Rote Fahne 21/2022
Unterhaken mit Regierung und Konzernen?
Noch am 21. September beteuerte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): „Die Gasumlage wird kommen.“1 Acht Tage später dann sein zerknirschtes Eingeständnis: „Die Gasumlage wird jetzt in die Annalen der Geschichte eingehen.“2 Das angeblich so „alternativlose“ Gesetz ist an der breiten Empörung der Massen zerschellt.
Das wurde auf der Herbstdemonstration in Berlin am 1. Oktober gebührend gefeiert, schließlich war es die originale Montagsdemo-Bewegung, die zuallererst gefordert hatte: „Die Gasumlage muss weg!“ Hektisch wird von Regierung und Monopolen der Spagat versucht, ihren Krisen- und Kriegskurs durchzuziehen und gleichzeitig mit Teilzugeständnissen und der Demagogie eines modifizierten Systems der kleinbürgerlichen Denkweise Massenprotesten und Streiks entgegenzuwirken.
Beim sogenannten Arbeitgebertag am 13. September sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass es Ziel der neu ins Leben gerufenen „Konzertierten Aktion“ sei, „dass das Unterhaken in den Betrieben und den Unternehmen bei den Sozialpartnern“ gelinge. Schon seit Monaten reitet Scholz auf der „You‘ll never walk alone“-Welle. Tatsächlich marschiert der Kanzler die ganze Zeit in Begleitung. Nur mit wem? Bei der Reise in die neuimperialistischen, faschistoiden und faschistischen Länder Saudi-Arabien und Katar war es eine hochkarätige Wirtschaftsdelegation! Sie hoffte auf üppige Geschäfte, während der Kanzler um die Lieferung von Öl und Gas bettelte.
Was vom „Doppel-Wumms“ bleibt
Zum „Unterhaken“ gehören für Scholz in Zeiten der bedeutenden Metalltarifrunde unter anderem Maßnahmen, „damit die Preise für Öl und Gas … bezahlbar für die deutsche Wirtschaft bleiben“3, aber auch eine Gas- und Strompreisbremse für die breiten Massen – beides zusammen genannt „Doppel-Wumms“. Doch der mit den 200 Milliarden Euro für seinen „Doppel-Wumms“ ausgestattete „Wirtschaftstabilisierungsfonds“ dient zuallererst ausdrücklich der „Stärkung der Kapitalbasis“ und zur „Überwindung von Liquiditätsengpässen von Unternehmen“.4 Bezüglich der Gas- und Strompreisbremse wird vor allem gewarnt, die Massen sollten sich keine allzu großen Hoffnungen machen.
Klar ist laut Habeck nur, dass die Verbraucher „mehr als 2021“ zahlen müssen. Ein Gaspreisdeckel müsste zudem strikt über dem Weltmarktpreis liegen. Der „Doppel-Wumms“ garantiert somit gleich doppelt die Raubprofite der Monopole. Die Massen bezahlen einmal an die Monopole direkt, zum zweiten indirekt über ihre Steuergelder. Dabei hat sich der Gaspreis auf dem Weltmarkt schon vor dem Ukrainekrieg in nur einem Jahr verdreifacht. Die inflationäre Entwertung der Löhne und Gehälter wird höchstens abgebremst, aber weitergehen.
Angesichts von gleichzeitigen Plänen zum massiven Arbeitsplatzabbau unter anderem bei Ford und Daimler gibt es auch Sorgen, dass der Kampf um höhere Löhne oder gar selbständige Streiks die Arbeitsplätze zusätzlich gefährden. Lohnabbau und Vernichtung von Arbeitsplätzen sind aber nur zwei Seiten einer Medaille: Der verschärften Ausbeutungsoffensive der Monopole! Wenn im Kampf um höhere Löhne Zusammenhalt, Klarheit, Organisiertheit und Streik-Know-How wachsen, dann ist das die beste Voraussetzung auch für einen entschlossenen Kampf um jeden Arbeitsplatz.
Scholz „Konzertierte Aktion“ ist ein Musterbeispiel des modernen Reformismus, der „nichts anderes als ein nur noch notdürftig mit Phrasen verbrämter Kniefall vor den Forderungen der maßgeblichen Monopole“ ist.5
Bis zu einer Einigung über die Strom- und Gaspreisbremse habe man „noch einen langen Weg zu gehen“, vertröstete Scholz nach der Bund-Länder-Konferenz am 4. Oktober.6 Zumindest könnte es für die Beschäftigten schon mal eine freiwillige steuerfreie Einmalzahlung der Unternehmen von bis zu 3000 Euro geben. BDA-Präsident Dulger weiß: „Die Beschäftigten bekommen schnell zusätzliches Geld, für die Arbeitgeber entstehen langfristig keine höheren Kosten.“7 Doch das einmal ausgezahlte Geld ist angesichts der grassierenden Inflation schnell aufgebraucht, während den Beschäftigten weiterhin das fehlt, was sie ökonomisch am dringendsten brauchen: eine dauerhafte Lohnerhöhung, deren Vereinbarung auch den weiteren Inflationsausgleich beachtet. Wobei Dulger gleich nachschiebt, „dass … viele Unternehmen … nur einen Anteil oder auch gar keine Einmalzahlung leisten können“.8 Damit ist auch gleich die Spaltung der Arbeiterklasse vorprogrammiert! Einmalzahlungen sind dann sinnvoll, wenn sie als rückwirkender Lohnnachschlag ohne Abzüge und ohne Unterscheidung innerhalb der Belegschaften bezahlt werden. Die IG-Metall-Delegiertenversammlung in Stuttgart am 24. September bekräftigte völlig zurecht: „Einmalzahlungen dürfen höchstens auf monatliche, tabellenwirksame Tariferhöhungen draufgesattelt werden. Sie dürfen nicht mit Lohnerhöhungen verrechnet werden.“9
Dagegen weigerten sich die Metallkapitalisten in den bisher sieben regionalen Verhandlungen, überhaupt ein Lohnangebot zu machen. Die beste Antwort auf die provokative Blockadehaltung der Unternehmerverbände und die versuchten Zaubertricks aus der Regierung ist: Kein Abstrich von den geforderten 8 Prozent! Abbruch der Verhandlungen, 24-Stunden-Warnstreik nach dem Ende der Friedensfrist, Urabstimmung, Vollstreik! Dabei muss auch die zu erwartende künftige Inflation eine Rolle spielen. Zusätzliche Lohnanschlagsforderungen für die Vergangenheit!
Zurückstecken für den Ukrainekrieg?
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, jammert über den „überzogenen“ Tarifbeschluss der IG Metall: „Unsere Unternehmen befinden sich mitten in einem noch nie dagewesenen Mix aus schweren Krisen: Der Russland-Ukraine-Krieg, die Inflation und explodierende Energiepreise, … bestehende Lieferengpässe …“ Da kommen einem doch wirklich die Tränen der Rührung! Was der Hexenkessel des Krisengebräus für die Arbeiter und breiten Massen bringt, interessiert Brossardt natürlich nicht. Doch warum sollten sie für die wachsende Krisenhaftigkeit des Imperialismus auch noch zurückstecken, die sie überhaupt nicht zu verantworten haben und von der sie besonders betroffen sind? Treffend lautete das Motto der Berliner Herbstdemonstration am 1. Oktober: „Wir verzichten nicht für Eure Kriege! Wir stehen gegen Eure Kriege auf!“
Die offene Weltkrise des Imperialismus wirft vielmehr die Frage auf, wie lange man sich noch mit einem System abfinden kann und soll, dass nur noch Krisen produziert und sie mit jeder Maßnahme des Krisenmanagements weiter verschärft. Ein Tarifkampf mitten in dieser Situation fordert auch eine klare Positionierung gegen den sowohl von NATO als auch von Russland aus imperialistischen Krieg in der Ukraine. Dazu eignen sich Resolutionen oder Solidaritätsadressen an die ukrainischen und russischen Arbeiter, um den Geist der internationalen Arbeitereinheit zu verankern. Vor allem aber muss die Arbeiterklasse das Rückgrat und die Speerspitze des aktiven Widerstands gegen die akute Weltkriegsgefahr und die Gefahr eines Atomkriegs bilden.
Kampf für Lohnnachschlag – jetzt?
Die MLPD-Betriebsgruppen fördern kämpferische Tarifrunden und die Bewegung für selbständige Streiks für einen zusätzlichen Lohnnachschlag. Ein Korrespondent aus einem Metallbetrieb in Norddeutschland berichtet von Diskussionen darüber, „wie das gehen soll“ (mehr auf Seite 17). Dafür lohnt sich ein Blick über die Grenzen. So traten am 15. September rund 200 Beschäftigte im Stellantis-Werk Sevelnord (ehemals PSA) in Hordain (Nordfrankreich) in einen dreitägigen selbständigen Streik. Sie forderten 400 Euro mehr für alle wegen der Inflation, eine einmalige Bonuszahlung von 6000 Euro, Festanstellung der Leiharbeiter und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Arbeiterklasse muss zu jedem Zeitpunkt ihre gewerkschaftliche Kampfkraft stärken, neue Mitglieder gewinnen und die Gewerkschaften zu Kampforganisation machen. Gleichzeitig muss sie jederzeit für ihre Belange und Forderungen selbstständig denken und handeln und den gewerkschaftlichen Rahmen gegebenenfalls mit selbständigen Aktionen und Streiks durchbrechen. So bahnt sie sich den Weg zur Arbeiteroffensive! Kämpfe als Schule des Klassenkampfes zu führen bedeutet, Bewusstsein und Organisiertheit für die künftigen Klassenschlachten und letztendlich den Kampf um den Sozialismus auf- und auszubauen.
Fortschrittlichen Protest stärken!
Die Gewerkschaften ver.di und GEW rufen jetzt gemeinsam mit anderen Kräften zu Demonstrationen am 22. Oktober in sechs Städten auf – gegen die Folgen der Inflation und für die Beschleunigung der „Energiewende“. Das kann gemeinsam mit den bundesweiten Montagsdemonstrationen auch ein Zeichen setzen, den ultrareaktionären bis faschistischen Kräften nicht das Feld zu überlassen. Wesentlich ist auch die weltanschauliche Auseinandersetzung mit der Querfront-Taktik von AfD und anderen, nach der man auch mit Faschisten zusammen demonstrieren kann, Hauptsache es geht „gegen die da oben“. Kritik an der Bundesregierung ist aber noch lange kein fortschrittlicher Akt. Das gilt besonders, wenn sie mit reaktionären Zielen verbunden ist, wie das bei der AfD der Fall ist (zur „Querfront“-Taktik siehe auch Seite 28/29).
Für die jetzt anstehenden Klassenauseinandersetzungen kennt die deutsche Arbeiterbewegung der Nachkriegsgeschichte schon gute Pioniere: Die Welle selbständiger Streiks für Teuerungszulagen 1969 und 1973 in Deutschland beflügelte auch gewerkschaftliche Kämpfe. So streikten 1974 rund 200 000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes drei Tage lang, nachdem damals in Verbindung mit der „Ölkrise“ die Inflation auf 7 Prozent geklettert war. Gefordert hatten sie 15 Prozent mehr Lohn, durchsetzen konnten sie 11 Prozent.10