Wochen dutzende Betriebe, die unterschiedlichsten Städte, von Shanghai bis zu Jenan, die den historischen revolutionären Kampf des chinesischen Volkes für den Sozialismus repräsentierte. Wir waren in Schulen und Kindergärten, die oft an die Sozialabteilungen der Betriebe angeschlossen waren. Wir lernten das Leben der Bauernfamilien und ihr Alltagsleben in ländlichen Genossenschaften kennen. Nirgends bestätigten sich die im Westen veröffentlichten, angeblich authentischen Berichte über ‚kommunistische Unfreiheit und Unterernährung der Massen‘.

 

Zehn Jahre vor unserem Besuch hatte Mao Zedong die Kulturrevolution ausgerufen. Sie mobilisierte die Massen gegen die Gefahr einer bürokratisch-revisionistischen Entartung. Auf der ganzen Welt und auch für uns junge Kommunisten in Westdeutschland war die Kulturrevolution ein leuchtendes Signal für den Sozialismus. Nun erlebten wir hautnah, welche Errungenschaften er selbst im Stadium eines Entwicklungslandes, das China damals war, vollbringt. Wir waren Zeugen der fortschrittlichsten Organisation und Denkweise bei der Zusammenarbeit der Menschen in der gesamten Gesellschaft.

 

Funktionäre jederzeit abwählbar

 

Die Herren der Betriebe waren die Arbeiter und Angestellten. Sie wählten Revolutionskommitees. Sie setzten sich als ‚Dreierverbindungen‘ aus je einem Mitglied der Partei, der Volksbefreiungsarmee und einem parteilosen Belegschaftsangehörigen zusammen. Sie waren Machtorgane der Diktatur des Proletariats in den Betrieben und leiteten die betrieblichen Abläufe. Sie mussten gegenüber den Belegschaften Rechenschaft ablegen. Sie konnten auch, wenn sie sich berechtigten Kritiken verweigerten, wieder abgewählt werden. Um nicht von den Arbeitern abzuheben, mussten Führungskräfte bestimmte Zeiten in der Produktion körperliche Aufgaben verrichten.

 

Wir erlebten lebendige Schulungen im Marxismus-Leninismus und den Mao-Zedong-Ideen. Die im Westen verunglimpfte ,Mao-Bibel‘ war ein Schulungstext. Der wurde nicht wie bei uns in der Schule eingepaukt und abgefragt, sondern sollte zum selbständigen Denken und Experimentieren im Alltag, in der Produktion und der politischen Arbeit anregen. Sicher gab es auch manche Starrheit, aber das war nicht das Bestimmende.

 

Erfolge einer Bodenreform zu Lasten der Großagrarier waren unübersehbar. Dort, wo kollektive Genossenschaften entstanden, stiegen die Ernteerträge. Wir sahen keine hungernden Menschen, was damals in allen Entwicklungsländern der Fall war.

 

Uns fiel das große Selbstbewusstsein der Frauen auf – insbesondere gemessen an der völlig rechtlosen Rolle der Frau in China vor der Revolution.

 

Man berichtete uns: in den 1960er-Jahren wurde in China viel unternommen, um Umweltschutz durchzusetzen und eine Kreislaufwirtschaft zu installieren.

 

Auswirkungen der Kulturrevolution waren in allen gesellschaftlichen Bereichen nachvollziehbar, allerdings zeichnete sich auch ein Abflauen der damit verbunden Aufbruchstimmung ab. Schon seit den 1950er-Jahren hatte sich, mehr oder weniger verdeckt, eine konterrevolutionäre Richtung um Liu Shaoqi entwickelt, die von Mao kritisiert und bekämpft wurde. Sie war bestrebt, getarnt mit sozialistischen Phrasen den Kapitalismus wieder einzuführen. Als sein engster Kumpane sollte sich Deng Xiaoping erweisen, der in seinem Dunstkreis Anhänger um sich scharte. Manche führende Funktionäre nutzten die Reisebegleitung, sich persönlich hervorzutun, unterschwellige Kritiken am Kurs von Mao Zedong einzuflechten, den kapitalistischen Westen überschwänglich zu loben und sich überheblich für das einfache Leben der Massen zu entschuldigen. Diese Erscheinungen waren noch Ausnahmen. Aber es waren untrügliche Zeichen, dass der Klassenkampf in China zwischen der sozialistischen und der kapitalistischen Ideologie längst nicht zu Ende war.“

 

Wachsamkeit war geboten

 

Die beiden Genossen des KABD bemerkten später: „Gerade weil wir uns nicht blind von den sozialistischen Erfolgen berauschen ließen, begriffen wir schnell die grundsätzliche Kritik des Kommunistischen Arbeiterbundes Deutschlands an der Restauration des Kapitalismus in China nach dem Tode von Mao und konnten mit unseren Erfahrungen die Analyse der 1977 entstandenen Broschüre voll bestätigen: ‚Die Führung Chinas segelt im Wind von rechts!‘“