Rote Fahne 22/2022
Atomkrieg droht – aktiver Widerstand!
Die Gefahr eines atomaren Weltkriegs hatten bürgerliche Politiker und Medien seit Beginn des Ukrainekriegs heruntergespielt.
Jetzt werden die gegenseitigen Drohungen und Warnungen immer bedrohlicher. Es ist keineswegs nur Russlands Präsident Wladimir Putin, der mit dem Einsatz von Atomwaffen droht. Am weitestgehenden war die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, die NATO müsse mit atomaren „Präventivschlägen“ dafür sorgen, dass Russland weiß, „was ihnen blüht, wenn sie sie anwenden“.1 Selenkyjs Sprecher beteuerte angesichts der Empörung darüber umgehend, das sei nur „falsch verstanden worden“. Warum werden dann in der Ukraine massiv die Trommeln für einen Atomkrieg gerührt?
Ein Genosse der ukrainischen ICOR-Organisation KSRD2 berichtet: „Von nicht wenigen Werktätigen wird eine Bedrohung mit dem Einsatz von Atomwaffen als fast unausweichlich empfunden – umso mehr, als unsere offizielle Propaganda dazu aufruft, ‚sich bereit zu machen und keine Angst zu haben‘. Und sie verspricht, dass die NATO als Antwort einen massiven Schlag gegen Russland führen wird, und dass dies ‚richtig und gut‘ sei.“
Ganz in diesem Sinn will die NATO mit ihrem angeblich „routinemäßigen“ Manöver „Steadfast Noon“ („Standhafter Mittag“) dieses Mal zeigen, dass sie „auf einen Atomkrieg gut vorbereitet ist“.3 Beteiligt sind 14 Länder mit 60 Flugzeugen, unter anderem die Bundeswehr. Ihre Flugzeuge sollen die tödliche Fracht der hier stationierten US-Atomwaffen an ihr Ziel bringen. Das nennt sich „nukleare Teilhabe“. Kurz nach dem NATO-Manöver begann Russland seine jährliche Nuklearübung.
„Die vernichten sich doch nicht selbst“
Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass die verantwortlichen Politiker so weit gehen und den Untergang der Menschheit riskieren. Systematisch arbeiten die führenden imperialistischen Nuklearmächte seit den 1990er-Jahren auf das Szenario eines „begrenzten Atomkriegs“ mit kleineren taktischen Atomwaffen hin (siehe Seite 18). „Die verharmlosend als ‚Mini-Nukes‘ bezeichneten Atomwaffen machen einen Atomschlag nicht weniger gefährlich, sondern sogar noch mehr zu einer realen Option – mit der Folge einer unkontrollierbaren Eskalation“, wird dazu in der Broschüre „Der Ukrainekrieg und die offene Krise des imperialistischen Weltsystems“ ausgeführt.4 Die meisten dieser Atomwaffen haben fast so viel Sprengkraft wie die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen. Ihnen fielen mindestens 250.000 Menschen zum Opfer.
Putins Drohungen nur Bluff?
In seiner Rede zur Annexion der ostukrainischen Gebiete drohte Putin ganz offen: „Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht ist, werden wir natürlich alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um Russland und unser Volk zu schützen.“ Das bezog er auch auf den Versuch der Rückeroberung der annektierten Gebiete. Bürgerliche Kommentatoren geißeln dies als Überschreitung der „roten Linie“, um gleich wieder zu beruhigen, es sei alles nur eine „Drohkulisse“ und Putin „kein suizidaler Akteur“. Bisher galt Putin in den westlichen Medien als „verrückt“ oder „irrational“, beim Atomwaffeneinsatz soll er jedoch berechenbar sein?
Der Einsatz von Atomwaffen wird für das neuimperialistische Russland gerade dann zur Option, wenn es gegenüber der von der NATO massiv hochgerüsteten Ukraine weitere Verluste erleidet. Für beide Seiten geht es in diesem Krieg um sehr viel. Die US- und die führenden EU-Imperialisten wollen Russland dauerhaft als Rivalen ausschalten. Für Russland stehen damit seine gesamten neuimperialistischen Ambitionen auf dem Spiel. Deshalb verschärfen sie den Krieg ständig weiter mit der Lieferung von immer mehr schweren Waffen an die Ukraine, dem Anschlag auf die Krimbrücke oder der Vernichtung der Energieversorgung der Ukraine. Keine Seite ist in irgendeiner Weise zum Nachgeben bereit.
Das erhöht auch die Gefahr einer unmittelbaren, möglicherweise ungeplanten Konfrontation von NATO- und russischem Militär, etwa bei den gleichzeitig stattfindenden Manövern: „Die Beteiligten an einem solchen Konflikt können dessen Eigendynamik nicht mehr kontrollieren, sie müssen mit allen Optionen rechnen – bis hin zum verheerenden Schlagabtausch mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen.“5 Was vielen Menschen als „wahnsinnig“ erscheint, ist die imperialistische Logik, die bereits zu zwei Weltkriegen führte.
Ein Atomkrieg kann und muss verhindert werden!
Angeblich dürfen wir uns nicht von der „Angst“ vor einem Atomkrieg leiten lassen, weil das den Aggressor Putin erst recht ermuntern würde. Was hat das ukrainische Volk und die Bevölkerung Europas davon, wenn dafür ein Atomkrieg ganze Landstriche für immer unbewohnbar macht? Sich dem mit aller Kraft entgegenzustellen, ist nicht angstgeleitet, sondern verantwortungsvoll im Interesse der Zukunft der Menschheit.
Oft wird eingewendet: „Was können wir dagegen ausrichten?“ Als sich mit der Stationierung atomarer US-Mittelstreckenraketen in Europa zu Beginn der 1980er-Jahre die Weltkriegsgefahr zuletzt akut zuspitzte, engagierten sich bis zu 35 Millionen Menschen in der damaligen Friedensbewegung. Betriebliche Friedenskomitees, an denen sich die MLPD aktiv beteiligte, förderten eine wachsende Diskussion über politische Streiks bis hin zum Generalstreik. Das wurde zu einem ernsthaften Hindernis der atomaren Kriegsvorbereitung der beiden Supermächte USA und Sowjetunion. Sie mussten von einer weiteren Zuspitzung ablassen. Eine Millionen umfassende, weltumspannende aktive Widerstandsbewegung kann die Imperialisten zwingen, von ihren Weltkriegsplänen abzulassen.
Die Voraussetzung für eine solche Bewegung entwickelt sich gegenwärtig auch in den wachsenden Massenkämpfen gegen Preisexplosionen, Hungerkrisen und reaktionäre Regimes. Im Iran haben sie bereits zu einer revolutionären Gärung geführt (siehe Seite 31). Auch in Europa stellt sich dabei zunehmend die Arbeiterklasse an die Spitze. In Frankreich reihen sich die Beschäftigten von immer mehr Branchen in die Streikbewegung der Raffineriearbeiter ein (siehe Seite 24/25). Allerdings spielt dabei der Protest gegen den Ukrainekrieg noch kaum eine Rolle. Umso wichtiger ist es, dass diese Kämpfe zusammenkommen mit dem Aufbau der neuen Friedensbewegung, die sich gegen alle imperialistischen Mächte richtet. In Verbindung mit der marxistisch-leninistischen Überzeugungsarbeit wächst dabei auch die Gewissheit, dass man imperialistischen Kriegen insgesamt ein Ende setzen kann – durch die internationale sozialistische Revolution.